# taz.de -- Thomas de Maizière über Afghanistan: „Man kann nicht einfach w… | |
> Sicherheit für den Wiederaufbau will Verteidigungsminister de Maizière. | |
> Deshalb sollen nach dem offiziellen Abzug bis zu 800 deutsche Soldaten in | |
> Afghanistan bleiben. | |
Bild: Die Bundeswehr soll auch nach 2015 im Norden Afghanistans bleiben, sagt d… | |
taz: Herr de Maizière, erst wollten Sie noch im Frühling über den Kauf | |
einer Kampfdrohne für die Bundeswehr entscheiden. Dann wurden Sie | |
öffentlich von Ihrer Fraktion und von Wirtschaftsminister Philipp Rösler | |
zurückgepfiffen … | |
Thomas de Maizière: Nein. Ich habe selbst die Debatte über die Drohnen im | |
vergangenen Sommer eröffnet. Dann wachte die Opposition auf und monierte, | |
man solle keine überstürzte Entscheidung treffen, sondern ethische Fragen | |
klären und die Wahl abwarten. | |
Sie sagen, Sie geben bloß der Opposition ihren Willen? | |
Nein. Aus vielen Gründen ist so eine Beschaffung auch so schnell gar nicht | |
möglich. Deshalb haben wir in der Koalition schon vor Wochen beschlossen, | |
den Bundestag erst nach der Wahl damit zu befassen. Meine Fraktion, die FDP | |
und ich waren uns darin immer vollkommen einig. | |
Trotzdem bleibt nach Ihrem Plädoyer für die Kampfdrohne nun der Eindruck, | |
Sie wüssten nicht, wie empfindlich die Öffentlichkeit auf solche | |
Waffenkäufe reagiert. | |
Ich mahne ja stets, dass wir in Deutschland – jenseits der Expertenzirkel – | |
mehr über Krieg, Frieden und Sicherheitspolitik diskutieren sollten. Jetzt | |
haben wir am Beispiel der Kampfdrohne eine solche Debatte, da werde ich | |
darüber nicht meckern. Im Gegenteil, ich begrüße diesen Diskurs. | |
Wollten Sie mit dem Thema Drohnen-Beschaffung bloß ein bisschen | |
provozieren? | |
Natürlich nicht. Wir müssen aber lernen, auseinanderzuhalten, dass der | |
Besitz von bewaffneten Drohnen nicht identisch ist mit der Art, wie sie | |
derzeit mit hoher medialer Aufmerksamkeit von den Amerikanern angewendet | |
werden. Diese Art des Einsatzes – die gezielten Tötungen von Gegnern etwa | |
in Pakistan – käme für uns nicht infrage. Wenn wir bewaffnete Drohnen | |
haben, werden sie uns bei unseren vom Deutschen Bundestag mandatierten | |
Einsätzen im grundgesetzlichen Rahmen helfen. | |
… nicht mehr aber in Afghanistan. 600 bis 800 deutsche Soldaten sollen nach | |
2014 noch im Land bleiben. Das haben Sie angekündigt, ohne dass Nato oder | |
USA darum gebeten hätten. Bislang hat die Bundesregierung in Afghanistan | |
immer bloß auf US-Vorgaben reagiert. Warum preschen Sie jetzt vor? | |
Wir haben ein konditioniertes Angebot abgegeben, das auf den bisherigen | |
Nato-Planungen basiert. Diese gehen von 8.000 bis 12.000 Soldaten insgesamt | |
ab 2015 aus. Diese sollen außer in Kabul auch in Norden, Osten, Süden und | |
Westen vertreten sein – deshalb reden wir von einem „Speichenmodell“ mit | |
der Hauptstadt Kabul als Nabe. Wir haben jetzt frühzeitig, vorausschauend | |
und ermutigend gesagt, mit wie viel Kräften wir auch im Norden | |
Verantwortung zu übernehmen bereit sind. Wenn nun aber die USA, Italien | |
oder andere von diesem Modell abrücken, werden wir auch nicht dabeibleiben | |
können. Wir werden nicht als einziges Land außerhalb Kabuls präsent sein. | |
Gibt es Befürchtungen? | |
Keine Befürchtungen, sondern einen Blick nach vorn. Wir wollen dazu | |
beitragen, dass es bei der beschriebenen Planung auch bleibt. Manche | |
meinen, 8.000 bis 12.000 Soldaten seien zu viel. Das finden wir nicht. | |
Bedeutet „konditioniertes“ Angebot demnach, von Ihnen aus kann der deutsche | |
Anteil auch höher sein als 800 Soldaten? | |
Wir haben gesagt: circa 600 bis circa 800 Soldaten. Das ist unser Korridor. | |
Ist das realistisch? Ein paar hundert Leute für Wartung der Hubschrauber, | |
Betrieb des Lazaretts bis zur Frage, wer für Sicherheit sorgt, wenn die | |
Amerikaner abziehen? | |
So rechnen wir nicht. Das Mandat lautet ab 2015 Beratung, Unterstützung, | |
Hilfe – für eine begrenzte Zahl und einen noch zu bestimmenden hohen Rang | |
der afghanischen Kräfte. Für Schutz und Logistik braucht man natürlich auch | |
noch Kräfte. Aber das müssen ja nicht alles die Deutschen machen. Auch | |
aktuell wird das deutsche Lager in Masar-i-Scharif von der Mongolei | |
hervorragend geschützt. Es muss aber auch nicht alles vor Ort von Soldaten | |
gemacht werden. | |
Moment – Sie wollen bislang militärische Funktionen outsourcen? | |
Die Logistik in Masar-i-Scharif ist bislang auf einen Lagerbetrieb mit | |
mehreren tausend Soldaten samt Flughafen bezogen. Der Flughafen wird | |
hoffentlich zunehmend zivil genutzt werden und braucht dann auch nicht | |
zwingend militärisch betrieben und geschützt werden. | |
Alles weitere sollen dann ja die afghanische Armee und Polizei besorgen. | |
Gibt es historische Beispiele, dass so eine „Übergabe in Verantwortung“, | |
wie die Regierung das nennt, je funktioniert hat? | |
Ein Negativbeispiel ist die Sowjetunion: Sie ist 1989 ersatzlos aus | |
Afghanistan rausgegangen und sagt uns heute sehr offen und deutlich, dass | |
das ein Fehler war. | |
Auch der Abzug samt Verantwortungsübergabe der USA aus Vietnam ist | |
missglückt. Ist es nicht blanker Zweckoptimismus, zu behaupten, diesmal | |
könnte es in Afghanistan klappen? | |
Das können Sie nicht vergleichen. Die Frage ist doch, was wir gelernt | |
haben. Klar ist: Man kann nicht einfach „rein“ und wieder „raus“. Man m… | |
dafür sorgen, dass das, was erreicht wurde, nicht wieder preisgegeben, | |
sondern gesichert wird. | |
Das haben auch die USA in Vietnam versucht. Sie wollten eine | |
„Vietnamisierung des Kriegs“ … | |
… und mussten dann unter Hochdruck ihre letzten Leute mit dem Hubschrauber | |
herausholen. Sie haben damals keine vietnamesischen Soldaten über Jahre | |
partnerschaftlich ausgebildet – so wie wir das jetzt in Afghanistan machen. | |
Die internationale Gemeinschaft wird die afghanische Armee sogar noch für | |
einige Jahre bezahlen. | |
Nach dem Vietnamkrieg gab es in den USA das „Vietnam-Syndrom“. Man | |
schreckte vor Auslandseinsätzen lange zurück. Wird es in Deutschland ein | |
„Afghanistan-Syndrom“ geben – oder wird man eher wagemutiger werden, Mott… | |
„Schlimmer als Afghanistan wird’s nimmer“? | |
Zunächst einmal ist die Anerkennung für die deutschen Soldaten durch den | |
Afghanistan-Einsatz national wie international gewachsen. Die Bundeswehr | |
ist eine andere geworden durch Afghanistan – selbstbewusster, | |
internationaler. Und sie wird auch anders betrachtet. | |
Andere Einsätze – der Anti-Piraten-Einsatz Atalanta oder der im Kosovo – | |
zeigen uns aber, dass wir von Fall zu Fall entscheiden müssen, was leistbar | |
und was nötig ist. Ich kann nicht erkennen, dass diese Entscheidungen nun | |
davon abhängig gemacht werden, wie schwierig der Afghanistan-Einsatz war, | |
ist und auch bleiben wird. | |
Jeder Einsatz ist plötzlich und jeder ist anders? Kann es dann überhaupt | |
die viel zitierten lessons learned, die Lehren für den nächsten Einsatz | |
geben? | |
Natürlich, das ist ja schon die erste lesson learned. Viele sogenannte | |
Experten ereifern sich in der Momentaufnahme: „In Zukunft wird alles wie in | |
Libyen sein– alles Lufteinsätze.“ Oder: „In Zukunft wird alles wie in Ma… | |
sein – Ertüchtigung der örtlichen Kräfte.“ Doch ist es eben eine wichtige | |
Lektion, dass wir uns nicht umfassend auf den nächsten Einsatz vorbereiten | |
und gewesene Einsätze nicht einfach kopieren können. | |
Wir haben demnach nichts Konkretes aus Afghanistan gelernt. | |
Doch, selbstverständlich, etwa: Die Nato hat gelernt, wie wichtig es ist, | |
dass die Hubschrauber miteinander funken können und die Krankentragen in | |
alle Fahr- und Flugzeuge passen müssen. Auch ist klar geworden: Je weiter | |
man weg ist, umso mehr braucht man Partner vor Ort. Man muss Andersheit von | |
Kultur berücksichtigen. Ziele müssen realistisch sein, nicht | |
überschwänglich. Der Menschenrechtsaspekt ist wichtig, aber ist mit | |
militärischen Mitteln allein am schwierigsten zu erreichen. | |
Wieso sollen ausgerechnet bei der Durchsetzung von Menschenrechten die | |
militärischen Mittel versagen? | |
Mit Gewalt kann fortgesetztes Morden unterbunden werden, können Menschen | |
entwaffnet werden. Aber dann geht noch kein Mädchen zur Schule, und dann | |
ist noch keine Regierung im Amt, die Menschenrechte auch achtet. Wir haben | |
das in Afghanistan lernen müssen: Man kann ein Gebiet zurückerobern, aber | |
dann muss man es halten und aufbauen, indem man Straßen und Schulen baut | |
und Sicherheit gewährleistet. | |
Wenn sich an Afghanistan vor allem zeigt, wie abstrakt die Lehren daraus | |
bleiben: Ist Verteidigungspolitik überhaupt Politik oder nicht viel mehr | |
bloßes Ad-hoc-Krisenmanagement? | |
Nun, immerhin haben wir eine Bundeswehrreform beschlossen und setzen sie | |
um. Sie ist auf verschiedene, unvorhersehbare Einsätze ausgerichtet. | |
Auslandseinsätze sind Gott sei Dank ein reaktives Instrument. Deutschland | |
hat jedenfalls nicht die Absicht, aktiv und anlasslos ins Weltgeschehen | |
einzugreifen. In Afghanistan ist es gelungen, nach einem reaktiven Beginn | |
eine aktive Strategie zu finden. Aber insofern Sicherheitspolitik in Form | |
militärischen Eingreifens dazu da ist, Unsicherheiten und damit | |
Unvorhersehbarem zu begegnen, ist sie reaktiv, das ist wahr. | |
INTERVIEW: ERIC CHAUVISTRÉ, STEFAN REINECKE UND ULRIKE WINKELMANN | |
23 Apr 2013 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Winkelmann | |
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