| # taz.de -- Biografie über August Bebel: Der ausgegrenzte Aufsteiger | |
| > Vor 100 Jahren starb August Bebel, der „Kaiser der Arbeiter“. Er | |
| > verkörperte die Sozialdemokratie vor 1914 – gerade in ihren | |
| > Widersprüchen. | |
| Bild: Markantes Gesicht der Sozialdemokratie: August Bebel, aufgenommen im Jahr… | |
| Die deutsche Arbeiterbewegung betrat die politische Bühne nicht als | |
| selbstbewusster Hauptdarsteller, sondern schüchtern und zögernd. Um 1860 | |
| entstanden Bildungsvereine, oft von vermögenden Liberalen ins Leben | |
| gerufen, die dem niederen Volk Aufstiegschancen bieten sollten. Ein | |
| typischer Vertreter in einer dieser Organisationen war der ehrgeizige, | |
| redegewandte 22-jährige Drechslermeister August Bebel. | |
| Im Jahr 1862 beschied er bei der Gründung des „Deutschen Arbeitertags“ das | |
| Proletariat sei noch nicht reif, um wählen zu dürfen. So sehr stand der | |
| spätere „Kaiser der Arbeiter“ noch im Bann der feudalen Gesellschaft. | |
| Ein halbes Jahrhundert später hatte die Sozialdemokratie mehr als eine | |
| Millionen Mitglieder. Sie war im Kaiserreich 1912 stärkste Partei im | |
| Reichstag geworden und wurde in ganz Europa von Sozialisten für ihre | |
| schlagkräftige Organisation und ihren scheinbar unaufhaltsamen politischen | |
| Aufstieg bewundert. | |
| Keiner verkörperte den Wandel vom schattenhaften Anhängsel des Liberalismus | |
| zur professionellen, selbstbewussten Massenpartei im Wilhelminismus so wie | |
| August Bebel. Er war das markante Gesicht, die überzeugende Stimme, der | |
| allgegenwärtige Organisator der Partei. Keiner nach ihm, auch nicht Willy | |
| Brandt, der 1913, in dem Jahr als Bebel starb, geboren wurde, verkörperte | |
| die SPD so vollständig – gerade in ihren Widersprüchen. | |
| ## Strenger Patriarch | |
| Jürgen Schmidts Biografie erscheint zu Bebels 100. Todestag am 13. August. | |
| Sie ist solide geschrieben, ohne ein grundsätzlich neues Bild zu | |
| modellieren. Sie will nicht die originelle These, sondern das abgerundete | |
| Bild. Zuletzt hatte Brigitte Seebacher vor 25 Jahren in ihrer umfänglichen | |
| Biografie eine revisionistische Kritik an dem Parteiführer formuliert. Dass | |
| Bebel strikt an Marxismus und den Zusammenbruch des Kapitalismus glaubte, | |
| erschien Seebacher als Ursünde der Sozialdemokratie. Ohne solche | |
| teleologische Verirrung hätte die SPD, so die These, früher Realpolitik | |
| gemacht und ein Bündnis mit dem (allerdings unwilligen und kaisertreuen) | |
| liberalen Bürgertum geschmiedet. | |
| Schmidt ist an solchen Zuspitzungen, die über Bande stets gegenwärtige | |
| politische Interventionen sind, nicht interessiert. Er breitet sorgsam das | |
| Material aus: Sichtbar wird ein zielstrebiger Aufsteiger, ein Politiker, | |
| dem die Partei zeitlebens über alles geht. Bebel führt die Partei straff, | |
| als strenger Patriarch. Von Bismarcks Sozialistenverfolgung ins Exil | |
| gezwungenen Genossen hilft er finanziell und sorgt gleichwohl mit | |
| proletarischer Sparsamkeit dafür, dass 1890, nach Aufhebung des | |
| Sozialistengesetzes und Ende der Illegalität, stolze 37.000 Mark in der | |
| Parteikasse sind. | |
| Das Praktische ist ein zentraler Wesenszug von Bebel, auch wenn es um | |
| eigene Interessen geht. Seine politischen Kontakte nutzte der Parteichef | |
| pragmatisch, um Horngriffe zu vermarkten. Auch Friedrich Engels wird mal | |
| eingespannt, um in London günstige Lieferanten für Walrosszähne zu | |
| recherchieren. | |
| ## Der situative Politmanager | |
| Bebel brachte es vom Waisenkind aus Wetzlar zum gemachten Mann, dessen Buch | |
| „Die Frau und der Sozialismus“ ein internationaler Bestseller wurde. Er war | |
| ein „mit allen Wasser kapitalistischer Geldanlage gewaschener | |
| Arbeiterführer, er war ein Internationalist, der für das nationale Wohl | |
| eintrat“, so Schmidt. Gerade das Widersprüchliche dieser Biografie ist ein | |
| Echo der Lage von SPD und Arbeiterbewegung im Kaiserreich – als | |
| ausgegrenzter Aufsteiger. | |
| Auch zum Krieg hatte Bebel ein zwiespältiges Verhältnis. Im Reichstag hielt | |
| er glänzende Reden gegen den deutschen Militarismus, beteuerte aber 1904 | |
| auch, „mit der Flinte auf der Schulter deutschen Boden“ gegen Aggressoren | |
| zu verteidigen. Das war typisch für sein situatives Politikmanagement. Kurz | |
| vor seinem Tod schwante ihm, dass ein europäischer Krieg bevorsteht. Es | |
| gebe „zu viel Zündstoff“, man werde „wider Willen weitergetrieben“. So… | |
| es. Die SPD sagte 1914, wider Willen getrieben, Ja zu den Kriegskrediten. | |
| Der August 1914 war die Bankrotterklärung der westeuropäischen | |
| Arbeiterbewegung. Wäre es anders gekommen, wenn Bebel und Jean Jaurès, der | |
| französische Sozialist, noch am Leben gewesen wären? | |
| Sicher ist, dass Bebel es nicht vermochte, die SPD an dem entscheidenden | |
| Punkt gegen die Ideologien des Wilhelminismus zu imprägnieren: gegen | |
| nationalistischen Wahn und imperialen Krieg. Man mag darin die Tragik des | |
| „Kaisers der Arbeiter“ sehen. | |
| 11 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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