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# taz.de -- Zehn Jahre Irak-Krieg: Frieden ist anderswo
> Zehn Jahre nach Kriegsbeginn geht es im Irak vielen wirtschaftlich
> besser. Politisch herrscht Stagnation – und die Angst vor einem neuen
> Krieg.
Bild: Da stürzt er: Saddam Husseins Standbild wird zum Fallbild.
BAGDAD taz | Es ist früh am Morgen und entlang der Straße vom Flughafen
sprenkeln Arbeiter den breiten Grünstreifen mit Wasser. Im Zentrum der
Hauptstadt sind Kehrmaschinen unterwegs und säubern die Straßen mit Wasser.
Bagdad putzt sich heraus – nicht für den Jahrestag des Einmarschs der
Amerikaner, sondern für ein Kulturereignis.
Bagdad ist in diesem Jahr Kulturhauptstadt der arabischen Welt, und am
Wochenende werden zahlreiche Künstler, Theaterschaffende und Literaten aus
der gesamten arabischen Welt erwartet. Doch ein Zeichen der Rückkehr zur
Normalität mag der Fotograf Wael Kadhim darin nicht erkennen. „Die
Regierung wird es für ihre Propaganda benutzen und den Besuchern die
schönen Seiten zeigen“, sagt Kadhim. „Das war’s dann.“
Das Kulturereignis quittiert Kadhim ebenso mit einem Schulterzucken wie den
Jahrestag des Kriegsbeginns. „An was sollen wir uns erinnern?“, fragt er.
„Die Befreiung oder die Besetzung und alles, was danach kam?“ Das Danach,
das sind für ihn wie viele Iraker der Machtkampf in der neuen politischen
Klasse, die Autobomben, Selbstmordanschläge und Morde.
Die angebliche Verbindung zwischen dem Regime von Saddam Hussein und
al-Qaida war vor zehn Jahren eine der Begründungen, mit denen der damalige
amerikanische Präsident George W. Bush den Krieg rechtfertigte
## Aufwind für die Dschihadisten
Tatsächlich war es dann aber die amerikanische Besetzung, die den
sunnitischen Kämpfern für einen Steinzeitislam zum Aufstieg verhalf. Nach
einer zeitweiligen Schwächung erheben sie heute wieder ihr mörderisches
Haupt. Am Leben hält sie, aus Sicht der Sunniten, ihre Benachteiligung im
heutigen Irak. Die Sunniten stellen gut ein Drittel der Bevölkerung, die
Schiiten knapp zwei Drittel.
Der Sturz der Statue des Sunniten Saddam Hussein am Firdosplatz am 9.
April, den die Iraker, wenn überhaupt, als Jahrestag begehen, symbolisiert
für die Sunniten nicht nur das Ende der Diktatur, sondern auch den Beginn
ihrer echten oder vermeintlichen Unterdrückung.
„Bittersüß“ nennt Salah Rahim, ein Schiit, diesen Tag. „Niemand konnte …
ein Leben ohne Saddam vorstellen. Und plötzlich war er weg“, sagt der
Angestellte. „Wir freuten uns auf die Freiheit, die Demokratie, den
Wohlstand.“ Erfüllt habe sich davon nur Letzteres. Rahim verdient als
Beamter zwar nicht üppig, aber da auch seine Frau berufstätig ist, konnten
sie sich ein Haus und ein Auto kaufen. „Für ein Pepsi ging früher ein
halbes Monatsgehalt drauf. Von Bananen konnten wir nur träumen. Heute haben
wir Satellitenfernseher, Handys, Internet und können reisen.“
Der Nachholbedarf nach den 19 Jahre währenden, erst 2010 aufgehobenen
UN-Sanktionen ist nach wie vor hoch und das Konsumverhalten ungebrochen,
bestätigen Geschäftsleute. „Unser Problem ist nicht das Geld, sondern die
Politik.“
## Grüne Zone gesperrt
Ein paar kurze Wochen lang konnte man im Frühjahr 2003 beinahe ungehindert
zum Palast von Saddam Hussein spazieren, in dem die Amerikaner ihre
Zentrale eingerichtet hatten. Heute residiert Ministerpräsident Nuri
al-Maliki in dem Palast, der in der sogenannten grünen Zone liegt. Als die
Amerikaner vor fünfzehn Monaten abzogen, kündigte er an, das Viertel zu
öffnen. Das Gegenteil ist der Fall.
Ein dichter Ring von Sprengschutzwänden umgibt das Regierungsviertel. Die
grauen Ungetümer, die manchen Politiker reich gemacht haben, sind heute
eines der wenigen noch sichtbaren Zeichen, die von den US-Amerikanern
geblieben sind. Ganze Stadtteile haben sie damit umstellt, um den
Massakern, die Schiiten und Sunniten in den Jahren 2006 bis 2008 aneinander
verübten, Einhalt zu gebieten. Manche sind heute weggeräumt, andere dienen
als Werbeflächen. Aber entlang der schiitischen Pilgerwege, um Banken,
öffentliche Einrichtungen oder Parteibüros stehen sie nach wie vor. Um die
grüne Zone sind so dicht wie eh und an manchen Stellen hat der
Regierungschef sogar die Zufahrtswege sperren lassen.
Maliki war der erste für eine ganze Legislaturperiode gewählte
Ministerpräsident. Mit den Wahlen kamen zugleich erstmals die Schiiten an
die Macht. Seit sieben Jahren ist Maliki nun Regierungschef. Nach Abzug der
Amerikaner habe er jedoch die Chance verpasst, die Geburtsfehler der
irakischen Demokratie zu beheben, sagt ein Menschenrechtler, der anonym
bleiben möchte. „Er hätte auf die Sunniten zugehen müssen und den Irak
tatsächlich in einen Rechtsstaat verwandeln müssen.“
## Auf Kollisionskurs mit Sunniten und Kurden
Die Sunniten hatten den politischen Prozess anfangs boykottiert. Die Folge
davon sind eine Verfassung, die viele Streitfragen offen ließ, sowie ein
Beamten- und ein Sicherheitsapparat, der heute von den Schiiten dominiert
wird. Kritiker werfen Maliki vor, dass er die Sunniten in den letzten zwei
Jahren jedoch weiter marginalisiert hat.
Gegen mehrere hochrangige sunnitische Vertreter wie den Vizepräsidenten
Tarik Haschemi sowie den kürzlich zurückgetretenen Finanzminister Rafi
Issawi ergingen Haftbefehle wegen angeblicher Verwicklungen in den
Terrorismus. „Selbst die Provinzgouverneure hat er entmachtet, in dem er
den Sicherheitsapparat unter seine Kontrolle brachte“, sagt der
Menschenrechtler. Deshalb fehlen Maliki unter den Sunniten nun die
Ansprechpartner, um ihrer Rebellion zu begegnen. Noch ist die seit Wochen
anhaltende Protestbewegung friedlich. Das könnte sich aber ändern, fürchten
viele Hauptstädter.
Aber nicht nur gegenüber den Sunniten, sondern auch gegenüber den Kurden
befindet sich Maliki auf Kollisionskurs. Nicht nur hat Maliki Truppen in
die umstrittenen Gebiete verlegt, mit den Stimmen seiner schiitischen
Verbündeten setzte er im Parlament jüngst auch einen Staatshaushalt durch,
den die Kurden als Provokation betrachten. Hauptstreitpunkt ist dabei die
Bezahlung der in Kurdistan tätigen Ölfirmen. Die Kurden haben deshalb ihre
Minister aus Bagdad abgezogen.
Während Amerika den Krieg am liebsten vergessen möchte, ist er für viele
Iraker noch immer nicht vorbei. Der Menschenrechtler, aber auch der
Angestellte Rahim und der Fotograf Kadhim haben wenig Hoffnung, dass sich
daran so bald etwas ändern wird. In mehreren mehrheitlich schiitischen
Vierteln wurden in den letzten Wochen sunnitische Familien bedroht. „Fast
kein Tag vergeht ohne einen Mord“, sagt Rahim. „Es fühlt sich an wie 2005,
kurz bevor der religiöse Krieg losging.“ Wie Rahim sitzen auch Kadhim und
der Menschenrechtler auf gepackten Koffern. „Seit ich ein Kind war, gibt es
Krieg“, sagt der 35-jährige Kadhim. „Meinen Kindern will ich das nicht
antun“, sagt Kadhim. Zumindest sie sollen in Frieden aufwachsen.“
20 Mar 2013
## AUTOREN
Inga Rogg
Inga Rogg
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