| # taz.de -- Geschichte des Abhörens: Schäden auf beiden Seiten der Wanze | |
| > Der Legende nach soll bereits Dionysos seine Gefangenen abgehört haben. | |
| > Vom alten Syracus bis zur NSA: eine Geschichte der akustischen | |
| > Überwachung. | |
| Bild: Abhören ist unbequem | |
| Siziliens findigste Touristenführer könnten ihre Ausführungen zum Ohr des | |
| Dionysos dieser Tage folgendermaßen beginnen: „NSA-Mitarbeiter, aufgepasst! | |
| Hier sehen Sie die Mutter aller Abhörsysteme.“ Tatsächlich soll der Tyrann | |
| von Syracus im 4. Jahrhundert v. Chr. in der mächtigen Steinhöhle attische | |
| Kriegsgefangene eingekerkert haben. Das Gebilde erinnert in seiner Form an | |
| ein Hörorgan und verfügt über eine imposante Akustik. | |
| Schon im 17. Jahrhundert kamen viele Reisende hierher. Unter ihnen war der | |
| Maler Caravaggio, der beeindruckt weiterfantasierte: Dionysos müsse wohl | |
| einen akustischen Gang von der Höhlendecke in ein nahe gelegenes Theater | |
| eingerichtet haben. Dort saß er dann, um zu hören, was die Gefangenen | |
| untereinander sprachen – ein Mythos, der den Besuchern noch heute | |
| aufgebunden wird. Mutmaßlich verrät er weniger über Machtausübung in der | |
| Antike als über Caravaggios Zeit. Zumindest spricht des Malers barocker | |
| Hang zum Kuriosen auch aus Athanasius Kirchers verspielten Abhörphantasmen. | |
| Der Universalgelehrte versammelte 1662 in seinem Buch „Musurgia | |
| Universalis“ allerhand komplexe Architekturen zur akustischen Überwachung | |
| von Herrscherresidenzen. Der Schall wird jeweils von einem großen Trichter | |
| eingefangen und durch einen schneckenhausartigen Gang geleitet. Die Öffnung | |
| im Abhörraum bildet zumeist eine Büste, mithin eine schlichte | |
| Symbolisierung des geheimen Informanten. | |
| Warum diese Häufung von erdachten Abhörsituationen im 17. Jahrhundert? Der | |
| Grund liegt wohl weniger in der Zahl der Verschwörungen zur damaligen Zeit | |
| als vielmehr in der technischen Verspieltheit der Geheimkommunikation. | |
| Kirchers Abhörentwürfe sollen etwa im Auftrag italienischer Adliger | |
| entstanden sein - als Sicherung, aber auch als sensationelles Extra der | |
| eigenen Behausung. Man mag die Unterwanderung befürchtet haben, vor allem | |
| aber hatte die Erfindungslust Konjunktur. | |
| ## Abhören in der Malerei | |
| Auch in der Malerei finden sich Abhörmotive zuhauf. Nicolaes Maes, ein | |
| Schüler Rembrandts und Zeitgenosse Athanasius Kirchers, hat immer wieder | |
| das Motiv der Lauscherin gemalt: eine Magd, die ihre Herren abhört. Sie | |
| steht im Vordergrund des Bildes auf dem Korridor, die Augen auf den | |
| Betrachter gerichtet, den ausgestreckten Zeigefinger auf ihren Mund gelegt, | |
| während die Herrschaften in einem entlegenen Hinterzimmer durch den | |
| geöffneten Türspalt zu beobachten sind. Die Dienerin nimmt Kontakt mit uns | |
| auf, mahnt uns zu schweigen. Wir sehen, was sie hört, aber nicht sieht, und | |
| sie hört offenbar, was wir sehen, aber nicht hören können. | |
| Die Szene entbehrt nicht einer gewissen Komik, zudem sind Magd und | |
| Betrachter durch die Kontaktaufnahme partners in crime. Es entsteht die | |
| solidarische Hoffnung darauf, dass hier eine Information zugänglich werde, | |
| die bisher zu Unrecht unter Verschluss stand. | |
| Eine Vorrichtung, um gesprochene Sprache abzufangen, hatte zeitweise schon | |
| das berühmte, Panopticon genannte Gefängnismodell von Jeremy Bentham | |
| (1791). Die Grundanordnung: In der Mitte steht ein Turm, ringsherum sind | |
| die Zellen derart angeordnet, dass der Turmwächter sie allesamt einsehen | |
| kann. Die einzelnen Zellen sollten nun über schmale, strahlenförmig | |
| angeordnete Gänge abhörbar sein. Was Bentham schließlich dazu brachte, die | |
| Anlage doch nur rein optisch auszulegen, war die Einsicht, dass sich die | |
| akustischen Rohre in beide Richtungen hätten benutzen lassen: Der Gefangene | |
| hätte also auch hören können, was im zentralen Wachturm gesprochen wird. | |
| ## Metternichs Spitzel | |
| Im Kern ist Benthams Modell der Aufklärung verpflichtet, denn es setzt auf | |
| eine mögliche Resozialisierung des Gefangenen. Dieser wird überwacht, um | |
| seine Besserung sicherzustellen. | |
| Die reaktionäre Antwort darauf kam ab 1819 aus Wien. Klemens Fürst | |
| Metternichs Überwachungsstaat hatte den Deutschen Bund bis 1848 fest im | |
| Griff. Weil ihm die bürgerliche Freiheit zutiefst unheimlich war, | |
| errichtete der österreichische Außenminister und Staatskanzler mit den | |
| Karlsbader Beschlüssen ein System aus Zensur und Bespitzelung. Neben der | |
| Frankfurter Bundeszentralbehörde, in der sich die Mitschriften stapelten, | |
| unterhielt Metternich ein Informationsbüro in Mainz, von dem aus die | |
| Spitzel ausschwärmten, unter ihnen auch namhafte Personen des | |
| Geisteslebens, die Zugang zu Räumen hatten, in denen sich interessante | |
| Gespräche mithören ließen (etwa die des Zirkels um Karl Marx). | |
| Dass Metternichs System in den Revolutionsunruhen von 1848 binnen wenigen | |
| Monaten zusammenbrach, war dem Geist der Zeit geschuldet: Auf Grundlage von | |
| Misstrauen gegen das eigene Volk ließ sich in der Folge der Aufklärung | |
| offenbar kein moderner Staat mehr auf Dauer regieren. Schließlich generiert | |
| das kaltgestellte Individuum keinen Mehrwert. | |
| Doch weit gefehlt: Etwa ein Jahrhundert später erfand Theremin im Auftrag | |
| des KGB die Abhörwanze, das akustische Kontrollgerät schlechthin. Mit | |
| dieser Erfindung wurde es machbar, die Kommunikation vermeintlich | |
| subversiver Elemente auszuhorchen. Die Vorrichtung hat inzwischen nicht nur | |
| eine Karriere als reales Mittel der Spionage, sondern auch als Element | |
| zahlreicher Kino- und TV-Produktionen hinter sich. In den meisten dieser | |
| Agententhriller und Cold-War-Dramen wimmelt es von gebrochenen Charakteren | |
| auf beiden Seiten der Wanze - die Abhörenden sind hier ebenso zu | |
| bemitleiden wie die Abgehörten. | |
| ## Innovativ in „The Wire“ | |
| So legte Francis Ford Coppola 1974 mit „The Conversation“ einen Film vor, | |
| der das paranoide Lebensgefühl der Amerikaner nach dem Watergate-Skandal | |
| präzise einfing: Gene Hackman wird als verschrobener Abhörspezialist Harry | |
| Caul selbst abgehört. In der Schlusssequenz versucht er, eine vermeintlich | |
| in seiner Privatwohnung installierte Wanze ausfindig zu machen. Die Szene | |
| endet mit der völligen Zerstörung seines Heims. Als der Abspann einsetzt, | |
| kann sich der Zuschauer nicht mehr sicher sein, ob Caul wirklich überwacht | |
| worden ist oder sich lediglich der Verfolgungswahn des Protagonisten | |
| verselbstständigt hat. | |
| Der Film "Das Leben der Anderen" nahm das Motiv des traurigen Überwachenden | |
| unter den Bedingungen des Stasi-Milieus 2006 wieder auf. Während sich "The | |
| Conversation" um Privat- und Wirtschaftsspionage dreht, erleben wir hier | |
| staatliche Kontrolle im Stile Metternichs bzw. Orwells: Ein Stasi-Hauptmann | |
| fungiert als personifiziertes Mikrofon, als kleines Rädchen in einem | |
| unüberschaubaren Überwachungssystem. Mit der Zeit entwickelt er sich durch | |
| die indirekte Erfahrung der abgehörten Lebenswelt jedoch zum Gegner des | |
| unmenschlichen Systems. | |
| Inzwischen ist das Anzapfen von Telefonen nicht nur in den Reden von | |
| Sicherheitspolitikern durchaus positiv belegt. Als innovative Technik der | |
| Guten erscheint es auch in der hochgelobten US-Serie „The Wire“: Eine | |
| tapfere Spezialeinheit kämpft mit subtilen Mitteln gegen die Drogenbosse | |
| von Baltimore, anstatt immer nur die kleinen Fische hochzunehmen. | |
| Die Methode wird uns (gern in Parallelmontagen) als weitaus effektiver als | |
| die Razzia vor Ort vorgeführt. Während tumbe Polizisten erfolglos die | |
| Wohnungen vermeintlicher Dealer stürmen, sitzen unsere Helden mit Laptops | |
| im Büro und lächeln still, wenn sich der Hintermann am Handy verrät. Das | |
| hochtechnisierte Lauschen auf die Gespräche anderer wirkt in dieser Serie | |
| kreativ und intelligent, diskret und elegant. | |
| ## China im Fokus | |
| Nun aber doch große Entrüstung über die nichtfiktionale Überwachung seitens | |
| der USA. Dabei hat auch diese eine lange Geschichte: Echelon, das von der | |
| NSA betriebene weltweite Abhörsystem, hat seine Wurzeln im Zweiten | |
| Weltkrieg. Nach Kriegsende stand – mit Unterstützung der Länder des | |
| Commonwealth - die Überwachung des sowjetischen und chinesischen | |
| Hochfrequenzfunks im Fokus. | |
| Der Journalist Duncan Campbell berichtet, dass sich auch hier der | |
| Überwachende mitunter als tragische und paranoide Figur zeigte, „die sich | |
| zum Beispiel in einem Schrank versteckt, in dem Glauben, gerade eine | |
| Nachricht abgehört zu haben, die den Beginn des globalen thermonuklearen | |
| Krieges ankündigte“. | |
| Die Echelon-Historie führt von der Entstehung als Kriegstechnik über ein | |
| Mittel zur Linderung von Kommunismus-Paranoia weiter bis zum Einsatz aus | |
| Wirtschaftsinteressen. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 wird als | |
| Argument (wieder) die innere Sicherheit ins Feld geführt. Doch der Fall | |
| Edward Snowden zeigt: Inmitten automatisierter Algorithmen und permanent | |
| aktualisierter Schlüsselwortlisten finden sich noch immer Figuren, denen | |
| ihre Arbeit den Schlaf raubt. | |
| 14 Jul 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Andi Schoon | |
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