# taz.de -- Dschihadisten in Syrien: „Das Ausland versteht sie falsch“ | |
> Die Mitglieder der Nusra-Front sind die schlagkräftigsten Gegner des | |
> syrischen Regimes. In Deir al-Sor wollen sie einen islamischen Staat | |
> errichten. Ein Besuch. | |
Bild: Islamisten beim Gebet in der Nähe von Deir Al-Sor. | |
DEIR AL-SOR taz | „Die Front wird siegen über die Tiere, die Front wird | |
siegen über die Ungläubigen!“ Es ist ein beliebtes Lied irakischer | |
Dschihadisten, auf dessen Melodie ein Unterstützer der syrischen | |
Aufständischen von Dschabhat al-Nusra (Unterstützungsfront) diese Verse | |
gedichtet hat. | |
Muthanar hört sie jeden Tag, während er mit dem Auto durch die zerstörten | |
Straßen von Deir al-Sor fährt. Er ist Medienaktivist, verkauft Videos an | |
den arabischen Satellitensender Aljazeera, dokumentiert die Kämpfe in | |
seiner Heimatstadt aber auch im Auftrag islamistischer Brigaden. | |
Die Nusra-Front, die Medienvertretern nicht erlauben, ihre Operationen zu | |
filmen, und deren Mitglieder ihre Gesichter unter schwarzen Sturmhauben | |
verbergen, bewundert er. „Das Ausland versteht sie falsch, brandmarkt sie | |
als Terroristen. Dabei wehren sie sich lediglich gegen die Unterdrückung | |
der Sunniten durch das Assad-Regime“, betont er. | |
War die Nusra-Front seit Anfang Januar 2012 zunächst nur Experten ein | |
Begriff, prägt die Furcht vor ihnen inzwischen die Außenpolitik des Westens | |
- was zuletzt in der massiven Aufrüstung gemäßigter Rebellen nahe der Stadt | |
Deraa im Süden mündete. | |
## Islamisten kontrollieren strategisch wichtigen Gebiete | |
Landesweit stellen die Nusra-Front und die ähnlich agierenden Ahrar Al-Sham | |
nun bis zu 25 Prozent aller Kämpfer, wie es in einem Bericht des Schwedish | |
Institute for Forgein Affairs heißt. Ihre militärische Schlagkraft | |
übersteigt die anderer Gruppen deutlich. Insbesondere im Osten Syriens | |
kontrollieren die Dschihadisten inzwischen nahezu alle strategisch | |
wichtigen Gebiete wie Ölquellen, Verkehrsknotenpunkte und zahlreiche | |
öffentliche Gebäude. | |
Ein schwerer, goldener Vorhang verwehrt den Blick in die Basis. Eine | |
einzelne schwarze Märtyrer-Flagge prangt darauf. Das Hauptquartier der | |
Nusra-Front in Deir al-Sor liegt versteckt, ein aufgeschütteter Trümmerwall | |
versperrt die Straße in eine Richtung. Die Flure führen zu provisorischen | |
Matratzenlagern, leere Konserven und Kleidung liegen herum. An den Wänden | |
hängen Flaggen des Dawlat al-Iraq al-Islamia, eines Dachverbandes | |
irakischen al-Qaida-Verbündeter. Die Nusrat-Front hat zahlreiche | |
islamistische Kämpfer aus Libyen, dem Irak und dem Kosovo aufgenommen. Die | |
Errichtung eines islamischen Staates in Syrien ist ihr erklärtes Ziel. | |
„Wir sind nicht Teil dieser Revolution, sondern verteidigen unseren | |
Glauben“, erklärt Abu Ishaq, Sprecher einer Nusra-Kampfeinheit im Stadtteil | |
Scheich Jassin. „Unser Dschihad besteht nicht nur aus dem Kampf, sondern | |
auch darin, die Bevölkerung mit Nahrung und Medizin zu versorgen.“ | |
Insbesondere in Großstädten wie Aleppo und Deir al-Sor hat die Nusra-Front | |
gemeinsam mit islamistischen Stiftungen aus den Golf-Staaten in den | |
Wintermonaten ein Netz an Sozialstationen errichtet - Koranschule meist | |
inklusive. War die Front bis vor einem halben Jahr darum bemüht, ihre | |
Kampfkraft zu stärken, mischt sie sich nun verstärkt in den Wiederaufbau | |
ein. Das sorgt für Konfliktpotenzial. | |
Im Januar 2013 verkündete eine im Vorort Meyadin stationierte Nusra-Einheit | |
die Einführung ihrer Interpretation der Scharia. Eine Religionskommission | |
und -polizei überwacht seitdem deren Einhaltung, faktisch ist es jedoch | |
eine Willkürherrschaft. In einem umfangreichen Bericht hat Amnesty | |
International Mitte März zusammengetragen, welcher Verbrechen sich | |
bewaffnete Gruppen in Deir al-Sor schuldig gemacht haben: verhaftete | |
Soldaten wurden vor laufenden Kameras geköpft, mehrere Rebellen brüsteten | |
sich damit, die Leichen getöteter Soldaten verbrannt zu haben - ein Bruch | |
mit islamischen Bestattungstraditionen, die auf die Schmähung der Toten | |
zielt. | |
## Auseinandersetzungen mit gemäßigten Gruppen | |
Immer häufiger kommt es auch zu Streitigkeiten und Schießereien zwischen | |
gemäßigten und radikalen Rebellengruppen. In Meyadin protestierten Mitte | |
März erstmals mehrere Dutzend Menschen gegen die Nusra-Front. Mehrere | |
Oppositionsgruppen versuchen, den Einfluss der Organisation zurückzudrängen | |
- bislang ohne Erfolg. In Deir al-Sor entstammen diese Gruppen jedoch nicht | |
der liberalen Opposition, sondern wurzeln in den tribalen-konservativen | |
Strukturen Ostsyriens. | |
Lokale Dorfautoritäten versuchen, Verantwortung für die Neugestaltung zu | |
übernehmen. Ahmed al-Hadsch war Angestellter der Handelskammer von Deir | |
al-Sor, nur wenige Jahre vor der Rente, er bezieht aber bis heute sein | |
staatliches Gehalt. Die Zerstörung seiner Heimatstadt hat ihn politisiert. | |
„In Wahrheit haben wir längst einen Krieg der Religionen in Syrien. Das | |
Regime lehrte uns Jahrzehnte lang, zu stehlen und zu betrügen und dann ließ | |
der Westen uns im Stich.“ | |
Sein politisches Vorbild sieht er im autokratisch herrschenden ägyptischen | |
Muslimbruder Muhammad Mursi. Er schätzt jedoch auch den Oppositionellen | |
Michel Kilo, der aus einer christlichen Familie stammt. „Das Land liegt im | |
Chaos, doch wir beobachten sehr genau, wer in den letzten zwei Jahren wie | |
gehandelt hat“, sagt er mit Blick auf Vorwürfe der Unterschlagung gegen | |
führende Oppositionsvertreter. „Wir möchten eine Regierung, die vom Islam | |
und unseren traditionellen Werten geprägt ist.“ Radikalität hat im Weltbild | |
des Familienvaters jedoch keinen Platz, es ist geprägt von Stolz und Würde | |
- nicht von blindem Eifer. | |
4 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Nils Metzger | |
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