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# taz.de -- Proteste in der Türkei: Freiheit mit langem Atem
> Die AKP überlegt, die Parlamentswahlen um ein Jahr vorzuziehen. So könnte
> man den „Marodeuren“ eine Antwort an der Urne geben.
Bild: Regierungschef Erdogan grüßt am Freitag seine Anhänger
ISTANBUL taz | „Tayyip istifa, Tayyip istifa“ – „Hau ab, Tayyip“. Am
Sonntagnachmittag hallte der Taksim-Platz im Zentrum Istanbuls von den
Rücktrittsrufen Tausender Demonstranten gegen ihren Ministerpräsidenten
wider. Wie viele Menschen dem Aufruf der „Taksim-Plattform“ gefolgt waren,
ist schwer zu sagen.
„Man hat das Gefühl, hier sind eine Million Leute“, sagte eine
Teilnehmerin, „aber niemand hat wirklich einen Überblick.“ Trotz
drangvoller Enge auf dem Platz war die Stimmung ausgezeichnet. Immer wenn
die U-Bahn eine neue Ladung Protestler an die Oberfläche entließ, wurden
sie von den Umstehenden mit großem Beifall begrüßt.
Von einer improvisierten Bühne aus rief eine der Gezi-Park-Besetzerinnen in
die Menge: „Ich habe seit Tagen nicht mehr geschlafen, ich nehme
Schmerzmittel und kann mich kaum noch auf den Beinen halten, aber ich werde
auf keinen Fall den Gezi-Park räumen.“ Weit und breit war keine Polizei zu
sehen. Seit nunmehr einer Woche ist der größte Platz Istanbuls eine
polizeifreie Zone.
Schon am Samstag war es zu einer bis dahin noch nie dagewesenen
Solidaritätsaktion für die Gezi-Park-BesetzerInnen gekommen. Die Fanclubs
der drei großen Fußballvereine der Stadt, Galatasaray, Fenerbahce und
Besiktas, hatten zu einer gemeinsamen Aktion zur Unterstützung der
Gezi-Park-Besetzer aufgerufen. Einträchtig wie nie marschierten die
normalerweise verfeindeten Gruppen zu Tausenden zum Taksim-Platz.
## Die Unterstützer mobilisieren
Unterdessen tourte Ministerpräsident [1][Tayyip Erdogan] durch die Türkei,
um seine Unterstützer zu mobilisieren. Zuerst in Adana, dann in Mersin und
zum Abschluss des Tages in Ankara sprach er auf Kundgebungen zu Anhängern
seiner regierenden AKP. Doch viel mehr als Ratlosigkeit hatte der
Regierungschef nicht zu bieten.
Erneut fiel ihm als Antwort auf die Proteste nichts anderes ein, als die
Protestierenden als „Marodeure“ zu beschimpfen, die keine Ahnung von der
Freiheit hätten, die sie forderten. „Zehn Jahre lang haben diese Leute
Frauen mit Kopftüchern daran gehindert zu studieren“, sagte er. „Ist das
die Freiheit, die sie meinen?“
Seit [2][Erdogans Rückkehr] von einer Nordafrikareise am Freitagabend
wartet die Nation darauf, welchen Weg die Regierung nun einschlagen wird.
Noch in der Nacht seiner Ankunft hatte der Ministerpräsident 10.000
Anhänger zunächst gegen die Protestierer aufgehetzt, seine Leute dann aber
aufgefordert, friedlich nach Hause zu gehen.
Am Samstag und Sonntag tagte dann ein erweiterter Parteivorstand der AKP.
Während der Abwesenheit von Erdogan hatten sich Staatspräsident Abdullah
Gül und der Stellvertreter Erdogans, Bülent Arinc, für die Polizei
übergriffe entschuldigt und einen Dialog angeboten.
## Parlamentswahlen um ein Jahr vorziehen
Davon will Erdogan nichts wissen. Im Parteivorstand kursierte der
Vorschlag, die Parlamentswahlen um ein Jahr vorzuziehen, um den
„Marodeuren“ eine Antwort an der Urne zu geben. Doch Erdogan entschied sich
dagegen. Offenbar, so wird spekuliert, ist er sich nicht sicher, ob er
wieder ein Wahlergebnis erreichen kann wie 2011, als er nahezu 50 Prozent
einfuhr.
Wenn er aber den Dialog mit den Protestierenden oder Neuwahlen ausschließt,
bleibt letztlich nur der Einsatz von Gewalt. Doch die Polizei mag nicht
mehr mitspielen. Ihre Gewerkschaft gab gestern bekannt, nach teilweise 120
Stunden Dauereinsatz seien ihre Männer am Ende, es habe bereits sechs
Selbstmorde von Polizisten gegeben. Für das kommende Wochenende hat die AKP
ihre Anhänger zu Großdemonstrationen in Istanbul und Ankara aufgerufen.
9 Jun 2013
## LINKS
[1] /Video-gegen-Erdogan/!117718/
[2] /Erdogan-zurueck-in-der-Tuerkei/!117661/
## AUTOREN
Jürgen Gottschlich
## TAGS
Schwerpunkt Türkei
Recep Tayyip Erdoğan
Parlamentswahl
Istanbul
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