# taz.de -- Mobilbauten für Flüchtlinge abgelehnt: Vegesacks Volksmob | |
> Auf einer Sitzung des Ortsbeirats im Bremer Stadtteil Vegesack sprechen | |
> sich Lokalpolitiker gegen Unterkünfte für Flüchtlinge aus. Befürworter | |
> werden niedergebrüllt. | |
Bild: Die Fremden-Angst treibt BürgerInnen-Massen in den Ortsbeirat Vegesack. | |
BREMEN taz | Der Beirat Vegesack hat am späten Donnerstagabend nach einer | |
Sitzung in aggressiver Atmosphäre die Einrichtung einer neuen | |
Flüchtlingsunterkunft im Stadtteil abgelehnt. Bremens grüne Sozialsenatorin | |
Anja Stahmann wollte auf dem Sportplatz „Fährer Flur“ Mobilbauten für 120 | |
Personen errichten. Beirat und Ortsamt wurden sehr kurzfristig informiert. | |
SPD, CDU, FDP und „Bürger in Wut“ stimmten gemeinsamen gegen den Ort. Es | |
solle nach „sozial verträglichen“ Alternativen gesucht werden, heißt es in | |
ihrem Beschluss. | |
Zuvor hatten BesucherInnen der Beiratssitzung im Stadthaus Vegesack | |
Stahmanns Staatsrat Horst Frehe angebrüllt und ausgebuht. Der Saal war | |
überfüllt, AnwohnerInnen saßen auf dem Boden, standen bis in den Flur. Im | |
Vorfeld hatte die CDU mit Handzetteln mobilisiert. | |
Als Frehe erklärt, dass die Flüchtlingszahlen steigen, 2013 vermutlich | |
90.000 bis 100.000 Menschen in Deutschland Schutz suchen würden, geht ein | |
Raunen und Stöhnen durch das Publikum. Die Krisenherde hätten zugenommen, | |
sagt Frehe. „Was sind wir dafür verantwortlich?“, kommt es zurück. | |
Auch Heiko Hergert, Referatsleiter für Zuwanderung im Sozialressort, kann | |
kaum ausreden. 780 Menschen müssten in der Stadt Bremen untergebracht | |
werden, sagt er. Händeringend würde nach Unterkünften gesucht. Von den | |
12.000 Quadratmetern des Platzes werde nur ein Viertel in Anspruch | |
genommen. Lautes Lachen erfüllt den Saal. | |
Mobilbauten seien nicht irgendwelche Hütten, sagt Hergert. Fünf Jahre | |
könnten sie dort stehen. „Arbeit macht frei“, ist in den Reihen zu hören. | |
Vier- und Zwei-Bett-Zimmer seien geplant, so Hergert, mit eigener Dusche | |
und WC und Kochecke. Alternativen in Vegesack wie das | |
Vulkan-Verwaltungsgebäude seien zu groß und zu aufwendig im Umbau. „Der | |
Bunker Valentin ist groß genug“, sagt einer. | |
## Frehe wird laut | |
Frehe wird nun selber laut: „Die Kommentare sind unplatziert, das höhnische | |
Lachen finde ich nicht in Ordnung.“ Die Beiratssprecherin Heike Sprehe | |
(SPD) beschwert sich, dass der Beirat vom Sozialressort als „wichtigste | |
Institution vollständig überrascht wurde“. Die Aufnahme von Flüchtlingen | |
begrüße sie grundsätzlich. Das sagt auch Beirat Cord Degenhard von den | |
„Bürgern in Wut“, ehemals CDU. Er will sie nur nicht in Vegesack. Degenhard | |
wendet sich an die Gäste: „Ich fühle mich ausgesprochen wohl, weil ich noch | |
andere Wutbürger sehe.“ Breiter Applaus. | |
CDU-Sprecher Detlef Scharf und FDP-Mann Rainer Buchholz knüpfen an. „Die | |
Bürger im Stadtteil kommen für mich zuerst“, sagt Scharf. Als Thomas | |
Pörschke von den Grünen versucht zu erklären, warum er zwar 120 Flüchtlinge | |
auf diesem Platz für zu viel hält, das Vorhaben aber nicht gänzlich | |
ablehnt, werden die ZuhörerInnen aggressiver. Volker Beringer (SPD) | |
argumentiert, der Platz werde nach der Bebauung kaputt sein. Zum | |
angrenzenden Schwimmbad sei eine Mauer, „das ist natürlich ein Vorteil“, | |
sagt Beringer. | |
Sabri Kurt, Beiratsmitglied für die Linkspartei, versucht zu sprechen. Er | |
wird niedergebrüllt. Der Ortsamtsleiter greift zum Mikrofon – und ermahnt | |
Kurt, sachlich zu bleiben. Der Linksparteiler ist das einzige | |
Beiratsmitglied mit Migrationshintergrund. Er bricht seine Rede ab. | |
## "Pfui, aufhören!" | |
Bremens Integrationsbeauftragte Silke Harth meldet sich. Überall gebe es | |
Sorgen, aber der Druck sei gigantisch, erklärt sie und findet kein Gehör. | |
„Das sind doch gar keine Flüchtlinge“, schallt es. Britta Ratsch-Menke vom | |
Verein Zuflucht will etwas sagen. Geschrei, „Pfui, aufhören“. Libuse Cerna, | |
Vorsitzende des Bremer Rats für Integration, wird niedergebrüllt. „Wo ist | |
die Solidarität mit den deutschen Kindern“, wird gerufen, „Drogen“ und | |
„Kriminalität“. | |
Ein junger Mann in rot-weiß kariertem Hemd steht auf, dreht sich zu den | |
AnwohnerInnen: „Ich als Deutscher bin nicht mehr offen für Integration. Ich | |
als Deutscher …“ FDP-Beirat Rainer Buchholz meldet sich: Die Sitzung sei | |
„keine Anhörung von Interessensverbänden“. Das meint er in Bezug auf Cern… | |
Harth und Ratsch-Menke, nicht auf den jungen Mann. Buchholz will, dass die | |
Vegesacker weiterreden. Eine ältere Frau meldet sich, zeigt auf | |
Linken-Beirat Sabri Kurt: „Ich muss mir von einem Neu-Bürger nicht sagen | |
lassen, wir sind Nazis. Es ist vorbei“, brüllt sie ins Mikrofon des | |
Ortsamtsleiters. Rasender Applaus. | |
Frehe versucht nochmals zu erklären. 120 Menschen in Mobilbauten seien kein | |
Ghetto. Es komme auch auf die Nachbarschaft an. Trotz Mikrofon dringt er | |
kaum durch. Wird angeschrien, ausgebuht. Dann sagt er: „Sie haben sich | |
dagegen verwahrt, ausländerfeindlich zu sein. Gleichzeitig haben sie Sachen | |
gesagt, die genauso aufgefasst werden.“ | |
## Solidarität erwünscht | |
Ein junges Ehepaar lehnt die ganze Zeit ruhig an der Wand. Sie sind | |
Bewohner der Flüchtlingsunterkunft in der Eduard-Grunow-Straße. Er floh aus | |
dem Iran, sie aus Afghanistan. Die „Demokratie zu sehen ist sehr | |
interessant“, sagt der junge Mann. „Dass Vertreter der großen Parteien mit | |
den Bürgern reden, dass habe ich noch nie gesehen.“ Von den Redebeiträgen | |
habe er nur die Hälfte verstanden, aber die hätten ihn schon ein bisschen | |
geschockt: „Ich hätte mir etwas mehr Solidarität mit den Flüchtlingen | |
gewünscht. Die Leute wissen doch, was in der Welt los ist.“ | |
Die Sitzung endet damit, dass Degenhard von den BiW mit einem Volksaufstand | |
droht: „Herr Frehe, wenn sie das weiter durchziehen, dann gibt es nicht nur | |
einen Platz in Istanbul, dann gibt es auch einen Sedanplatz.“ | |
5 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Jean-Philipp Baeck | |
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