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# taz.de -- Die Wahrheit: Zu doof zum Zählen
> Erst jetzt stellt sich langsam heraus, dass bei der letzten Volkszählung
> gravierende Fehler gemacht wurden.
Bild: Hundert Prozent der über Achtzigjährigen sind über achtzig, einige sog…
Einer Volkszählung hat es das Abendland zu verdanken, dass sein Messias in
einem mäßig komfortablen Stall geboren wurde. Hätten Maria und Josef sich
nicht aufgrund kaiserlichen Dekrets zur Erfassung nach Bethlehem begeben
müssen, hätte das Jesuskind vielleicht in einem schön gestrichenen
Kreißsaal per Wassergeburt zur Welt kommen und bei dieser Gelegenheit schon
mal den Tauchschein machen können. Dann hätte es gleich was Eigenes gehabt
und möglicherweise einen ganz anderen Lebensweg eingeschlagen, wer weiß?
Heute muss man zur Volkszählung nicht mehr persönlich antreten. Denn bei
einer modernen Volkszählung wird zwar alles Mögliche gemacht, aber nicht
gezählt. Mit der Strichliste rumgehen, das kann ja jeder. Die stattdessen
angewandte Methode ist eine Mischung aus Schwarmintelligenz, Stichprobe und
computergestützten Gefälligkeitsrundungen.
Völlig zu Recht hagelt es Kritik. Das Problem bei einer Stichprobe ist,
dass man auch daneben stechen kann. Dreimal die Harpune in den Fluss
geschleudert, nie war ein Lachs dran, ergo: fischfreies Gewässer. Zudem
waren die Angaben zur Religionszugehörigkeit ungenau: „Kannibalismus“,
„Bayern München“ oder „römisch-katholisch, aber nur Dienstags“ fehlen.
Bauch- oder Rückenschläfer wurde gar nicht abgefragt, ebenso wenig, welche
Socke zuerst angezogen wird.
Außerdem können die Zahlen nicht stimmen! In Hamburg fehlen angeblich
82.000 Leute, in Berlin sogar 180.000! Damit handelt es sich in beiden
Fällen praktisch nur noch um Großgemeinden, in denen dem Verwaltungschef
bestenfalls die Amtsbezeichnung „Regierender Dorfschulze“ zusteht. In der
Hauptstadt 180.000 Einwohner weniger! Als hätte man immer gedacht, Berlin
hat zwölf Bezirke, und wenn man dann mal durchzählt, sind’s nur neun. Wären
es elf, dann hätte man gewiss noch eine Erklärung gefunden („Tempelhof
wurde bekanntlich geschlossen!“ oder so), aber neun statt zwölf?
Das ist so, als ob man seinen Kindern gegenüber jahrelang behauptet, zehn
Klimmzüge draufzuhaben, und wenn die es dann irgendwann nicht mehr hören
können und dich zu einer Reckstange schleppen, verreckst du nach drei
mühseligen Versuchen elendig und vor aller Augen – darum heißt das Ding ja
auch: Reck. Folge ist regelmäßig ein auf alle Lebensbereiche ausstrahlendes
Glaubwürdigkeitsproblem. Da kannst du noch so oft erklären, dass die zehn
Klimmzüge Ergebnis einer Fortschreibung bekannter Werte und daher absolut
richtig sind, jedenfalls statistisch.
Die letzte Zählung des Westberliner Volkes im Jahr 1987 ergab übrigens,
dass dort 130.000 Leute mehr lebten als gedacht. Selbstverständlich legt
der Regierende Klaus Wowereit trotzdem Widerspruch ein; schließlich kennt
er jeden Berliner persönlich, und wenn da jemand fehlt, dann wäre ihm das
aufgefallen. Außerdem: Wenn die Zahlen der Zensisten stimmen – warum, bitte
schön, ist es in der S-Bahn dann immer so voll?
Wie kann man derartige Abweichungen zukünftig verhindern? Die einzige
Möglichkeit ist: Jeden Morgen ist bundesweiter Zählappell, alle müssen
raustreten und der Reihe nach ihre Nummer rufen, erst danach gibt’s
Frühstück. Schöner Nebeneffekt: Viele Empfänger von Transferleistungen
haben erstmals in ihrem Leben was vor, und das jeden Tag! Wie das
strukturiert!
Immerhin konnte der Zensus auch diverse Daten bestätigen: Hundert Prozent
der über Achtzigjährigen sind über achtzig, einige sogar noch älter oder
schon tot. Alleinstehende Germanistinnen in zu großen handgenähten
italienischen Lederschuhen machen ihren selbst gemachten Avocado-Dipp am
liebsten selbst. Vier Prozent des Wohnraumes stehen leer, zum Beispiel das
Schlafzimmer, wenn alle Bewohner gerade in der Küche sind. Tröstlich ist
zudem: Der Zensus hat ergeben, dass es Bielefeld doch gibt.
Und: Auch aus einer richtigen Statistik würden wohl wieder nur falsche
Schlüsse gezogen werden. So gesehen ist alles nur halb so schlimm.
14 Jul 2013
## AUTOREN
Robert Niemann
## TAGS
Volkszählung
Berlin
Wowereit
Zensus
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024
Bambi
Langeweile
Kroatien
Sprache
Musik
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