# taz.de -- Proteste in Bulgarien: „Mafiosi, ab in den Knast!“ | |
> Seit 21 Tagen gehen Bulgaren auf die Straße. Sie protestieren gegen | |
> Korruption und fordern den Rücktritt der Regierung. Die stellt sich taub. | |
Bild: Protest in Sofia gegen die neue Regierung von Plamen Orescharski. | |
BERLIN taz | Proteste in Bulgarien ohne Ende: Auch am Donnerstag morgen und | |
damit den 21. Tag in Folge versammelten sich in der Hauptstadt Sofia nahe | |
des von der Polizei weiträumig abgesperrten Parlaments wieder hunderte | |
Unzufriedene und forderten den Rücktritt der Regierung. | |
An der vielbefahrenen „Adlerbrücke“ im Zentrum Sofias blockierten | |
aufgebrachte Demonstranten den Verkehr. Am Mittwoch abend waren rund 25.000 | |
Menschen in Sofia mit Fahnen und Slogans wie „Mafiosi, ab in den Knast!“ | |
auf die Straße gegangen, um ihrem Unmut über die neuen Machthaber Luft zu | |
machen. | |
Der Regierung unter Führung des parteilosen Plamen Orescharski, die noch | |
nicht einmal zwei Monate im Amt ist, gehören Vertreter der Sozialisten | |
(BSP) und der Partei der türkischen Minderheit (DPS) an. Da die beiden | |
Parteien nur auf die Hälfte der 240 Mandate kommen, waren sie bislang auf | |
die Unterstützung der nationalistischen Partei Ataka angewiesen. | |
Auslöser der jüngsten Protestwelle war die Wahl des zwielichtigen | |
Medienmoguls Deljan Peewski zum Chef des mächtigen Geheimdienstes Dans am | |
14. Juni. Peewski, der bereits von 2005 bis 2007 Vizeminister in der | |
damaligen sozialistischen Regierung war, werden enge Beziehungen zu | |
bulgarischen Oligarchen nachgesagt. | |
Zwar machte die Regierung nur wenige Tage später ihre Entscheidung wieder | |
rückgängig und berief Peewski wieder von seinem Posten ab. Dennoch gehen | |
die Proteste weiter. Sie richten sich nunmehr vor allem gegen die immer | |
noch weit verbreitete Korruption und Vetternwirtschaft im Land. Zudem | |
fordern die Demonstranten Änderungen des Wahlgesetzes. Diese sollen | |
sicherstellen, dass mehr kleine Parteien im Parlament repräsentiert sind. | |
Bislang stellt sich die Regierung gegenüber den Anliegen der | |
Protestierenden taub. Doch zumindest Bojko Borissow und seine konservative | |
Oppositionspartei Gerb („Bürger für eine europäische Entwicklung | |
Bulgariens“) machten am Donnerstag Anstalten sich zu bewegen. Der ehemalige | |
Regierungschef war im vergangenen Februar im Zuge von Protesten gegen | |
überhöhte Strompreise zurückgetreten. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen | |
am 12. Mai wurde die Gerb stärkste Kraft, konnte jedoch keine Regierung | |
bilden. Seit über zwei Wochen boykottiert Borissows Truppe alle Sitzungen | |
der Volksversammlung. | |
## Rückkehr ins Parlament | |
Am Donnerstag nun kündigte Borissow an, in das Parlament zurückkehren zu | |
wollen. Beobachter gehen davon aus, dass sich bei Borissow die Erkenntnis | |
durchgesetzt hat, das die von ihm bislang geforderten Neuwahlen kein Ausweg | |
aus der politischen Krise sind. Jüngsten Umfragen der Agentur Mediana | |
zufolge sind 60 Prozent der Bulgaren gegen einen baldigen Urnengang. Fänden | |
jetzt doch vorgezogene Wahlen statt, kämen die Sozialisten auf 20 Prozent | |
und Gerb auf 18,6 Prozent. Folglich würde sich an der jetzigen | |
Zusammensetzung des Parlaments kaum etwas ändern. | |
Borissows Sinneswandel dürfte auch noch einen anderen Grund haben. So ist | |
ein Ende des Parlamentsboykotts der Gerb die einzige Möglichkeit, sich von | |
Ataka unabhängig zu machen und die Nationalisten zu isolieren. Genau das | |
hatten die Europäische Volkspartei (EVP) und die Sozialdemokratische Partei | |
Europas (SPE) am vergangenen Dienstag in Brüssel bei einer Sondersitzung | |
des EU-Parlaments zur Lage in Bulgarien gefordert. | |
„Die bulgarische Gesellschaft ist auf dem Weg, freier zu werden. Denn es | |
gibt immer mehr Bürger, die sich ihrer Freiheit bewusst sind. Und die nicht | |
einfach gleichgültig zusehen wollen, wie ihre Steuern und Stimmen von einer | |
kleinen Gruppe missbraucht werden – einer Gruppe, die gleichzeitig Regeln | |
und Gesetze verletzt“, schreibt das bulgarische Nachrichtenportal | |
mediapool. | |
Zumindest Staatspräsident Rosen Plevneliev dämmert es mittlerweile, dass | |
sich die Verweigerungshaltung der Regierung nicht auszahlen wird. Die | |
Staatsmacht dürfe nicht ihre Augen vor den Forderungen des Volkes | |
verschließen, sagte er am Donnerstag und kündigte an, auch weiterhin einen | |
Dialog mit den verschiedenen politischen Kräften und Vertretern der | |
Zivilgesellschaft suchen zu wollen. | |
4 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Barbara Oertel | |
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