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# taz.de -- Identitätskrise der SPD: Ratlose Bluthunde
> 2013 könnte zum Schicksalsjahr der Sozialdemokraten werden. Was auch
> daran liegt, dass sie kaum noch wissen, wofür sie stehen.
Bild: Fahne im Wind: Weiß die SPD jetzt, im Sommer 2013, drei Monate vor den W…
Das Jahr 2013 könnte bitter, ja tragisch werden für die deutschen
Sozialdemokraten. Es ist gefüllt mit großen historischen Feiern und
Gedenktagen. Im Mai durfte die Partei auf eine alles in allem stolze und
tapfere 150-jährige Geschichte zurückschauen.
Im August wird sie August Bebel, ihren legendären Parteiführer im
wilhelminischen Reich, anlässlich seines 100. Todestages ehren. Und im
Dezember wird man den hundertsten Geburtstag des anderen großen
Charismatikers der sozialdemokratischen Geschichte, Willy Brandt,
zelebrieren dürfen. Ein schicksalsträchtiges Jahr also. Hat man ein Herz
für die Sozialdemokraten, muss man aber zugleich hoffen, dass 2013 nicht
das Schicksal der SPD als großer, demokratischer, selbstbewusster
Volkspartei besiegelt.
Gewiss, man hat in den letzten zwanzig bis dreißig Jahren immer wieder
düstere Grabgesänge auf diese Partei intonieren hören. Und richtig ist,
dass sie gleichwohl nicht verschwunden ist. Aber mächtig geschrumpft ist
sie schon – nicht nur an Wählern, Mitgliedern, Funktionären, sondern vor
allem an imponierendem Eigensinn, an innerer Überzeugung und ausstrahlender
Begeisterung.
Noch nie lag die CDU als Regierungspartei nahezu konstant in der zweiten
Hälfte einer Legislaturperiode derart weit vor einer SPD in der Opposition
wie gegenwärtig. Dabei waren die Christdemokraten wohl selten in ihrer
Geschichte personell und programmatisch so ausgedörrt wie gerade jetzt. Die
CDU hat nur noch Angela Merkel, eine Parteichefin und Kanzlerin ohne
spektakulären Glanz, ohne solide ökonomische Kenntnisse, ohne einen
europapolitischen Entwurf, ohne analytische Deutungskompetenz für komplexe
Konstellationen und ohne die Fähigkeit zu erörtern, was getan wird und
getan werden muss.
## Dürftige Substanz
Doch die Sozialdemokraten können nicht den geringsten Nutzen aus der
Schwäche ihres ewigen Gegners ziehen, was ziemlich unmissverständlich
anzeigt, wie dürftig die Substanz auch bei ihnen mittlerweile geworden ist.
Durchaus auch in personeller Hinsicht. Es spielt zwar im Grunde alles keine
Rolle mehr, dennoch ist der Blick zurück auf die Inthronisierung des
aktuellen Kanzlerkandidaten beispielhaft für den erbarmungswürdigen Zustand
der Sozialdemokratie.
Nach der Bundestagswahlniederlage 2009 hat die Partei, angetrieben von
ihrem neuen Vorsitzenden, in einem Bereich eine deutliche Korrektur in Gang
zu setzen versucht: mit einer Reform der Parteiorganisation.
Die Kanzlerkandidatenkür hätte, wären dies auch nur ein wenig ernst gemeint
gewesen, von den Mitgliedern nach einer zweifelsohne harten, aber sicher
ergiebigen Tour durch die Parteigliederungen erfolgen müssen. Aber als es
so weit war, entschied wieder die Kleinclique, vereinbarten sich die
Clanführer – man sollte wirklich nicht mehr von Richtungen oder Flügeln
reden, solche politisch fundierte Strömungen gibt es nicht mehr –,
getrieben vom Druck der Medien und der gönnerhaften Protektion eines
Exkanzlers.
Doch die traurigste Seite des Vorgangs war, dass niemand in der Partei
deshalb aufschrie und auf der Partizipation beharrte, die in jeder
Festtagsansprache von Sozialdemokraten mit höchstem Pathos proklamiert wird
und soeben doch erst der eigenen Partei deklamatorisch verordnet wurde.
Zwei Jahre Debatten über die Demokratisierung der innerparteilichen
Willensbildung: alles nur leeres Gerede. Und kein Ortsverein, kein
Unterbezirk, kein Bezirk, kein Landesverband, kein Abgeordneter meldete
Widerspruch an, pochte auf die genuinen Mitwirkungsrechte. 150 Jahre ist
die Partei alt, aber einen ähnlichen kollektiven Kotau vor der einsamen
Entscheidung der Partei-Granden wird man in ihrer Geschichte nicht finden.
## Millionen vobn abtrünnigen Wählern
So erfuhr niemand, ob diese Partei ihren Kanzlerkandidaten überhaupt mochte
und politisch schätzte. Aber die noch deprimierendere Frage lautet: Hätte
die Partei überhaupt gewusst, wen oder was sie politisch wollte? Weiß die
Partei jetzt, im Sommer 2013, drei Monate vor den Wahlen, wohin sie warum
strebt? Wie ratlos die SPD ist, zeigt die eher unterschwellig geführte
Kontroverse, wie die Partei heute die Agendareformen bewerten soll.
Immerhin haben diese die schwierige Lage der Partei erst hervorgerufen.
Aber die Sozialdemokraten sind sich nicht sicher, ob sie, wie die Mehrheit
der Meinungseliten hierzulande, die segensreiche Wirkung der Schröder’schen
Sozialreformen frohlockend besingen sollen. Denn irgendwie fürchten sie,
dass die Millionen von abtrünnigen Wählern, die seit 2005 erbittert den
Urnen fernbleiben, derartige Triumphchoräle keineswegs freudig goutieren
würden.
Über den Alltag in den unteren Sektoren der Gesellschaft wird wenig geredet
in Politik, Medien und auf bürgergesellschaftlichen Symposien. Doch
vormachen sollte man sich nichts: Die Wut in den Hartz-IV- und
Billiglohnquartieren der Republik ist keineswegs verebbt. Der Groll auf
Sozialdemokraten, die sie im letzten Jahrzehnt der Entrechtung,
Schutzlosigkeit und Demütigung preisgegeben haben, dauert an.
Zumindest hat sich das Misstrauen erhalten, dass sozialdemokratischen
Versprechen nicht vorbehaltlos zu trauen ist. Schröder hat seine Wahlkämpfe
noch damit erfolgreich bestritten, dass er rund vier Monate vor den
Wahlsonntagen in die Rolle des Sozialkämpfers schlüpfte und vor den
sozialen Kahlschlägen der Merkels und Westerwelles warnte. Aber dann
entdämonisierte die große Koalition von CDU und SPD Angela Merkel. Niemand
weiß, was der Kanzlerin wirklich wichtig ist.
Doch niemand glaubt, dass sie, die geschmeidig hineinhorcht in die
Seelenlage der gesellschaftlichen Mehrheit, mit scharfer und unbeirrter
Zielstrebigkeit dem bundesdeutschen Konsensmodell den Garaus bereiten wird.
1-Euro-Jobs, Leiharbeit, Niedriglöhne, massive Steuersenkung für
Wohlhabenden, Rente mit 67 – das hätten sich Christdemokraten nie getraut.
Immer wollten Sozialdemokraten die bissigen Bluthunde sein. Und wem würde
man den „kühnen Reformvorschlag“ einer Rente mit 70 eher zutrauen, einer
Kanzlerin Merkel oder einem Kanzler Steinbrück? Eben.
24 Jun 2013
## AUTOREN
Franz Walter
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