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# taz.de -- Die Wahrheit: Gekreuztes Kaufen
> Neues aus der wunderbaren Welt des Handels: Überrumplung gilt als
> legitime Verkaufstechnik. Aber wie kann der Käufer kontern?
Bild: Die dieser Verkaufstechnik zugrunde liegende Idee ist die der Überrumpel…
Wer sein Geld mit Verkaufen verdient, der genießt in intellektuellen
Kreisen gemeinhin kein besonders hohes Ansehen. Man unterstellt ihm
unterschwellig Denk- und Verhaltensweisen, die, wenn sie jeder pflegte,
unsere Welt roh, rau und schlicht werden ließen. Dabei ist die Branche
kreativ. Was an Geisteskraft in die Entwicklung neuer Verkaufsmethoden
fließt, würde ausreichen, um sämtliche Ressourcenprobleme der Menschheit zu
lösen, alle Krankheiten zu besiegen und endlich eine verlässliche
Eselsbrücke für die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit zu finden.
Beim – zugegeben gar nicht so neuen – Cross-Selling handelt es sich nicht,
wie man bei oberflächlicher Befassung mit dem Thema meinen könnte, um den
Vertrieb von Gottesdienstutensilien oder um das Angebot eines auf
Sakralbauten spezialisierten Raumausstatters. Sondern darum, dass man
Leuten, die gerade etwas gekauft haben, was sie vermutlich nicht brauchen,
noch etwas dazuverkauft, was sie erst recht nicht brauchen.
Das funktioniert erstaunlich gut, wie sich in jedem besseren Berliner
Bahnhofs-Shop beobachten lässt, wobei eingeräumt werden muss, dass die dort
angebotenen Produkte immerhin nicht alle völlig nutzlos sind:
Kunde (leicht verschlafen, es ist circa 6 Uhr 30): „Einen Kaffee bitte!“
Verkäuferin (äußerst munter): „Sehr gern! Dazu vielleicht noch eine
Puddingschnecke?“
Kunde (verdutzt): „Hä?“
Verkäuferin (betont liebenswürdig; die Beimischung einer Prise Ironie ist
jedoch, da es sich bei ihr keineswegs um eine stumpfsinnige Person, sondern
eher um einen Nora-Tschirner-Typ handelt, nicht auszuschließen): „Oder
lieber den Berliner Fernsehturm?“
Kunde (kraftlos): „Puddingschnecke.“
Verkäuferin: „Eine oder zwei?“ (und so weiter und so fort …)
Die dieser Verkaufstechnik zugrunde liegende Idee ist die der
Überrumpelung. Nur ein überrumpelter Kunde ist ein guter Kunde. Ehe er
durchschaut, was da gerade abläuft, und ehe er erkennt, dass er ja durchaus
ablehnen könnte, hat er bereits genickt. Aus Schwäche, mangelndem
Selbstbehauptungswillen oder weil er es traurig findet, wenn kräftige junge
Männer Bubble-Tea verkaufen und dabei prinzessinnenfarbene Mützchen tragen
müssen.
Geht ein Kunde mit nichts als dem nach Hause, was er haben wollte, dann hat
der Verkäufer versagt. Darum wird er im Cross-Selling geschult und erhält
mutmaßlich Boni, wenn es klappt. Und Abzüge, wenn er es unterlässt. Als
Testkäufer bezahlte Optimierungs-Schergen schwärzen ihn gnadenlos bei der
Zentrale an. Wie bei allen Zwangsverrichtungen wird man daher vermuten
dürfen, dass es an innerer Überzeugung fehlt. Andererseits dürfte ein
erfolgreicher Verkaufsvorgang für Backshop-Angestellte, in deren grauen
Alltag der Duft von im Heißluftofen auf Gebäckstücken zerfließendem
Analogkäse oftmals der einzige Farbtupfer ist, ein Grund zur Freude sein.
Der Kunde hat, bis auf eine unnötige Warensammlung, nichts vom
Cross-Selling. Einen Schuhabtreter im Retro-Design („Hax’n abkratz’n!“)
gewollt, und mit einer Wohnlandschaft, einer Flusskreuzfahrt auf der Havel
und einem Treppenlift nach Hause gegangen. Das ist Mist und geht ins Geld,
vor allem dann, wenn die Wohnung gar keine Treppe hat. Denn gerade bei
Treppen gilt: Der nachträgliche Einbau ist teuer, und er bringt Ärger mit
dem Mieter der darüberliegenden Wohnung, der meistens keine direkte
Treppenverbindung in fremde Schlafzimmer wünscht, und hierbei auch die
Rechtsprechung auf seiner Seite weiß.
Was daher zu fordern ist, ist Waffengleichheit. Auch Kunden bedürfen einer
Schulung, einer Anti-Cross-Selling-Schulung. Damit sie lernen, nein zu
sagen, wenn das Verkaufspersonal ungebeten mit einem weiteren Produkt aus
dem Lager angestürmt kommt: „Nein danke, ich möchte keinen rechten Schuh!“
Schön wäre es aber auch so: Kunde: „Einen Kaffee bitte!“ Verkäuferin: �…
gern! Dazu vielleicht noch eine Puddingschnecke?“ Kunde: „Hä?“ Verkäufe…
„Oder lieber das Hotel Adlon?“
Und jetzt aufgepasst! Allein um der nun folgenden Antwort willen wäre man
manchmal gern ein anderer: „Nein danke, das gehört mir schon!“
4 Mar 2013
## AUTOREN
Robert Niemann
## TAGS
Volkszählung
Musik
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