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# taz.de -- Opposition in Russland: Wahlbeobachter als Auslandsagenten
> Die Gruppe Golos ist die erste NGO, die einem verschärften Gesetz zum
> Opfer fällt. Sie hatte bei den Wahlen 2011 und 2012 Rechtsverstöße
> nachgewiesen.
Bild: Hat die Jagd auf „Auslandsagenten“ eröffnet: Russlands Präsident Wl…
MOSKAU taz | Die russischen Behörden haben ihre Drohung wahrgemacht und der
ersten russischen Nichtregierungsorganisation (NGO) das Label
„ausländischer Agent“ verliehen. Im November 2012 war ein verschärftes
Gesetz in Kraft getreten, wonach sich vom Ausland mitfinanzierte NGOs als
„ausländische Agenten“ neu registrieren lassen müssen.
Bislang war dieser diffamierenden Verpflichtung keine Organisation
nachgekommen. Auch die Behörden zögerten, da sich das mit heißer Nadel
gestrickte Gesetz nicht zweifelsfrei umsetzen lässt. Präsident Wladimir
Putin erteilte den Behörden im Februar auf einer Versammlung des
FSB-Geheimdienstes indes den endgültigen Marschbefehl.
Dass es ausgerechnet die NGO Golos (Stimme) als Erste trifft, ist kein
Zufall. Die Organisation, die sich mit Wahlüberwachung befasst,
Wahlbeobachter schult und sich für die Einhaltung von Wählerrechten
starkmacht, ist dem Kreml seit Langem ein Dorn im Auge. Vor und während der
Dumawahlen 2011 hatte Golos auf Rechtsverletzungen hingewiesen und die
Proteste gegen den Wahlbetrug der Kremlpartei mit Beweismitteln versehen.
Damit soll jetzt Schluss sein. Laut Justizministerium fällt Golos in die
Kategorie von „Nichtregierungsorganisationen, die die Funktion
ausländischer Agenten“ ausübten, da sie nicht nur Geld aus dem Ausland
erhalte, sondern sich auch politisch betätige. Als Beweis führt das
Justizministerium an, dass sich Golos für „Änderungen im Wahlgesetz“
einsetze und damit „Einfluss auf Entscheidungen staatlicher Organe“ nehme.
Der Groll der politischen Machthaber, so der Politologe Dmitri Oreschkin,
gelte insbesondere den Wahlbeobachtern, die nachweisen konnten, dass ein
Drittel der Abgeordneten der Kremlpartei Vereinigtes Russland nicht
rechtens zu ihren Mandaten gelangt seien.
Auch während der Wiederwahl Wladimir Putins ins Präsidentenamt im März 2012
hatten Beobachter erhebliche Unregelmäßigkeiten festgestellt. In dem
bevorstehenden Gerichtsverfahren droht Golos eine Geldstrafe von 300.000
bis 500.000 Rubel (12.500 Euro). Sollte auch die Direktorin Lilia
Schibanowa belangt werden, muss sie mit einer Strafe von 300.000 Rubel
rechnen. „Wir haben dieses Geld nicht“, sagt Schibanowas Stellvertreter
Grigori Melkonanz. „Nach Inkrafttreten des Gesetzes haben wir auf Gelder
aus dem Ausland ganz verzichtet.“
## Suche nach russischen Sponsoren
Golos finanziert sich zurzeit nur noch aus russischen Spenden, die die
Kosten aber bei weitem nicht decken. Händeringend wird nach einheimischen
Mäzenen gesucht. Da auch russische Sponsoren mit Repressionen rechnen
müssen, ist deren Spendenbereitschaft nicht allzu groß. Das
Justizministerium behauptet überdies, Golos hätte auch nach Inkrafttreten
des Gesetzes noch Fremdgelder erhalten.
Im Herbst war den Wahlbeobachtern der Sacharow-Preis für Bürgerrechte des
norwegischen Helsinki-Komitees zugesprochen worden. Die 7.728 Euro
Preisgeld hatte Golos zurücküberwiesen. Die Belege der Transaktion sind
vorhanden, ob das Gericht sie jedoch als Beweismittel akzeptiert, bleibt
fraglich.
Beobachter fürchten, dass Golos die Arbeit ohnehin demnächst einstellen
muss. Selbst wenn die Strafe entrichtet würde, käme die NGO nicht umhin,
sich als Agent registrieren zu lassen. Lilia Schibanowa lehnt dies jedoch
ab. In der russischen Zivilgesellschaft ist umstritten, ob man sich nicht
lieber „diffamieren“ lassen sollte, um wenigstens arbeitsfähig zu bleiben.
Nach ersten Schauprozessen gegen die Zivilgesellschaft, so hoffen einige,
werde sich auch die Haltung der Gesellschaft gegenüber vermeintlichen
„ausländischen Agenten“ ändern.
In einem Brief forderten Menschenrechtler den Kremlchef am Donnerstag auf,
seine Behauptung mit Zahlen zu untermauern. Gegenüber der ARD hatte Putin
in einem Interview von einer Milliarde Dollar gesprochen, die NGOs aus dem
Ausland in den letzten vier Monaten erhalten hätten. Tatsächlich dürfte es
nur ein Bruchteil dessen gewesen sein.
11 Apr 2013
## AUTOREN
Klaus-Helge Donath
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