# taz.de -- Die Wahrheit: Fehlen noch die Socken | |
> Lustige Sprüche auf Shirts sind nicht lustig. | |
Das Anbringen von Schriftzeichen auf Kleidungsstücken hat eine lange | |
Tradition. Der Satz ist schnell dahingeschrieben, aber nur schwer zu | |
beweisen. Denn was ist schon eine „lange Tradition“? Drei Jahre sicherlich | |
nicht. Aber dreißig? Dreihundert? Oder darf man erst dann von langer | |
Tradition sprechen, wenn aus dem Solnhofer Plattenkalk nicht mehr nur | |
Archaeopteryxe herauspräpariert werden, sondern auch versteinerte | |
Unterhosen, auf denen „Bruno Banani“ steht? | |
Die Mutter aller lustigen Shirt-Beschriftungen lautet: „Bier formte diesen | |
schönen Körper!“ Moderne Ableger heißen: „Ich habe den Körper eines Got… | |
(leider von Buddha).“ Generell ist T-Shirt-Humor aber schwierig, weil die | |
Kleidungsstücke über einen längeren Zeitraum in Gebrauch sind. Und wer will | |
schon immer wieder denselben Witz erzählt bekommen. | |
Mitunter werden auch kollektive Traumata behandelt. In Belfast, wo einst | |
die „Titanic“ vom Stapel lief, gibt es Shirts zu kaufen mit der Aufschrift: | |
„Als die Titanic Belfast verließ, war sie in Ordnung!“ Ich könnte von | |
Zinsen leben, wäre einer meiner Großväter oder -mütter darauf gekommen, im | |
Mai 1945 Shirts mit: „Ich war’s nicht!“ oder wenigstens: „Ich dachte, w… | |
gewinnen?“ auf den Markt zu bringen. | |
Kein akademisches, sondern ein ganz praktisches Problem entsteht, wenn man | |
gefragt wird, was der Schriftzug auf der Brust des eigenen Shirts bedeutet, | |
sich darüber aber noch nie Gedanken gemacht hat. Von oben und | |
seitenverkehrt lesen, wer kann das schon! Zumal die Lesbarkeit | |
offensichtlich zu wünschen übrig lässt; anderenfalls wäre die Frage nicht | |
aufgekommen. Falls der Frager sich nicht abwimmeln lässt und man das Shirt | |
nicht mal eben zum Entziffern ausziehen kann – nützt es in einer solchen | |
Situation was, vor dem Spiegel einen Kopfstand zu machen? | |
Einfacher dürfte es sein, sich möglichst rechtzeitig mit dem Wortlaut | |
seiner Brustbeschriftung vertraut zu machen. Ich jedenfalls tue das. Auf | |
einem meiner Shirts steht in merkwürdig verwittert aussehenden Lettern | |
„Baltimore“. Da bin ich noch nie gewesen, wüsste ohne einen Blick auf die | |
Karte noch nicht einmal, wo Baltimore genau liegt, geschweige denn, ob es | |
dort etwas gibt, das eine Reise lohnte. Sicher: Der Schriftzug ist Teil des | |
Designs. Er verschönt das Kleidungsstück, jedenfalls nach Auffassung des | |
Gestalters. | |
Auf den Sinn kommt es nicht an. Sondern auf Farbe und Form. Doch sähe es | |
auch noch gut aus, wenn da nicht Baltimore stünde, sondern Slupsk? Oder | |
Gräfenhainichen? In gleicher Größe, Farbe, Schriftart? Vermutlich nicht. | |
Dabei ist Slupsk möglicherweise hübscher als Baltimore, und in | |
Gräfenhainichen sind die Leute netter! | |
Üblicherweise beschränkt sich der Brauch des Beschriftens auf Basecaps, | |
Shirts und Jacken. Aber man könnte das auf weitere Kleidungsstücke | |
ausdehnen. Anfänge sind bereits gemacht, wie man an beiden grauen Socken | |
sieht, die ich heute trage. Oder nein – die eine ist blaugrau, die andere | |
schwarzgrau. Auf der blaugrauen steht ein großes L, für links. Auf der | |
schwarzgrauen – auch. Nun ja, vielen Dank, lieber Socken-Designer, für | |
diese Information. Aber wirklich geholfen wäre mir, wenn da jetzt | |
geschrieben stünde, wo ich die beiden rechten Socken finde. | |
24 Jul 2012 | |
## AUTOREN | |
Robert Niemann | |
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