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# taz.de -- Proteste in der Türkei: Druck auf Erdogan wächst
> Die türkische Regierung sieht sich heftiger Kritik für den massiven
> Polizeieinsatz in Istanbul ausgesetzt. In Deutschland finden
> Soli-Demonstrationen statt.
Bild: Samstag während der Proteste in Istanbul
ISTANBUL dpa | Zehntausende Demonstranten haben sich in Istanbul nach
heftigen Protesten gegen die islamisch-konservative Regierung Zugang zum
zentralen Taksim-Platz verschafft. Nach einem Aufruf des türkischen
Staatspräsidenten Abdullah Gül zur Mäßigung und internationaler Kritik am
harten Vorgehen gegen die Opposition zog sich die Polizei am Samstag
zurück.
Nach dem Rückzug der Polizei hat sich die Lage bei den Protesten gegen die
islamisch-konservative Regierung deutlich entspannt. Zehntausende
Demonstranten zogen am Abend jubelnd durch die Straßen. Sie skandierten
weiter Parolen gegen Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Die Polizei
war praktisch nicht mehr zu sehen, berichteten Augenzeugen am Samstag.
Mitarbeiter der Stadtreinigung begannen mit den Aufräumarbeiten.
Zuvor hatte es neue schwere Zusammenstöße gegeben, bei denen die Polizei
Wasserwerfer und Tränengas einsetze. International löste der harte
Polizeieinsatz Besorgnis aus. Die USA und Brüssel mahnten die Einhaltung
der Grundrechte an.
Erdogan räumte am Samstag Fehler ein, sagte aber, seine Regierung werde
sich durch Straßenproteste nicht von ihrem Kurs abbringen lassen.
Die Protestwelle hatte am Vortag mehrere Städte erfasst. Sie entzündete
sich an der gewaltsamen Räumung eines Protestlagers, mit dem die Zerstörung
des Gazi-Parks am Rande des Taksim-Platzes für ein umstrittenes Bauprojekt
verhindert werden sollte. Die Proteste richten sich inzwischen jedoch gegen
die als immer autoritärer empfundene Politik der islamisch-konservativen
Regierungspartei. Bereits in der Nacht zum Samstag hatte es in Istanbul
schwere Zusammenstöße gegeben.
## Unangemessen harter Einsatz
„Der Einsatz von Pfeffergas durch die Sicherheitskräfte war ein Fehler. Nun
gut. Ich habe das Innenministerium angeordnet, dies zu untersuchen“, sagte
Erdogan. Der Einsatz sei unangemessen hart gewesen. Die Polizei werde ihren
Einsatz aber fortsetzen, sagte er. Die gewählte Regierung werde sich nicht
einer Minderheit beugen. Mehrere Oppositionsparteien forderten ein Ende des
Polizeieinsatzes. Schließlich rief Gül alle Seiten zur Ruhe und zum Dialog
auf, wie türkische Medien berichteten.
Auch international gab es Kritik an dem Einsatz. Der Präsident des
Europaparlaments, Martin Schulz, nannte das harte Vorgehen der Polizei
„völlig unangemessen“. „Ich appelliere dringend an alle zuständigen Ste…
in der Türkei, sich um Deeskalation zu bemühen und mit den Demonstranten
das Gespräch zu suchen“, erklärte der SPD-Politiker am Samstag.
„Wir glauben, dass die Stabilität, die Sicherheit und der Wohlstand der
Türkei langfristig am besten durch die Beibehaltung der Grundrechte auf
freie Meinungsäußerung sowie die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit
gewährleistet wird“, sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Jen
Psaki, am Freitag (Ortszeit) in Washington. Sie verwies darauf, dass die
Teilnehmer der Proteste offensichtlich nur diese Rechte wahrnehmen wollten.
Ähnlich hatte sich auch die EU-Kommission in Brüssel geäußert.
„Die Gewalt in der Türkei muss sofort beendet werden“, forderte die SPD in
Deutschland. „Die Türkei hat sich in den vergangenen Jahren erheblich
modernisiert. Dieser Erfolg darf durch die aktuellen Vorkommnisse nicht
infrage gestellt werden.“
In mehreren deutschen Städten kamen Demonstranten zu
Solidaritätskundgebungen zusammen, darunter in Berlin, Köln, Hamburg und
Stuttgart. Die Alevitische Gemeinde in Deutschland protestierte gegen das
harte Vorgehen der türkischen Polizei und forderte den Rücktritt der
Regierung Erdogan. „Gesellschaftliches Engagement ist evidenter Teil der
Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit und darf nicht mit Gewalt
bekämpft werden“, hieß es in einer Erklärung der alevitischen
Dachorganisation AABF in Köln.
Angesichts des Einsatzes von Wasserwerfern und Tränengas riet die Regierung
in London in einem Reisehinweis allen Briten, sich von den
Protestkundgebungen in Istanbul fernzuhalten.
In Istanbul gingen Demonstranten und Beobachter davon aus, dass es
angesichts der Härte des Einsatzes und der großen Zahl von Rettungswagen
Hunderte Verletzte gegeben hat. Im Internet kursierten Berichte über
mehrere Tote. Die Behörden bestätigten zunächst weder das eine noch das
andere.
Bereits am Freitag hatten Zehntausende bis in die Nacht demonstriert. Die
Behörden sprachen von 12 Verletzten und 63 Festnahmen. Die Polizei setzte
so viel Tränengas ein, dass die Luft auch in den angrenzenden Stadtteilen
gasgeschwängert war. Einige der vorwiegend jungen Demonstranten zündeten am
Rande des Taksim-Platzes Container der an den Bauarbeiten beteiligten
Firmen an. „Die Regierung soll zurücktreten!“, forderten sie.
Am Samstag marschierten tausende Demonstranten von der asiatischen Seite
aus über die Bosporus-Brücke Richtung Taksim-Platz. Die oppositionelle
Republikanische Volkspartei CHP versammelte am Mittag Anhänger auf der
asiatischen Seite der Stadt, von wo aus viele mit Fähren auf die
europäische Seite übersetzten, um sich den Protesten anzuschließen. Die
Demonstrationen hatten damit den Charakter einer Machtprobe mit der
Regierung.
1 Jun 2013
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Recep Tayyip Erdoğan
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Istanbul
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Istanbul
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