| # taz.de -- Unterricht in Syrien: Zeichnen, um den Krieg zu vergessen | |
| > Eine zivile Bewegung engagiert sich in Aleppo für die Wiedereröffnung von | |
| > Schulen. Für die Kinder ist es eine Pause vom Alltag unter Beschuss. | |
| Bild: Einschusslöcher in der Wand: Schule in Aleppo | |
| ALEPPO taz | Mariams Prinzessin trägt ein langes blaues und goldbesticktes | |
| Gewand, ihre Haare flattern im Wind, sie lächelt. Sie will auf eine | |
| Geburtstagsfeier gehen. Die Torte ist riesengroß und drumherum gibt es | |
| spielende Kinder. Aber dann geht das Licht aus. Zurück bleibt ein einzelnes | |
| Kind, mit einem Buch und einer verloschenen Kerze. | |
| Einer Kerze wie die auf der Bank der kleinen Mariam, die ihre drei | |
| Zeichnungen beleuchtet. „Wir lassen sie schöne Dinge zeichnen, damit sie | |
| den Krieg vergessen können“, erklärt ihre Englischlehrerin. Sie fährt mit | |
| dem Unterricht fort. „The man who is there is my father. People that eat a | |
| lot get fat.“ | |
| Mariam sitzt in der ersten Reihe. Voller Neugier sind ihre Augen auf die an | |
| die Tafel geschriebenen Sätze gerichtet. Mit den rund zwanzig anderen | |
| Mädchen der Klasse spricht sie im Chor die Worte ihrer Lehrerin nach. Es | |
| ist zehn Uhr morgens. In der nächsten Stunde ist Religion an der Reihe. | |
| Dann Mathematik und Arabisch. Und so wird auch dieser Vormittag schnell | |
| verstreichen und Mariam kann so tun, als sei draußen alles normal. Wie in | |
| ihren Zeichnungen. Als triebe sich auf den Straßen von Aleppo nicht der | |
| Todesengel herum. Sondern nur ihre Prinzessin. | |
| Mariam hat keine Ahnung, wie gefährlich es für ihre Lehrerin ist, zur | |
| Schule zu kommen. Der Weg führt über eine schaukelnde Holzplanke, die den | |
| Kanal teilt. An dieser Stelle überqueren jeden Tag Hunderte Menschen | |
| heimlich die gefährlichste Grenze im heutigen Syrien. Sie trennt die vom | |
| Assad-Regime kontrollierten Viertel Aleppos von denen unter dem Kommando | |
| der Freien Syrischen Armee. | |
| ## „Nein zum Regime, aber auch Nein zum Krieg“ | |
| Es sind Menschen, die ihre Familie besuchen, mit Schmugglern ins Geschäft | |
| kommen wollen oder Zuflucht beim Regime suchen vor den Bombenteppichen über | |
| den Vierteln der Aufständischen. Und dann gibt es die, die jeden Tag ihr | |
| Schicksal herausfordern, um zur Schule zu gehen, um zu unterrichten. Wie | |
| die Lehrerin von Mariam. Oder wie Abu Nur. | |
| Abu Nur hat vorher noch nie unterrichtet, vor dem Krieg arbeitete er als | |
| Ingenieur. Ein einfaches Leben. Mittelschicht, dreißig Jahre alt, eine | |
| glückliche Ehe, zwei fabelhafte Mädchen von zehn und acht Jahren. Abu Nur | |
| gehörte zu denen, die sagten: „Nein zum Regime, aber auch Nein zum Krieg“. | |
| Bis ihn der Krieg aus allem herausriss. „An jenem Tag hat ein Flugkörper | |
| unser Haus von vorne getroffen. Die Druckwelle hat die Fenster zerfetzt. | |
| Ich habe die Mädchen unter Bergen von Glas begraben gefunden. Gott sei Dank | |
| war ihnen nichts passiert. Aber an diesem Tag habe ich mir versprochen, | |
| dass ich etwas tun werde.“ | |
| Seither ist Abu Nur Teil der zivilen Bewegung, die halb versteckt in den | |
| befreiten Vierteln von Aleppo Schulen wiedereröffnet. Er ist auch | |
| derjenige, der mich zu Mariams Schule führt, im Viertel Mashad. Von außen | |
| vermutet man keine Schule. Es ist ein gewöhnliches Mietshaus, in einer | |
| unscheinbaren Ecke. In der Wohnung dient jeder Raum als Klasse für je 30 | |
| Kinder. Stühle und Bänke hat man aus Schulen geholt. Es fehlen aber Stifte | |
| und Hefte. Und wie im Rest der Stadt gibt es mal Strom, mal keinen. | |
| Höchstens ein paar Stunden am Tag. | |
| „Wir können die Schulen nicht benutzen“, erklärt Abu Nur. Der Freien | |
| Syrischen Armee dienen manche Schulen als Stützpunkte, und das setzt die | |
| Schulen der Gefahr einer Bombardierung aus. Wenn die Kinder getroffen | |
| würden, gäbe es ein Blutbad. Deswegen organisieren wir uns in Wohnungen. | |
| Die Lehrer sind Freiwillige.“ | |
| ## Mindestens 30 Tote | |
| Außerhalb des Gebäudes ist die Explosion eines Mörser zu sehen. Die Front | |
| ist höchstens 300 Meter von der Schule entfernt. Aber die Kinder zucken | |
| nicht mit der Wimper. Sie haben sich daran gewöhnt. Im Gegenteil, sie | |
| vertreiben sich die Zeit damit, die Geräusche der verschiedenen Waffen zu | |
| erkennen und zu imitieren. Die Kalaschnikow, den Granatwerfer, die Duschka, | |
| die RPG, die MIG, die Grad, den Luftschutz. Als wäre es ein Spiel, | |
| Zeitvertreib in einer museal anmutenden Manufaktur aus Zeiten des Krieges. | |
| Aber draußen ist es die Realität, die einen in jedem Moment daran erinnert, | |
| dass es kein Scherz ist. Es passiert am gleichen Nachmittag, nach dem | |
| Mittagessen, zweihundert Meter von der Schule entfernt. Ein Militärflugzeug | |
| des Regimes wirft zwei Bomben ab, die zwei ganze Häuser in Trümmer legen. | |
| Mindestens dreißig Tote, alles Zivilbevölkerung. | |
| Die Menschenmenge läuft dorthin, um mit den bloßen Händen unter den noch | |
| rauchenden Steinen nach Überlebenden zu suchen. Zuerst finden sie den | |
| Leichnam eines Mannes, dann einen anderen. Dann einen Jungen, und dann auch | |
| noch ein Mädchen. Voller Blut und Schutt. Keine Ahnung, ob sich in jenem | |
| Gebäude im Moment der Explosion auch die kleine Mariam befand. Aber mit | |
| Sicherheit ihre Prinzessin. | |
| 3 Mar 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Gabriele Del Grande | |
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| Lakhdar Brahimi | |
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