# taz.de -- Bulgarische Unis besetzt: Kampf für politische Moral | |
> Bulgarische Studenten besetzen seit Tagen ihre Universitäten und fordern | |
> den Rücktritt der Regierung. Die Bevölkerung zeigt sich solidarisch. | |
Bild: Protest vor der St. Kliment Ochridski Universität in Sofia. | |
SOFIA taz | Frischer Salat, Brot und Fleischkonserven, ein paar Kilo Käse, | |
ein Regal voller Medikamente, eine Tüte mit Zahnbürsten und Zahnpasta. Der | |
Vorlesungsraum 292 im vierten Stock des Hauptgebäudes der St. Kliment | |
Ochridski-Universität in der bulgarischen Hauptstadt Sofia sieht wie ein | |
kleiner Supermarkt aus. An Tischen bereiten drei Studentinnen belegte Brote | |
vor, die sie dann ins Erdgeschoss bringen. | |
Das Essen ist für ihre Kollegen am Haupteingang bestimmt. Dort überprüfen | |
vier junge Männer die ankommenden Studenten. Wer das Gebäude betreten will, | |
muss seinen Studentenausweis vorzeigen und sich in eine Liste eintragen – | |
Name, Fakultät und Handynummer. | |
Seit Freitag vergangener Woche halten Hochschüler, die sich „Früh | |
erwachende Studenten“ nennen, die größte Universität Bulgariens besetzt. | |
Sie fordern den Rücktritt der von den Sozialisten dominierten | |
Koalitionsregierung, die sofortige Auflösung des Parlaments und vorgezogene | |
Neuwahlen. In einer offiziellen Erklärung vom Samstag kritisieren die | |
Aktivisten mangelnde Transparenz, Demokratiedefizite und mahnen eine | |
politische Moral in ihrem Land an. | |
Seit Tagen übernachten Hunderte Studenten in der Universität. Im größten | |
Vorlesungsraum, genau unter dem „Supermarkt“, herrscht die Art Demokratie, | |
die die Studenten von den Politikern fordern. Jeder darf an den | |
Versammlungen teilnehmen und sich äußern. Alle Meinungen werden gehört und | |
über alle Vorschläge abgestimmt. | |
Der Auslöser für die Protestaktion, der sich mittlerweile auch | |
Universitäten in anderen Städten angeschlossen haben, ist der Fall von | |
Deljan Peewski. Der Medienmogul, dem enge Beziehungen zur organisierten | |
Kriminalität nachgesagt werden, war am 14. Juni 2013 vom Parlament zum Chef | |
der Staatlichen Agentur für „Nationale Sicherheit“ (Dans) gewählt worden. | |
Nach Massenprotesten musste die Entscheidung einen Tag später rückgängig | |
gemacht werden. Am 8. Oktober hatte das Verfassungsgericht einen Antrag der | |
Opposition, Peewski sein Mandat abzuerkennen, negativ beschieden. | |
## Professoren unterstützen Unrecht | |
Der Fall Peewski ist auch für den Jurastudenten Mihail Welikov der Grund, | |
an der Besetzung teilzunehmen. „Ich studiere Jura, bin mir aber nicht ganz | |
sicher, ob meine Professoren dem Recht folgen“, sagt er. Für ihn habe die | |
Entscheidung des Verfassungsgerichtes gegen alle moralischen Prinzipien | |
verstoßen. „Manche meiner Professoren haben dieser Entscheidung zugestimmt. | |
Das kann ich nicht akzeptieren“, sagt Michail. „Das hier ist ein Kampf für | |
Moral.“ | |
Das findet auch Weronika Ivanova, eine andere Jurastudentin. „Die Moral | |
verschwindet“, sagt sie. „Dabei geht es nicht nur um die jetzige Regierung, | |
sondern auch um die vorherige und wohl auch noch um die nächste.“ | |
Ivanova übernachtet seit Freitag in dem Universitätsgebäude. Meistens | |
kopiert sie Ideen und Forderungen, die Bürger auf der Facebook-Seite der | |
Protestbewegung formuliert haben, auf Plakate. Das bislang größte Exemplar | |
hängt an einem Balkon eines Seitenflügels der Universität mit Blick auf das | |
Parlament. „Bulgarien wird repariert. Entschuldigung für die | |
Unannehmlichkeiten“ steht dort. | |
## Protest auch vorm Parlament | |
Dass die Demokratie in Bulgarien „repariert“ werden muss, glauben nicht nur | |
die Studenten. Seit dem 14. Juni 2013 protestieren täglich ab 18 Uhr | |
Tausende Menschen vor dem Parlamentsgebäude. Seit Freitag kommen aber auch | |
protestierende Bürger zur Universität. Viele bringen auch etwas mit, um den | |
„Supermarkt“ aufzufüllen. | |
Der Geographie-Student Assen Witanov sagt, dass die Anteilnahme der | |
Menschen beeindruckend sei. „Eine Frau kam und ließ Kaffee und einen | |
Wasserkocher da, sie hatte einfach nicht mehr. Wir sind hier, um zu zeigen, | |
dass wir eine Generation sind, die eine Meinung hat und die Leute begrüßen | |
das“, sagt er. | |
Das gilt aber nicht für alle. Am Montag forderte der Rektor Iwan Iltschev | |
ein Ende der Besatzung. Kurz darauf stimmten die „Früh erwachenden | |
Studenten“ für eine Fortsetzung der Besatzung. Für Dienstagabend wurde auch | |
eine offizielle Erklärung der Studentenräte erwartet. „Unabhängig vom | |
Ergebnis, wir werden hier bleiben“, sagt Ivanova. | |
30 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Georgi Minev | |
## TAGS | |
Bulgarien | |
Universität | |
Besetzung | |
Besetzung | |
Bulgarien | |
Bulgarien | |
Bulgarien | |
Bulgarien | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Proteste in Bulgarien: Studenten besetzen Universität | |
Aktivisten fordern die sofortige Parlamentsauflösung und Neuwahlen. | |
Auslöser der Aktion ist die Kontroverse um einen zwielichtigen Medienmogul. | |
Kommentar Proteste in Bulgarien: Total korruptes Establishment | |
Gegen Bulgariens amtierende Regierung wird nicht ohne Grund täglich | |
protestiert. Doch auch Neuwahlen würden an der Lage kaum etwas ändern. | |
Proteste in Bulgarien: Das Volk belagert seine Vertreter | |
Nur die Polizei konnte die Belagerung des Parlaments in Sofia durch | |
Demonstranten beenden. Der Protest gegen den „Roten Müll“ geht weiter. | |
Proteste in Bulgarien: „Mafiosi, ab in den Knast!“ | |
Seit 21 Tagen gehen Bulgaren auf die Straße. Sie protestieren gegen | |
Korruption und fordern den Rücktritt der Regierung. Die stellt sich taub. | |
Parlamentswahlen in Bulgarien: 350.000 Stimmzettel aus dem Nichts | |
In Sofia zeichnet sich keine klare Mehrheit für eine Regierungsbildung ab. | |
Laut Beobachtern waren die Wahlen „weit von europäischen Standards | |
entfernt“. |