# taz.de -- Pussy-Riot-Musikerinnen über Russland: „Wir können uns nicht au… | |
> Russland hat ein großes Problem mit aktiven Frauen, sagen zwei | |
> Musikerinnen von Pussy Riot. Sie sind inkognito auf Welttour und sprechen | |
> über ihren Protest. | |
Bild: Zwei Pussy Riots in Berlin. | |
taz: Die britische Zeitung Guardian bezeichnet Sie als die gefährlichste | |
Band der Welt dieser Tage. | |
Pussy Riot: Na ja. Was stimmt, ist, dass der russische Staat ziemliche | |
Angst vor uns hat. | |
Angst vor einer einzelnen Künstlerinnengruppe? Das versteht sich jetzt | |
nicht von selbst. | |
Wenn Künstler sich auf die wunden Punkte in einer Gesellschaft stürzen, | |
wenn sie die allgemeine Denkweise ändern wollen, dann kann das schon | |
gefährlich werden. | |
Haben Sie damit gerechnet, dass Sie womöglich ins Gefängnis müssen, wenn | |
Sie Ihr „Punkgebet“ in einer Kirche aufführen? | |
Nein. Wir wussten natürlich, dass das nicht allen gefallen wird. Aber da | |
nie jemand bei unseren Aktionen zu Schaden gekommen ist, kam diese Härte | |
völlig überraschend. Solche „Einbrüche“ in den öffentlichen Raum wurden | |
bislang als Ordnungswidrigkeiten behandelt. Dafür gab es Geldstrafen. Für | |
unsere Aktion in der Kirche wären 1.000 Rubel, ungefähr 30 Euro, normal | |
gewesen. | |
Hat diese Reaktion mit den neuen Protesten in Russland zu tun? | |
Auch. Aber vor allem ist Russland ein machistisches Land mit einem sehr | |
chauvinistischen Anführer. Wenn da eine feministische Gruppe auftaucht und | |
das System kritisiert, Putin selbst interessiert uns ja nicht so, dann | |
erschrecken er und seine Entourage sich natürlich. | |
Aber Sie sind doch nicht die ersten Feministinnen in Russland. Das | |
Establishment muss solche Positionen ja nicht mögen, aber doch kennen. | |
Natürlich haben wir hier feministische Künstlerinnen, auch | |
Punkmusikerinnen. Aber wir sind die ersten, die Feminismus, Politik und | |
Kunst miteinander verbinden, unsere Videos auf Youtube posten und damit | |
viele erreichen. Das ist neu. Und in Russland hat man inzwischen ein großes | |
Problem mit aktiven Frauen. Einerseits werden wir zunehmend unterdrückt, | |
andererseits schreibt man uns eine große Kraft zu. Deshalb muss man uns bei | |
jeder Abweichung auf unseren Platz verweisen. | |
Wer unterstützt Sie in Russland? | |
Wir sind in so vielen Bereichen unterwegs, Kunst, Musik, Protest, dass ganz | |
verschiedene Leute etwas bei uns finden. Es gibt auch einige Geistliche, | |
die uns unterstützen … | |
… aus der orthodoxen Kirche? | |
Genau. Und dann einzelne Bürger, die von den Entwicklungen schockiert sind. | |
Und natürlich andere AktivistInnen. | |
Haben Ältere mehr Schwierigkeiten mit Ihnen als Jüngere? | |
Es gibt einen Generationenkonflikt, klar. Unter Studierenden ist es | |
mittlerweile irgendwie „in“, gegen das System zu sein. | |
Fühlen Sie sich in dieser Szene aufgehoben? | |
Nein, die Kritik geht nicht besonders tief. Wir fühlen uns eigentlich | |
nirgendwo aufgehoben. | |
Wie hält man das aus? | |
Indem man das tut, was wir tun: protestieren. | |
Und nationale Protestgrößen wie der Jurist und Blogger Alexej Nawalny – | |
unterstützt er Sie? | |
Nein. Unsere Aktion auf dem Roten Platz in Moskau „Putin hat Schiss“ fand | |
er gut, aber mit dem „Punkgebet“ hatte er Schwierigkeiten. Das war zu | |
nonkonform. Außerdem lehnen wir Nationalismus strikt ab, und Nawalny hat | |
sich mit den rechten Gruppen verbrüdert. Nationalismus ist eine ganz | |
wichtige Trennlinie unter den Regimekritikern. Und von wegen Alter: Gerade | |
die jungen Nationalisten gehen am schärfsten gegen Leute wie uns vor. Und | |
auch unter den Ultraorthodoxen sind die eifrigsten die Jungen. | |
Blieben noch die Frauen – können Sie da mit etwas mehr Solidarität rechnen? | |
Wir zählen uns zum Third-Wave-Feminismus. Das biologische Geschlecht ist | |
für uns nicht wichtig, sondern die politische Haltung. Im Moment bringen | |
gerade Frauen in der Duma Vorschläge ein, die die Situation von Frauen | |
verschlechtern. Das Abtreibungsgesetz ist massiv verschärft worden. Eine | |
aktuelle Initiative zielt darauf, dass die Familie drei Kinder haben muss | |
und Frauen, die bis zu ihrem 23. Lebensjahr noch kein Kind geboren haben, | |
demnächst Strafe zahlen sollen. | |
Wenn das biologische Geschlecht nicht im Vordergrund stehen soll, warum | |
sind Sie dann eine reine Frauengruppe? | |
Sobald in unserem Land ein Mann auftaucht, schreiben ihm die Leute eine | |
Führungsrolle zu. Das kam also nicht infrage. | |
Was ist jetzt Ihre Strategie? | |
Solange zwei von uns noch inhaftiert sind, können wir keine Performances | |
mehr machen. Das wäre zu gefährlich für sie. Außerdem wurden jetzt lauter | |
Gesetze verabschiedet, die sich direkt gegen uns wenden. Das | |
Vermummungsgesetz wurde verschärft: Bunte Hasskappen, wie wir sie tragen, | |
sind nun verboten. Religiöse Gefühle der Orthodoxen zu verletzen ist | |
verboten. Wenn du in deinem Blog schreibst, Gott gibt es nicht und | |
Schwulsein ist okay, machst du dich strafbar. Wir gelten als „Extremisten“, | |
und auch das Extremismusgesetz – Stichwort Landesverrat, Hochverrat – wurde | |
verschärft. Wir sind umzingelt von neuen Gesetzen. | |
Wie also machen Sie weiter? | |
Erst mal auf juristischem Weg. Wir klagen gegen das Urteil vor dem | |
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Außerdem gab es | |
bei dem Urteil so viele Verfahrensfehler, dass wir gute Chancen haben | |
müssten, dass es schon aus formalen Gründen aufgehoben wird. Dann haben wir | |
noch einen Fonds gegründet, um Feministinnen in Russland finanziell zu | |
unterstützen. | |
Was halten Sie eigentlich von den Performances von Femen? | |
Wir verfolgen ihre Aktionen natürlich. Aber wir setzen ja gerade nicht auf | |
Enthüllung, sondern auf Verhüllung. Und zwar nicht nur aus | |
Sicherheitsgründen, sondern auch weil wir gegen die Vermarktung des | |
weiblichen Gesichts und Körpers sind. | |
Aber Sie tragen doch auch hautenge Kleider. | |
Bei uns entscheidet jede Frau selbst, wie sie ihren Körper zeigen möchte. | |
Den Zwang, seinen Busen zu entblößen wie bei den Femen, lehnen wir ab. Wir | |
lehnen Uniformierung ab. Aber klar, jeder soll sehen, dass wir junge Frauen | |
sind, aber eben queere Frauen, die sich nicht in die Schubladen „männlich“ | |
oder „weiblich“ einsortieren lassen. | |
Dem Queerfeminismus wird häufig ökonomische Blindheit vorgeworfen. Welche | |
Rolle spielt Kapitalismuskritik für Sie? | |
Bei uns gilt ja alles, was es in der Sowjetunion gab, als schlecht. | |
Linkssein sowieso. Wir aber bezeichnen uns als links. Früher hat sich | |
niemand über Arztrechnungen Gedanken gemacht, die Versorgung war gut und | |
kostenlos. Jetzt überlege ich mir dreimal, ob ich mir einen Arzt leisten | |
kann. Das Gleiche gilt für das Bildungssystem und für die Stellung der | |
Frau. Die war in der Sowjetunion nicht gut, aber viel besser als jetzt. | |
Woher kommt dieser Rückschritt? | |
Sobald die Liberalen oder Linken sich entspannen und denken, ihnen kann | |
nichts mehr passieren, verlieren sie das eroberte Terrain wieder. Das gilt | |
nicht nur für Russland, auch in den USA steht in manchen Staaten das Recht | |
etwa auf Abtreibung massiv unter Beschuss. Deswegen ist es so wichtig | |
weiterzukämpfen. Wir können uns nicht ausruhen. Wir müssen das Erbe | |
sichern, aber unsere Generation hat das noch nicht verstanden. Sexismus ist | |
ein ganz lebendiger Mechanismus, weltweit. | |
Was wünschen Sie sich von Ihren internationalen UnterstützerInnen? | |
Dass unsere Themen unabhängig vom russischen Kontext weiterentwickelt | |
werden. In London erschien gerade das Buch „Let’s start a Pussy Riot“ mit | |
Beiträgen von mehr als 60 Künstlerinnen. Eine der wichtigsten Erfahrungen | |
unserer Tour war, dass wir viele Probleme gemeinsam haben. Wir wünschen | |
uns, dass ein riesiges Netzwerk entsteht. Wir dürfen nicht nachlassen! Wir | |
dürfen die nicht vergessen, die für unsere Rechte gekämpft haben! Und auch | |
nicht, dass Nadeschda und Marija noch im Gefängnis sind. | |
5 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Ines Kappert | |
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