| # taz.de -- Bürgernähe in Russland: Volksdialog mit Wladimir Putin | |
| > Der Präsident stellt sich im Fernsehen Fragen eines handverlesenen | |
| > Publikums. Das Thema Repressionen gegen die Opposition wird schnell | |
| > abgehakt. | |
| Bild: Auch in Sotschi konnten die Menschen ihren Präsidenten Wladimir Putin im… | |
| MOSKAU taz | Russlands Präsident Wladimir Putin ist in bester Verfassung. | |
| Mehrere Stunden stand der Kremlchef wach und aufmerksam am Donnerstag im | |
| „Dialog mit dem Volk“. Das Gespräch im staatlichen Fernsehen mit | |
| handverlesenen Bürgern im und aus dem ganzen Land findet seit 2001 einmal | |
| jährlich statt und gehört inzwischen zum festen Ritual inszenierter | |
| Bürgernähe. | |
| Neu in diesem Jahr ist der Zeitpunkt. Die Veranstaltung wurde auf Wunsch | |
| des Kremlchefs vom Winter in den Frühling verlegt. Damit wollte man dem | |
| Dialogpartner entgegenkommen und ihn nicht mehr in klirrender Kälte Stunden | |
| warten lassen. Doch auch der Frühling hat noch seine Tücken. | |
| Mit fünf Stunden intensiver Kommunikation und mehr als drei Millionen | |
| Fragen und Anrufen stellte Wladimir Putin überdies einen neuen Rekord auf - | |
| wie jedes Jahr. Je länger der Dialog und je mehr Bürgerfragen, desto enger | |
| ist die Beziehung des Präsidenten zum Souverän, versucht Putins Mannschaft | |
| zu suggerieren. | |
| Diese Rechnung ging nicht ganz auf, denn es liess sich nicht verbergen, | |
| dass sich Putin vor allem als Anwalt von Rentnern, Arbeitern und Leuten im | |
| Staatsdienst präsentierte - all jenen, die von Zuwendungen des Staates | |
| leben. Im Detail ging er auf deren soziale und materielle Anliegen ein. Für | |
| alles hatte der diesmal sanfte Patriarch Wissen und Lösungen parat. | |
| ## Weniger Künstler und Intellektuelle im Publikum | |
| Der Zufall wollte es, dass einer kinderreichen Familie an der Pazifikküste | |
| noch während der Sendung der Wunsch nach einem eigenen Spielplatz erfüllt | |
| wurde. Die bislang unkooperativen Beamten, mehrere Zeitzonen von Moskau | |
| entfernt, empfingen die Botschaft sofort und handelten. Eine andere Wahl | |
| blieb ihnen nicht. Darauf ruht die Crux des Drehbuchs. | |
| Auffallend war, dass im Vergleich zu den Vorjahren noch weniger | |
| Intellektuelle und Künstler im Publikum saßen. Der Kremlchef hat sich | |
| offensichtlich damit abgefunden, dass er nur noch einen Teil der | |
| Bevölkerung vertritt. | |
| Die antidemokratischen Gesetzesmaßnahmen, die Putin seit seiner Rückkehr in | |
| den Kreml 2012 durch die Duma peitschte, um den Widerstand der Opposition | |
| zu kriminalisieren, wurden zwar angesprochen. Der liberale Chefredakteur | |
| des halbwegs unabhängigen Radiosenders Echo Moskau, Alexej Wenediktow, | |
| durfte danach fragen. | |
| Trotzdem ließ sich der Alibi-Charakter nicht verbergen. Putins Haltung | |
| verkrampfte sich. Mit aggressivemUnterton verteidigte er die Maßnahmen im | |
| Interesse von Gesetz und Ordnung. Für die „mutige“ Frage des Moderators, ob | |
| die Machthaber in Russland vor dem Antikorruptionsblogger und | |
| Oppositionellen Alexej Nawalny Angst hätten und ihn deshalb wegen | |
| angeblicher Veruntreuung vor Gericht stellten, hatte der Präsident die | |
| Antwort auch schon vorbereitet: „Leute, die gegen Korruption kämpfen, | |
| müssen selbst eine weiße Weste haben. Nur weil irgendwer 'Haltet den Dieb' | |
| ruft, darf er nicht selbst stehlen.“ | |
| Überdies trat Präsident Putin den seit Monaten kursierenden Gerüchten | |
| entgegen, die Tage seines Premierministers Dmitri Medwedjew seien gezählt. | |
| Chaos in der Personalpolitik sei nicht seine Sache, meinte der Kremlchef. | |
| Zur Außenpolitik äußerte sich der 60jährige nur kurz. Nach dem Bostoner | |
| Terrorangriff werde man mit den USA bei der Terrorbekämpfung enger | |
| zusammenarbeiten, sagte er. Dass sich die Beziehungen zum Westen seit | |
| seinem Amtsantritt 2012 abgekühlt hätten, sah der Präsident auch nicht als | |
| erwiesen an. Momente, die an den Kalten Krieg erinnerten, seien schon seit | |
| Ausbruch des Irakkrieges 2002 zu erkennen gewesen, meinte er. | |
| Auf die bissigen und im Volke geschätzten verbalen Tiraden gegen Gegner im | |
| In-und Ausland, mit denen Putin sonst seine Auftritte würzt, verzichtete er | |
| diesmal. Die Vorselektion der Bürger soll in diesem Jahr noch gründlicher | |
| gewesen sein als früher, obwohl es schien, als hätte sich Wladimir Putin | |
| damit abgefunden, nur noch Präsident eines Teils seines Volkes zu sein. | |
| 25 Apr 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus-Helge Donath | |
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