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# taz.de -- Debatte Hartz IV: In der Paarfalle gefangen
> Alle kennen den Slogan „Armut ist weiblich“. Das ist kein Naturgesetz,
> sondern auch der unseligen Arbeitsmarktreform geschuldet.
Bild: „Und wenn wir mal alt sind und keinen Mann mehr haben, dann teilen wir …
Vor zehn Jahren läutete der damalige „rot-grüne“ Bundeskanzler Gerhard
Schröder mit seiner Agenda 2010 den bis dahin größten Um- und Abbau des
Sozialstaates ein. Bei der meist von männlichen Kommentatoren vorgenommenen
Rück- und Vorschau spielten die spezifischen Probleme, die sich aus der
Reform für sehr viele erwerbstätige Frauen ergeben, eher keine Rolle.
Weitgehend unbehelligt tragen die Propagandisten dieser gesetzlich
verordneten Explosion von Niedrig- und Armutslöhnen das Prinzip des
„Förderns und Forderns“ wie eine Monstranz vor sich her. Vom „Fördern�…
bei den Frauen nämlich bis heute wenig angekommen, dafür umso mehr vom
„Fordern“ durch die Abdrängung in Mini- und 1-Euro-Jobs.
Als „Herzstück“ hat Hartz IV Hunderttausende von Frauen erneut in die
Abhängigkeit von ihren Partnern gezwungen. Und zwar mithilfe folgender
Mechanik: Der Ersatz der früheren Arbeitslosenhilfe durch ALG II bedeutete
nicht nur eine erhebliche Verschlechterung der finanziellen Leistungen bei
Arbeitslosigkeit, sondern sie wurden teilweise ganz gestrichen, wenn die
Partner ein höheres Einkommen hatten. Dies hat Frauen im Falle längerer
Arbeitslosigkeit besonders hart getroffen.
Hingegen war die frühere Arbeitslosenhilfe ein eigenständiger Anspruch der
Frauen, der sich an ihrem vorherigen Einkommen orientierte und eine
begrenzte Sicherung des Lebensstandards auch bei länger anhaltender
Arbeitslosigkeit ermöglichen sollte. Für die Anrechnung der
Partnereinkommen galten deshalb in der Arbeitslosenhilfe hohe Freibeträge.
## Armutsfalle Hartz IV
Noch gravierender ist die Abhängigkeit arbeitsloser Frauen im Falle der
Erwerbslosigkeit ihrer Partner. Als Abhängige in den Bedarfsgemeinschaften
von Hartz IV erhalten sie nur 80 Prozent der Regelsätze zur
Armutsvermeidung. Verschärft wurde dieser finanzielle und soziale Abstieg
vor allem der Frauen, aber auch der Männer durch die drastische
Verringerung der Arbeitslosenversicherung auf ein Jahr mit einer begrenzten
Verlängerung nur für die Älteren. Danach schnappt die Armutsfalle Hartz IV
zu.
Größer wurden die Beschäftigungsnachteile von Frauen dadurch, dass die
Hartz-Gesetze die Bundesagentur veranlassten, ihre Arbeitsvermittlung auf
Leiharbeitsagenturen sowie private Personalvermittler und Verhaltenstrainer
zu konzentrieren. Die qualifizierte berufliche Weiterbildung wurde im
Gegenzug um zwei Drittel gekürzt. Damit reduzierte sich die
Arbeitsmarktpolitik immer mehr auf kostengünstige kurzfristige
„Durchlauferhitzer“ über private Dienstleister ohne nachhaltige berufliche
Eingliederung.
Auch war das Interesse bei den öffentlichen Arbeitsagenturen wenig
ausgeprägt, Frauen ohne Leistungsansprüche qualifizierte
arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Eingliederung in Arbeit zu
finanzieren, da sie damit keine Einsparungen bei ALG II erzielen konnten.
Die bisherigen Korrekturen in Gesetzgebung und Praxis haben wenig daran
geändert.
## Von wegen Fachkräftemangel
Die von der Wirtschaft lautstark geäußerten Sorgen über den demografisch
bedingten Fachkräftemangel führen zwar dazu, dass Frauen als potenzielle
Arbeitskräfte zumindest rhetorisch neu entdeckt werden. Frauen stellen
mithin auch den weit überwiegenden Teil des Zuwachses der Beschäftigung.
Ihre Benachteiligung durch geringe Teilzeit- und Minijobs mit Niedriglöhnen
und vielfach unterhalb ihrer beruflichen Qualifikationen setzt sich
indessen fort.
Als Gründe hierfür wird immer wieder auf fehlende Vollzeit- und reguläre
Teilzeitarbeit sowie die mangelnde Betreuung der Kinder verwiesen. Zudem
steht die Familien- und Steuerpolitik in der Bundesrepublik der
Gleichstellung von Frauen in Beruf und Familie entgegen: Ehegattensplitting
und übermäßig hohe Besteuerung der Fraueneinkommen wirken bis heute fort.
## Lohnlücke von 22 Prozent
Das Elterngeld ist zwar ein Fortschritt, da auch Männer mit Vätermonaten
eine Auszeit im Beruf für die Kinderbetreuung nehmen können, allerdings mit
wenigen Monaten nur nachrangig gegenüber den Frauen, die nach wie vor den
Hauptanteil an der Kinderbetreuung und dem Ausstieg aus dem Beruf tragen.
Dies ist eine der entscheidenden Ursachen für die auch im europäischen
Vergleich überdurchschnittlich hohe Lohnlücke zulasten der Frauen von 22
Prozent.
Die immer wieder behauptete „Brücke in den Ersten Arbeitsmarkt“ durch die
Minijobs hat sich als Trugschluss erwiesen. Die Frauen, unter ihnen viele
Alleinerziehende, kommen aus dieser Minijob-Falle nicht heraus. Für sie und
ihre Kinder sind Armut und soziale Ausgrenzung vorprogrammiert. Das mit
monatelanger Propaganda von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen
eingeführte Bildungspaket für Kinder in Hartz IV und sozial schwachen
Familien zeigt bisher außer überbordender Bürokratie wenig Wirkung für die
Kinder.
## Plan für die nächste Regierung
Dringend erforderlich ist eine Umkehr dieser unsozialen Agenda-Politik, die
vielfach auf dem Rücken der Frauen ausgetragen wird. Mindestbedingungen
sind die Einführung einheitlicher gesetzlicher Mindestlöhne nicht unter
8,50 Euro die Stunde sowie die Einbeziehung grundsätzlich aller
Arbeitsverhältnisse in die Sozialversicherung.
Überfällig ist auch die gesetzliche „Reregulierung“ zur Bekämpfung von
Arbeitslosigkeit, Niedrig- und Armutslöhnen. Hartz IV muss einer
Generalrevision unterzogen und dabei auch den Frauen eigenständige
Ansprüche auf finanzielle Leistungen gewähren. Die Arbeitslosenversicherung
ist auszuweiten, damit sie den durch die Beitragszahlungen erworbenen
Ansprüchen auf Schutz bei Erwerbslosigkeit wieder nachkommen kann.
Ergänzend hierzu muss die Diskriminierung der Berufstätigkeit von Frauen in
der Familien- und Steuerpolitik endlich beseitigt werden.
Es wäre fatal, wenn dies und die ab Mitte dieses Jahres gültige
Verpflichtung der Kommunen, für unter dreijährige Kinder ausreichende
Ganztagsbetreuung zu gewährleisten, der Rettung der Banken zum Opfer fiele.
Dann gilt weiter: Armut trotz Arbeit und im Alter ist weiblich.
21 Mar 2013
## AUTOREN
Ursula Engelen-Kefer
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