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# taz.de -- Freiheit der Wissenschaft: Doktor Vattenfall
> Ein Vattenfall-Manager schreibt für seinen Doktor ab. Die Promotion darf
> er behalten. Der Konzern sponsert die Brandenburgische Technische
> Universität.
Bild: Kohle, Kohle, Kohle. Vattenfall zeigt sich bisweilen auch Universitäten …
Vattenfall und die Brandenburgische Technische Universität (BTU) Cottbus
verbindet eine fruchtbare Beziehung. Allein an Drittmitteln erhielt die
Universität 2011 mehr als 800.000 Euro von dem Konzern. Bei weiteren
Forschungsprojekten ist Vattenfall auch als Kooperationspartner
verzeichnet. Am 22. Dezember 1999 ging hingegen einem Professor die
Partnerschaft zu weit.
Damals hatte der Manager Detlev Dähnert seine Kollegen zur mündlichen
Doktorprüfung mitgebracht. Mitarbeiter der Lausitzer Braunkohle AG (Laubag)
– mittlerweile Vattenfall Europe Mining – versammelten sich im Hörsaal der
BTU und setzten sich in die erste Reihe. Ein Fauxpas, denn die ist
eigentlich für den Promotionsausschuss reserviert. Erst nach einer
Beschwerde hätten sie die Plätze freigemacht, sagt ein Professor.
„Die vermittelten den Eindruck, das Promotionsverfahren in der Hand zu
haben“, erinnert sich Wolfgang Schluchter, Professor am Lehrstuhl für
Sozialwissenschaftliche Umweltfragen. Der Mann ist Dähnerts Doktorvater. Er
sagt: „Die Universität hat das Verfahren in der Hand und sonst niemand.“
Die Geschichte um die Promotion des Vattenfall-Mitarbeiters Dähnert nährt
jedoch Zweifel an der Unabhängigkeit der Wissenschaft.
Seit zwei Jahren gibt es Hinweise, die ein Plagiat Dähnerts nahe legen.
Doch die Universität prüft diese Vorwürfe nur selektiv. Der taz liegt der
Abschlussbericht der zuständigen „Kommission zur Überprüfung von Vorwürfen
wissenschaftlichen Fehlverhaltens“ an der BTU vor. Daraus ergibt sich, dass
manche verdächtige Passagen nicht geprüft wurden. Die Wissenschaftler
arbeiteten so nachlässig, dass sogar das brandenburgische
Wissenschaftsministerium eine gründliche Auswertung anmahnte. Mehrfach.
Doch die Uni stellte sich quer.
## Uni klagt gegen eigenen Dienstherren
Gegen die jüngste Anordnung aus Potsdam hat sie nun eine Klage eingereicht.
Die Kollegen im zuständigen Ministerium in Brandenburg staunen:
„Grundsätzlich sind rechtsaufsichtliche Anordnungen des Ministeriums gegen
die Hochschulen eher selten. Noch seltener wird dagegen geklagt“, sagt ein
Sprecher.
Darf Dähnert seinen Doktortitel behalten, weil er für Vattenfall arbeitet?
Der Fall beginnt im Jahr 1994. Unter der Lausitz liegt Braunkohle, die
Dähnerts Konzern abbauen will. Stehen Häuser im Weg, müssen sie den Baggern
weichen. Um den Konflikt mit der Bevölkerung zu mildern, hört sich Dähnert
die Beschwerden an und plant den Wiederaufbau der Dörfer an anderer Stelle.
Das Dorf Haidemühl in der Niederlausitz, das dem Tagebau weichen muss. Das
soll sein Promotionsthema werden.
Wolfgang Schluchter forscht dazu, wie Bürger in die Planung von
Großprojekten einbezogen werden können. Zwar ist Schluchter Mitglied bei
den Grünen, engagiert sich in der Anti-Atom-Bewegung und kritisiert
Energiekonzerne. Weil ihn aber Dähnerts Vorhaben interessiert, übernimmt er
die Betreuung. „Solche Doktorarbeiten schildern interne Vorgänge, über die
man sonst nichts erfahren würde, die aber von erheblichem öffentlichen
Interesse sind“, sagt er.
Dähnert arbeitet weiter für die Laubag und setzt sich nebenbei an seine
Dissertation. Solche externen Promotionen müssen nicht schlecht ausfallen.
„Durch den Praxisbezug ist es auch möglich, dass externe Doktoranden
besonders gute Ergebnisse abliefern“, sagt Norman Weiss, Vorsitzender des
Doktorandennetzwerks Thesis.
Im Juli 1999 reicht Dähnert die Doktorarbeit ein. Der Leser erfährt, dass
die Umsiedlung den meisten Einwohnern Sorgen bereitet. Dass das Unternehmen
den Förderverein der örtlichen Grundschule unterstützt, um die Bewohner
milde zu stimmen. Und dass in Neu-Haidemühl eines Tages dieselben Bäume
wachsen sollen wie im alten Ort.
## Eher ein Werkstattbericht als eine Dissertation
Die Dissertation umfasst 121 Seiten. Ein „Werkstattbericht“ ohne
„wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung“, zu diesem Fazit kommt
sogar die BTU-Kommission, die die Doktorarbeit 13 Jahre später nach
Plagiaten durchsucht.
Besonders genau hat Dähnert auf den 121 Seiten nicht gearbeitet. So
wechselt er die Zitierweisen willkürlich. Vor allem aber: 30 Passagen
kopiert er wörtlich aus einem Buch seines Doktorvaters. Die Quelle nennt er
nur bei fünf der Passagen, Anführungszeichen setzt er nicht. Als Schluchter
die Arbeit begutachtet, erkennt er die Textstellen wieder, stört sich aber
nicht daran. „Immerhin hat Dähnert mein Buch überhaupt als Quelle genannt�…
sagt der Doktorvater.
Natürlich erkennt er, dass die Dissertation auch darüber hinaus nicht viel
wert ist. Trotzdem lässt er seinen Doktoranden nicht durchfliegen. Die
Arbeit wird mit „cum laude“ bewertet. „Ich habe mich nicht unter Druck
gesetzt gefühlt, weil Dähnert bei der Laubag war“, sagt Schluchter. „Aber
ich wollte mich in dem Zusammenhang auch nicht mit der Universität
anlegen.“
Denn es existiert ein ähnlicher Fall: „Doktortitel erbaggert“, titelt der
Spiegel 1996, als die Universität den Vorstandsvorsitzenden des
Unternehmens zum Ehrendoktor ernennt. Das Magazin schreibt: „Laubag-Boß
Schwirten ist Mitglied des TU-Fördervereins; Laubag und Uni betreiben
gemeinsame Forschungsprojekte, bei denen laut Universität ’enorme
Dritt-Mittel fließen‘.“
Dähnert erhält seinen Doktortitel, die Angelegenheit ist erledigt, bis im
Spätsommer 2011 die Internetseite VattenPlag online geht. Irgendjemand hat
sich die Doktorarbeit noch einmal vorgenommen, nach Plagiaten gesucht und
etwas gefunden. Dähnert hatte sich offenbar nicht nur bei seinem
Doktorvater bedient.
## 125 Passagen aus fremden Texten
Manche Passagen können als Flüchtigkeitsfehler durchgehen, etwa die
Anführungszeichen zu vergessen. Allerdings stimmt Dähnerts Doktorarbeit
über drei Seiten fast wörtlich mit einem Text aus der Bergbauzeitschrift
Surface Mining überein. Der Artikel erschien im Mai 1999, die Autoren
planten damals für RWE Umsiedlungen in Nordrhein-Westfalen.
Schließlich prüfen auch die Plagiatsjäger von [1][VroniPlag Wiki] die
Dissertation. Nach zwei Monaten listen sie 125 Passagen auf, die aus
fremden Texten stammen – und die Dähnert nicht korrekt als Zitat
kennzeichnete. Ein Versehen? Dähnert selbst ist für die taz nicht zu
erreichen. Debora Weber-Wulff, Informatikprofessorin an der HTW Berlin,
arbeitet auf VroniPlag Wiki mit. Sie sagt: „Wenn ein Student oder eine
Studentin so etwas abliefert, werte ich es als glasklares Plagiat und gebe
als Note eine 5,0.“
Die Universität reagiert Ende 2011 auf die Vorwürfe gegen Dähnert. Die
Uni-Kommission leitet ein förmliches Untersuchungsverfahren ein. Mit
merkwürdiger Intention: „Die Kommission ist sehr daran interessiert, die
betroffene Person zu schützen“, heißt es im Abschlussbericht, der der taz
vorliegt.
Tatsächlich wird viel unternommen, um Dähnert und seinen Doktortitel zu
schützen. So schaltet die Kommission zwar Wolfgang Löwer ein, Juraprofessor
und Ombudsman der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Die eindeutigsten
Vorwürfe legt sie ihm aber nicht vor. So hat er den Artikel aus der
Bergbauzeitschrift nach eigenen Angaben nie gesehen. Gegenüber der taz will
sich die BTU wegen des laufenden Verfahrens nicht äußern.
## Merkwürdige Zahlen
Zwei kritische Punkte vermerkt Löwer in seinem Gutachten trotzdem: Da sind
zum einen die Passagen, die Dähnert von seinem Doktorvater kopierte. Die
Kommission hakt bei Schluchter nach. Dieser fühlt sich noch immer nicht
plagiiert, für die Kommission ist der Punkt damit erledigt. Ein
ungewöhnliches Verfahren. „Das Gefühl des Autors spielt für die Beurteilung
eines Plagiats keine Rolle. Entscheidend ist, dass die Leser über die
Herkunft der Zeilen getäuscht werden“, sagt Plagiatsexpertin Weber-Wulff.
Eine Einschätzung, der auch Löwer zustimmt.
Und da ist zum anderen eine Umfrage der Laubag im Anhang der Doktorarbeit.
Die Zahlen dort stimmen mit denen in der Originalquelle nicht überein. Ein
Hinweis darauf, dass Dähnert die Zahlen gefälscht haben könnte. Die
Kommission hakt bei Dähnert selbst nach. Der sagt, er könne sich den
Unterschied „nicht abschließend erklären“. Damit ist für die Kommission
auch dieser Punkt erledigt. Ihr Fazit: „In keinem Fall konnte der Verdacht
des Plagiats und der absichtlichen Datenfälschung erhärtet werden.“
Die Öffentlichkeit bekommt von den Details nichts mit. Die Universität
veröffentlicht am 12. Juni 2012 eine Pressemitteilung. Darin heißt es
knapp: „Die Kommission und der externe Gutachter sind zum Schluss gekommen,
dass es sich bei den festgestellten Problemstellen in der Arbeit um
handwerkliche Schwächen aber nicht um Plagiate handelt.“
Conrad Kunze gibt sich damit nicht zufrieden. Der Doktorand und
wissenschaftliche Mitarbeiter der BTU setzt sich zwei Tage lang über
Dähnerts Dissertation und prüft die Vorwürfe. Als er fertig ist, schreibt
er einen offenen Brief. Er wisse nicht, „warum es sich bei der Dissertation
nicht um ein Plagiat handeln sollte“. Die Universität solle den
Abschlussbericht ihrer Kommission veröffentlichen. Anders lasse sich der
Verdacht nicht ausräumen, dass ein Zusammenhang mit dem Vattenfall-Geld
besteht. Die Universität veröffentlicht den Bericht nicht.
Trotzdem wirkt der offene Brief. Doktorvater Schluchter erfährt erst durch
Kunze von den heftigsten Plagiatsvorwürfen und schaut sie sich selbst an.
„Dähnert hat absolut plagiiert“, sagt der mittlerweile emeritierte
Professor. Die Kommission habe extrem nachlässig gearbeitet. „Der
Opportunismus trieft da aus allen Nähten.“
## Doktorurkunde entziehen
Der offene Brief erreicht auch das brandenburgische
Wissenschaftsministerium in Potsdam. Die Beamten dort sind von der Arbeit
der Kommission ebenfalls nicht überzeugt und weisen die Universität an, die
Plagiatsvorwürfe erneut zu begutachten. Die Kommission macht sich noch
einmal an die Arbeit. Und entlastet Dähnert wieder. „Die wesentlichen
Punkte hat die Kommission auch beim zweiten Mal nicht berücksichtigt“, sagt
ein Ministeriumssprecher.
Das Ministerium gibt nicht klein bei. Am 27. Februar 2013 weist es die
Universität an, ein drittes Mal zu prüfen. Diesmal wirklich gründlich. Doch
die Kommission weigert sich, und die Universität reicht beim
Verwaltungsgericht Cottbus Klage ein. Die Begründung ist im Ministerium
noch nicht eingegangen. Die BTU selbst will der taz nicht erklären, warum
sie vor Gericht zieht. Nur eines teilt die Pressestelle mit: Inzwischen
beschäftige sich auch der Rat der Fakultät 4, an der Dähnert einst
promovierte, mit dessen Doktorarbeit. Worum es genau geht, ist nicht zu
erfahren.
Einen Hinweis liefert aber die Promotionsordnung. Darin steht: Hat ein
Akademiker geschummelt, kann ihm auch der Fakultätsrat den Doktortitel
aberkennen. Und die Doktorurkunde einziehen.
17 Apr 2013
## LINKS
[1] http://de.vroniplag.wikia.com/wiki/Dd
## AUTOREN
Tobias Schulze
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