| # taz.de -- Christen in Syrien: Die Franziskaner und die Rebellen | |
| > „Wir Christen sind im Krieg neutral geblieben“, sagt die Lehrerin. Bleibt | |
| > es dabei? Ihr Dorf kontrollieren nun die Rebellen. Unterwegs in der | |
| > Provinz Idlib. | |
| Bild: Ein Kämpfer der Freien Syrischen Armee in Jakubija. Das überwiegend von… | |
| JAKUBIJA taz | Eine Christin ist die Heldin der Schlacht von Jakubija, eins | |
| der ersten überwiegend von Christen bewohnten Dörfer, das die Freie | |
| Syrische Armee in der Provinz Idlib erobert hat. Sie heißt Raghda, ist | |
| Mutter von drei Töchtern und leitet seit 15 Jahren die Grundschule in dem | |
| von Muslimen bewohnten Nachbardorf Hamamja. | |
| Die Lehrerin war es, die ein Blutbad in der Stadt verhindert hat. Sie | |
| beschützte die desertierenden Soldaten der Truppen des Regimes Assads und | |
| brachte sie mit den Männern der Freien Armee zusammen. Junge Männer, die | |
| sie schon als Schulkinder kannte. Denn auf dem Land kommen die Kämpfer der | |
| Freien Armee vom Dorf, aus den Dörfern der Gegend. | |
| „Sie sind wie Kinder für mich. Ich kenne ihre Familien, ich habe ihnen | |
| lesen und schreiben beigebracht. Wenn sie heute den Koran lesen können, | |
| dann dank meiner Arbeit. Darauf bin ich stolz. Als ich sie gesehen habe, | |
| habe ich mit ihnen geredet und sie haben mir ihre Sichtweise der Dinge | |
| erklärt. Wir Christen sind im Krieg neutral geblieben, ich glaube an die | |
| Gewaltlosigkeit, aber ich wollte etwas gegen das Regime unternehmen. Vor | |
| allem, nachdem ich erlebt habe, dass Persönlichkeiten wie Pater Paolo | |
| dall’Oglio deutlich Stellung gegen das Regime bezogen haben. Ich habe die | |
| Aufständischen überreden können zu warten und ein Gespräch mit den Soldaten | |
| des Regimes eingefädelt, die ins Dorf gekommen waren. Erst ist einer, dann | |
| zwei, schließlich sind sie zu Dutzenden desertiert. Ich habe sie bei mir | |
| versteckt und dann haben sie sich der Freien Armee angeschlossen.“ | |
| Zu dieser Zeit war das Dorf Jakubija mit seinen 2.000 Einwohnern | |
| wortwörtlich belagert von Truppen des Regimes. Die katholische Gemeinde | |
| weigerte sich, den Kirchturm Heckenschützen zur Verfügung zu stellen. Die | |
| christlich-armenische Gemeinde hingegen überließ die eigene Kirche der | |
| regulären Armee als Hauptquartier. | |
| ## Von Schüssen durchsiebte Sandsäcke | |
| Die leeren Munitionshülsen liegen immer noch auf dem Platz vor einer alten | |
| Madonnenstatue. Von hier aus operierten die Heckenschützen und | |
| Munitionstechniker der Armee Assads. Weil aber immer mehr desertierten, | |
| befanden sich die regierungstreuen Soldaten irgendwann in der Minderzahl | |
| und beschlossen, den Rückzug anzutreten. | |
| Das war am 27. Januar 2013. Die Schlacht selbst fand außerhalb des Dorfes | |
| statt, an der Kontrollstelle entlang einer Straße mit Olivenbäumen. Die | |
| Spuren der Auseinandersetzungen sind noch immer zu sehen. Ein verbrannter | |
| Panzer, leere Patronenhülsen am Straßenrand, von Schüssen durchsiebte | |
| Sandsäcke und die von Maschinengewehrsalven zerstückelten Äste der | |
| Olivenbäume. | |
| Ein paar Wochen später ist Ruhe in Jakubija eingekehrt. Die muslimischen | |
| Rekruten der Freien Armee kontrollieren die Straße, die im Ort verbliebenen | |
| Christen dürfen sich frei bewegen. Es sind überwiegend Katholiken, denn | |
| viele armenische Familien sind zusammen mit dem Priester geflohen, nachdem | |
| ihre Gemeinde der Regierungsarmee die Kirche zur Verfügung gestellt hatte. | |
| Das Verhältnis zwischen Christen und Muslimen wirkt völlig entspannt. Die | |
| Straßen sind bevölkert, draußen spielen Kinder, und die Geschäfte öffnen | |
| wieder. Ich bin bei der Familie von Raghda zu Gast, um mit ihr und ihren in | |
| Tarnkleidung herumlaufenden ehemaligen Schülern Tee zu trinken. | |
| Aber nur fünf Kilometer weiter sieht alles längst nicht so rosig aus. Die | |
| Trümmer und Schutthaufen in dem von Christen bewohnten Dorf Judajda lassen | |
| keinen Zweifel daran. Hier waren die Kämpfe wesentlich heftiger. Die Freie | |
| Armee kontrolliert seit Dezember 2012 das Dorf. Kurz darauf gingen die | |
| Luftangriffe des Regimes los. | |
| Es gibt praktisch kein Haus in der 1.000-Einwohner-Gemeinde, das nicht | |
| bombardiert worden ist. Sogar die alte armenische Kirche blieb nicht | |
| verschont. Die Rakete ist vor dem Eingang niedergegangen. Das eiserne | |
| Gittertor wurde in die Luft geschleudert, die Glasfenster gingen zu Bruch | |
| und die Freitreppe ist zerstört. Die Dorfbewohner sind vor allem auf die | |
| jungen Männer der Freien Armee sauer. | |
| ## Wer waren die Plünderer? | |
| „Sie haben alles geklaut! Nicht einmal den Ofen haben sie stehen lassen! In | |
| dieser Wohnung wohnte ein Paar, noch nicht einmal fünf Monate waren sie | |
| verheiratet. Und jetzt ist nichts mehr da, sieh nur, eine Schande ist das! | |
| Ist das die Freiheit, die sie wollen? Im ganzen Dorf gibt es keinen Strom, | |
| es gibt kein Brot und kein Benzin. Als noch die Regierungssoldaten hier | |
| waren, hat niemand geklaut. Wir wollen mit diesem Krieg nichts zu tun | |
| haben!“ | |
| Elias nimmt kein Blatt vor den Mund. Der Zwanzigjährige ist vor Kurzem ins | |
| Dorf zurückgekehrt und hat entdeckt, dass die Wohnung seiner Nachbarn in | |
| den Wochen seiner Abwesenheit total ausräumt wurde. Hammuda, den alle | |
| Google nennen, weil er so ein gutes Zahlengedächtnis hat, stützt sich auf | |
| einen Gewehrlauf und versucht vergebens, ihn zu beruhigen. | |
| „Wir von der Freien Armee haben nichts mit den Plünderungen zu tun“, sagt | |
| er. „Im ganzen Dorf wurde geplündert, das waren kriminelle Banden. Sie | |
| haben den Moment ausgenutzt, in dem wir an die Front zurückgekehrt sind und | |
| niemand im Dorf war, der aufpassen konnte. Wenn wir sie gesehen hätten, | |
| wären sie jetzt hinter Schloss und Riegel.“ | |
| Beim Weggehen sagt Hammuda alias Google hinter vorgehaltener Hand: „Sie | |
| sagen, wir seien Diebe. Aber was sie nicht sagen, ist, dass der Hausherr | |
| ein Schabiha-Milizionär war. Er hatte Glück, dass wir ihn nicht erwischt | |
| haben.“ Als wären die Plünderungen eine legitime Strafe für die bewaffneten | |
| Schergen und Handlanger des Regimes. Oder zumindest für diejenigen, die | |
| sich aus dem Staub gemacht haben. Denn wer verhaftet wird, den erwartet | |
| normalerweise die Todesstrafe. Vorgesehen ist eine Untersuchung des | |
| Islamischen Tribunals, das vor Kurzem im Nachbarort Darkusch eingerichtet | |
| worden ist. In Judajda sind die verdächtigen Schabiha jedoch rechtzeitig | |
| mit dem Priester auf und davon. | |
| ## Versuch einer Bürgerwehr | |
| Die Geschichte des Priesters der armenischen Kirche von Judajda ist in | |
| aller Munde. Im vergangenen November stattete er zehn junge Männer des | |
| Dorfes mit Gewehren aus, um eine Bürgerwehr aufzustellen, weil es im Dorf | |
| vier Entführungen mit Lösegeldforderungen gegeben hatte. Als die Freie | |
| Armee eintraf, flüchtete er, um sich einer möglichen Verhaftung zu | |
| entziehen, gemeinsam mit fünfzig anderen Männern in die noch von | |
| Regierungstruppen kontrollierte Zone. Seine Wohnung dient jetzt den Männern | |
| der Freien Armee als Hauptquartier. Sie haben die Kreuze und Ikonen von der | |
| Wand genommen. Die sind jetzt im Wohnzimmer ausgebreitet, dem einzigen | |
| Raum, der nicht beschädigt ist. | |
| Im Dorf Knajeh hingegen ist nichts passiert. Ein weiteres Dorf, in dem etwa | |
| tausend Christen leben, auf der gegenüberliegenden Höhe des Tals. Hier ist | |
| weder die reguläre noch die Freie Armee je hingelangt. Und hierhin hat sich | |
| auch kein Schuss verirrt, dank der Franziskaner. Weil es das einzige rein | |
| katholische Dorf der Gegend ist, haben sie von Anfang an eine neutrale | |
| Position bezogen. | |
| „Wir syrischen Christen stellen etwa sieben Prozent der Bevölkerung, das | |
| sind rund anderthalb Millionen Menschen. Die meisten wollen weder das | |
| Regime noch den Krieg. Wir wollen nur Frieden. Anfangs waren wir bei den | |
| Demonstrationen dabei, solange sie noch friedlich waren. Später ist die | |
| Sache dann schmutzig geworden. Das wurde mir klar, als hier in Dschisir die | |
| Rebellen 82 Soldaten erschossen und den Chef der Geheimpolizei aufgehängt | |
| haben. Wenn man eine Idee hat, lässt man es nicht so weit kommen. Wenn du | |
| zum Mörder wirst, ist alles verloren.“ | |
| ## „Ein atavistischer Hass“ | |
| Pater Hanna ist der Leiter der Franziskanerabtei, die in der Region eine | |
| echte Institution ist. Gegründet im Jahr 1878, hat sie Knajeh immer eine | |
| Vorreiterrolle im Tal verschafft: Hier gab es die erste Schule, das erste | |
| Theater, die erste medizinische Ambulanz, das erste Dorf mit elektrischem | |
| Licht. Während des aktuellen Kriegs hat der Konvent nie jemanden | |
| abgewiesen. | |
| „Wir haben Hunderte an Flüchtlingen aufgenommen. Muslime, Christen, | |
| Alawiten. Die letzten erst vor wenigen Wochen. 250 Alawiten aus einem Dorf | |
| in der Nähe. Sie waren nach Eintreffen der Freien Armee geflüchtet. Sie | |
| haben gesagt, dass die Männer der Freien Armee ihre Häuser und Moscheen | |
| angezündet haben. Es gibt einen atavistischen Hass, der mit dem Krieg | |
| wieder hochgekommen ist.“ | |
| ## Aufnahme aller Flüchtlinge | |
| Die Front verläuft hinter dem Hügel, etwa fünf Kilometer von der | |
| Franziskanerabtei entfernt. Man hört das Echo der Bombardements. In der | |
| nahe gelegenen Stadt Dschisir al-Schugur mit 40.000 Einwohnern haben sich | |
| 2.000 Soldaten des Regimes verschanzt. Von dort bombardieren sie das Umland | |
| und verbieten der Zivilbevölkerung, die Stadt zu verlassen. Aber Hunderte | |
| Familien aus Dschisir, die nachts heimlich entkommen konnten, sollen in den | |
| Dörfern der Christen, in Judajda, Jakubija und Knajeh, Aufnahme gefunden | |
| haben. | |
| Pater Hanna hat sich persönlich um die Aufnahme der Flüchtlinge gekümmert. | |
| Er ist stolz, dass seine Leute den muslimischen Familien die Tür geöffnet | |
| haben. Eine Geste des Friedens für ihn. „Wir sind ein reifes Volk. Wir | |
| richten uns nicht nach Stammesregeln oder Blutgesetzen. Die Leute kennen | |
| ihre eigene Geschichte und schätzen Syrien als plurale Gesellschaft. Wir | |
| waren ein Beispiel für das Zusammenleben von Christen und Muslimen. Und wir | |
| werden es weiterhin sein.“ | |
| Aus dem Italienischen von Sabine Seifert | |
| 28 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Gabriele Del Grande | |
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