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# taz.de -- Stadtpark in Istanbul besetzt: „Wir müssen unsere Bäume retten�…
> Tausende Bürger protestieren gegen die Zerstörung des zentralen Parks in
> Istanbul. Die Polizei setzt Tränengas ein – aber es kommen immer mehr
> Leute.
Bild: Park-Besetzer in Istanbul gegen Polizisten mit Gasmasken.
ISTANBUL taz | „Mein Name ist Azuhan. Ich bin Schauspielerin. Heute morgen
hat mich meine Mutter angerufen, um mir zu erzählen, dass die Polizei dabei
ist, brutal den Park zu räumen. Ich hab mich sofort auf den Weg gemacht.
Wir müssen unsere Bäume retten.“ Azuhan reicht das Mikrofon weiter an
Mehmet. „Ich bin pensionierter Lehrer. Ich lebe hier seit 40 Jahren. Für
ihren Profit wollen sie hier alles kaputt machen. Das dürfen wir nicht
zulassen.“
Mehmet und Azuhan gehören zu den rund 2.000 Istanbuler, die sich trotz
Tränengas, Wasserwerfern und massivem Polizeieinsatz am Donnerstagmorgen
nicht davon haben abschrecken lassen, ihren Park erneut zu besetzen. Seit
Dienstagvormittag, als im Gezi-Park unmittelbar neben dem zentralen
Taksim-Platz erstmals die Bulldozer anrückten, um die einzige grüne Oase in
der Stadtmitte einzuebnen, halten Istanbuler Bürger den Park jetzt besetzt.
„Am Anfang waren wir nur 30 bis 40 Leute“, erzählt Ayse, eine arbeitslose
Journalistin. „Aber innerhalb eines Tages sind daraus 2.000 bis 3.000 Leute
geworden.“ Zweimal hat die Polizei den Park geräumt, jedes Mal sind mehr
Leute zurückgekommen. „Was die hier machen, ist sowieso illegal“, sagt
Mücella Yapici, die Vorsitzende der Istanbuler Architektenkammer und eine
der Sprecherinnen der Platzbesetzer. Die gesamte Planung für das Areal wird
noch gerichtlich untersucht. „Wir rechnen erst in einer Woche mit einer
Entscheidung. Vorher dürfen die hier gar nichts machen.“
Diejenigen, von denen Mücella Yapici redet, sind die Stadtoberen von
Istanbul und in letzter Instanz Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Der
Taksim-Platz und der angrenzende Gezi-Park gehören zu den zentralen Stätten
der Türkei. Zur Zeit des Osmanischen Reichs bis in die 30er Jahre des
vorigen Jahrhunderts stand dort, wo jetzt der Park ist, eine riesige
Kaserne. Nach Gründung der türkischen Republik wurde die Kaserne abgerissen
und der Platz mitsamt dem Park zum zentralen Platz der Republik neu
gestaltet. „Erdogan“, glaubt Mücella Yapici, „will mit dem Umbau des Par…
und des Taksim-Platzes eine architektonische Machtdemonstration. Der Platz
der Republik soll ausradiert werden.“
## Neue Bäume pflanzen
Vielen der Platzbesetzer geht es in erster Linie aber nicht um Politik im
engeren Sinne, sie wollen das letzte Grün im Zentrum erhalten. Mustafa
schwingt deshalb schon seit zwei Tagen die Spitzhacke, um Löcher in den von
den Bulldozern bereits aufgerissenen Teil des Parks zu graben. Hier werden
neue Bäume gepflanzt. „Die AKP betoniert uns hier alle zu. Das reicht uns
jetzt.“
Allen auf dem Platz ist klar, was Mustafa meint. Just am Mittwoch, als die
Parkbesetzung Form annahm, wurde einige Kilometer weiter nördlich, dort, wo
der Bosporus ins Schwarze Meer mündet, von Ministerpräsident Erdogan,
Staatspräsident Gül und der Staats- und Parteispitze die feierliche
Grundsteinlegung für die dritte Brücke über den Bosporus begangen.
Mit osmanischem Pomp enthüllte Gül den Namen des neuen Bauwerks:
Yavuz-Sultan-Selim-Brücke, benannt nach einem der übelsten Schlächter unter
den osmanischen Sultanen, der aber für das Reich im 16. Jahrhundert
Ägypten, Mekka und Medina eroberte. Die Autobahn, für die Brücke gebaut
wird, geht mitten durch den letzten stadtnahen Wald und wird außerdem die
Brücke mit dem künftigen dritten Flughafen der Stadt verbinden, der
ebenfalls in einem Waldgebiet am Schwarzen Meer entstehen soll.
## „Lebensraum statt Kommerz“
Sprecher verschiedener Naturschutzverbände haben längst vorgerechnet, dass
all diese Megaprojekte nur mehr neuen Verkehr generieren und der Stadt
letztlich die Luft zum Atmen nehmen werden. Für die Besetzer im Gezi-Park
geht es deshalb nicht nur um die 500 Bäume, sondern um die grundsätzliche
Vorstellung darüber, wie sie in ihrer Stadt leben wollen. „Wir wollen
Lebensraum statt Kommerz“, bringt Mücella Yapici das Anlieger der Besetzer
auf den Punkt.
Denn auch am Taksim-Platz wiederholt sich Geschichte als Farce. Erdogan
will zwar die Kaserne aus osmanischer Zeit als historische Reminiszenz
wiederaufbauen lassen. Genutzt werden soll der Bau allerdings als
Einkaufszentrum.
30 May 2013
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Istanbul
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Schwerpunkt Protest in der Türkei
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