Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Geert Mak über John Steinbecks US-Trip: „Das Ideal der Amerikane…
> Geert Mak reiste auf den Spuren John Steinbecks durch die USA. Der habe
> sich damals viel aus den Fingern gesogen. Und heute ist Amerika tief
> gespalten, so Mak.
Bild: Michigan, Detroit, im Juli 2013.
Für seine Reisereportage „Amerika! Auf der Suche nach dem Land der
unbegrenzten Möglichkeiten“ ist der niederländische Publizist Geert Mak
2010 auf den Spuren John Steinbecks durch die USA gereist. Steinbeck war
1960 während des Präsidentschaftswahlkampfs Nixon/Kennedy mit Pick-up
(Rosinante) und Pudel (Charley) aufgebrochen, um Land und Leuten
nachzuspüren.
Die „Travels with Charley“ wurden in den USA zum Bestseller und zur
Schullektüre. Maks Nachreise ergab nun jedoch, dass es der Romancier
Steinbeck mit dem journalistischen Realismus offenbar nicht so genau
genommen hat. Ein Gespräch über Fakten und Fiktionen in der Reise mit
Charley, Steinbeck on Speed und Mythen, die das Land blockieren.
taz: Herr Mak, Sie sind nicht als Erster auf John Steinbecks Spuren durch
Amerika gereist. Aber mit Ausnahme des Journalisten Bill Steigerwald, der
dieselbe Idee einer 50-jährigen Jubiläumstour hatte, ist niemandem
aufgefallen, dass vieles in seinen „Travels“ fragwürdig ist?
Geert Mak: Nein, merkwürdigerweise haben das auch die Steinbeck-Forscher
nie genauer untersucht. Eine erste Ahnung bekam ich, als ich die Biografie
seines Sohns John jr. las. Seiner Ansicht nach hat sich Steinbeck die
Begegnungen in den „Travels“ aus den Fingern gesogen. Als ich dann
unterwegs war, merkte ich auch bald, das kann unmöglich hinkommen. Am
Morgen ist er da, am Abend dort, das sind 450 Meilen, und zwischendurch hat
er von mittags bis abends geangelt und geplaudert. Wie soll das gehen mit
diesem alten Lastwagen?
Und dabei liest es sich zunächst so toll, wie er da seine
Reisevorbereitungen trifft, seinen Truck mit Alkoholika vollstopft, weil er
mit den Menschen ins Gespräch kommen will. Am Ende gerät das Ganze dann
aber doch recht flüchtig.
Zuerst funktioniert das noch ganz gut. Dann kommt er nach Chicago, und
alles ändert sich. Er trifft seine Frau Elaine und wird danach mehr und
mehr von der Sehnsucht nach seiner Frau getrieben.
Und reist dann durch den Mittleren Westen bis nach Seattle.
Dort trifft er seine Frau erneut, und die einsame Expedition mutiert zur
Urlaubsreise durch Kalifornien. Und Charley sitzt heulend hinten im Wagen.
Das steht aber nur im Manuskript des Buchs. Und diese Passagen hat
Steinbeck alle wieder rausgestrichen. Aus den „we“ wird „I“ – ich, ic…
ich. Und der Hund landet wieder auf dem Beifahrersitz. Das Ganze hat auch
einen hohen Machogehalt. Steinbeck war krank und wollte mit seiner Tour
zeigen, dass er noch ein echter Mann war. Eine stark konstruierte Reise
also.
Gab es noch andere Merkwürdigkeiten?
Zum Ende seiner Reise gibt es eine Dialogszene, da nimmt er nacheinander
drei Tramper mit. Einen gemäßigten Schwarzen, einen weißen Rassisten und
einen jungen, radikalen Schwarzen. Allein diese Konstellation ist so
konstruiert …
Geradezu idealtypisch präsentiert uns Steinbeck das komplette Spektrum der
Haltungen zum Thema Rassismus.
Als Journalist spürt man, das ist fabuliert, das kann nicht richtig sein.
Dann fand ich den Brief eines Freunds von Steinbeck. Der war zwei Tage mit
ihm mitgereist, hat das dann aber abgebrochen. Er sagte, man hätte kein
Wort wechseln können, da war ein Höllenlärm in der Fahrerkabine. Diese
Dialoge können also niemals so stattgefunden haben. Nicht in diesem Auto.
Die New York Times tadelte angesichts dieser Entdeckungen, dass Steinbeck
das Vertrauen seiner Leser missbraucht habe. Wie urteilen Sie darüber?
Steinbecks Projekt ist gescheitert. Das ist auch die Tragödie eines großen
Schriftstellers. Mehr und mehr vermischt er seine eigenen Gedanken mit den
Gedanken über sein Land. Er bezeichnet Amerika als verrottenden Leichnam
und schreibt in Wirklichkeit über sich selbst. Das wusste er sehr genau. Zu
Hause hat er versucht, das am Schreibtisch zu reparieren. Mit viel Fiction.
Das Buch ist keine Fotografie des Landes, aber ein sehr schönes Aquarell.
Welche Rolle haben Drogen auf Steinbecks Reise gespielt?
Er hat sich in den 1960er Jahren immer sehr kritisch über die
Jugendbewegung geäußert, über deren Drogenkonsum etc. Sein Sohn berichtet
aber, dass Steinbeck selbst begeisterter Speed-User war. Da war also auch
viel Amphetamin in dieser Reise dabei.
Ihr eigenes Porträt der USA ist auch eine Bestandsaufnahme von Fakten und
Fiktionen, zwischen denen sich das Land bewegt. Was sind die wichtigsten
Mythen, die für Amerika heute problematisch sind?
Da ist die Fiktion von Amerika als dem neuen Israel, God’s Blessed Country,
das beste Land der Welt, mit diesem religiös-messianische Impetus.
Gleichzeitig die aufklärerische Tradition, der Glaube, alles sei machbar
und nur eine Frage der technischen Umsetzung. Dass man wirklich glaubt, man
könne innerhalb von zwei Jahren im Irak eine funktionierende Demokratie
errichten. Und sich immer noch für den einsamen Fackelträger von Demokratie
und Gerechtigkeit hält.
Und dann ist da das für die Gründung der USA fundamentale Ideal der
Gleichheit.
Genau. Als Tocqueville 1831 durch Amerika reiste, schildert er diese ihn
verblüffende Situation, wo ein Bankier mit einem Straßenfeger in regem
Gespräch über städtische Politik vertieft ist. Und dann Shakehands – und
jeder geht wieder seiner Wege. Das wäre im damaligen Europa undenkbar
gewesen, dieser fehlende Standesdünkel. Das hat sich natürlich längst
geändert und ist aus der Balance geraten. Dieser Mythos der sozialen
Mobilität, der Zeitungsverkäufer in New York, der Millionär wird, das
stimmt ja schon lange nicht mehr.
Das Thema Ungleichheit ist auch in den Gesprächen, die Sie auf Ihrer Reise
geführt haben, ständig präsent. Da spiegelt sich immer wieder die Härte des
gegenwärtigen Lebens dort. Und eine resignative Wut angesichts der
Ungleichbehandlung von Haves und Have Nots.
Das ist etwas historisch Neues. Zwei Drittel der Amerikaner glauben heute
nicht mehr an eine bessere Zukunft für ihre Kinder. Das amerikanische Ideal
war aber immer, es wird besser und besser gehen. Gleichzeitig ist aber die
Hilfsbereitschaft untereinander immer noch unglaublich groß. Man kann sich
ja kaum auf staatliche Instanzen oder Ämter verlassen. Stattdessen sind die
Kirchen und Schulen zu Beispiel nach wie vor wichtige soziale Zentren. Das
sollte man nicht unterschätzen, da sind immer noch sehr viele Menschen, die
versuchen, das mit großem Idealismus zusammenzuhalten.
Dennoch zeugen viele der von Ihnen gesammelten Geschichten vom
wirtschaftlichen und sozialen Niedergang und dem Verfall des öffentlichen
Lebens.
Das gilt vor allem für das Durchschnittsamerika, das ländliche
Fly-over-Country, durch das ich vornehmlich gereist bin. Da ist die
Infrastruktur oft auf dem Stand eines Entwicklungslands. Und das Problem
ist, dass die meisten Amerikaner keine Ahnung haben, wie unterentwickelt
ihre eigene Region teilweise ist. Die können ja nicht wie die Reichen in
der Welt herumreisen und sich ein eigenes Bild machen. Und Medien à la Fox
News verstärken das. Die machen die Welt zur Karikatur. Amerika ist gut,
der Rest ist gefährlich. Da sieht man Sendungen über Europa und denkt, man
ist in Kabul. Gleichzeitig fährt man auf Detroit zu, wo man sich abends
wirklich nicht mehr auf die Straße traut.
Trotzdem sind Sie nicht pessimistisch?
Es gibt überall in Amerika auch Inseln des Reichtums, der Innovation und
Progressivität. Wo ein Bewusstsein existiert, dass sich etwas ändern muss.
Meine Sorge ist nur, dass das auf diese Inseln beschränkt bleibt und die
verschiedenen Welten einander nicht mehr erreichen. Die Progressiven
bleiben in ihren Berkeleys, und die Konservativen bleiben in Texas
ebenfalls unter sich.
Und der Extremismus, der sich auf der politischen Ebene austobt und sie
schachmatt setzt, ganz zu schweigen vom immensen Einfluss des Geldes auf
die Politik – auch da sehen Sie nicht schwarz?
Die Korruption in der Politik ist ein großes Problem. Das hat man beim
Thema Gun-Control wieder gesehen. Es gibt inzwischen eine
Bevölkerungsmehrheit, die will, dass sich da was ändert. Dagegen hat sich
die National Rifle Association zwar mit sehr viel Geld durchgesetzt. Aber
auf Dauer kommt man damit nicht durch. Und auch die Republikaner geraten
mit ihrer Blockadepolitik immer stärker in die Defensive, wenn sie diesen
Wertewandel ignorieren.
Sie setzen auf einen Wertewandel, der auch durch die Demografie begünstigt
wird?
Das ist meine große Hoffnung. Die Migranten, die nach wie vor ins Land
strömen, aus Südamerika, Asien etc., das sind sehr interessante Gruppen.
Wertkonservativ, hohe Arbeitsmoral, gleichzeitig aber nicht
staatsfeindlich. Für ein funktionierendes Gemeinwesen sind die auch bereit,
Steuern zu zahlen. Das kann dem Land eine neue Dynamik geben, eine
Modernisierungsprozess in Gang setzen, die Amerika dringend braucht.
22 Jul 2013
## AUTOREN
Eva Berger
## TAGS
USA
Detroit
Literatur
NSA
Alkohol
## ARTIKEL ZUM THEMA
Geschichte des Abhörens: Schäden auf beiden Seiten der Wanze
Der Legende nach soll bereits Dionysos seine Gefangenen abgehört haben. Vom
alten Syracus bis zur NSA: eine Geschichte der akustischen Überwachung.
Neuer Trend in den USA: Rauch' mal noch einen Schnaps
Komasaufen ist out, Schnaps im Auge und Wodka rektal auch. Der neue Weg zum
Vollrausch führt über die Lunge. Blöd nur, dass der Volldampfrausch
gefährlich ist.
Bruce Springsteen auf Tour: Ein gütiger Herrscher
Bruce Springsteen macht im Rahmen seiner Welttournee nun Station in
Deutschland. Flankierend erscheinen neue Biografien und eine
Best-of-Sammlung.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.