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# taz.de -- Nach dem Rekordhochwasser: Atlantis in der Altmark
> Vor fünf Wochen brach bei Fischbeck der Deich. Während der Staat sich rar
> macht, läuft die private Hilfe gut. In ihre Häuser zurück können die
> Einwohner aber nicht.
Bild: Wasser, Haus, Wasser.
FISCHBECK/KABELITZ taz | „Nee, ich bin nicht der Bürgermeister!“ Bodo
Ladwig, grauer Bart, Brille, Wrangler, wehrt ab, brummt noch, „habe zu
tun“, zündet sich eine Zigarette an und fegt in einem eingestaubten
weinroten Golf davon. Ein entnervter Blick ist vorerst das Letzte, was vom
ehrenamtlichen Bürgermeister von Fischbeck zu erhaschen ist. Das
Bürgerhaus, ein stattlicher backsteinerner Bau, liegt verwaist in der
Vormittagssonne, nur im improvisierten Waschsalon nebenan drehen sich leise
die Trommeln.
Manchmal möchte Bodo Ladwig jetzt ein anderer sein, abhauen, keine
Telefonate, keine Entscheidungen, keine Interviews. Und sich kneifen oder
aufs Knie schlagen, um endlich aufzuwachen aus diesem Albtraum. Es ist von
allem zu viel. Was dem 600-Einwohner-Dorf am Rande der Altmark im
nördlichen Sachsen-Anhalt in der Nacht zum 10. Juni widerfahren ist, lässt
sich nur mit den ganz großen Heimsuchungen vergleichen.
Der Deich, nur noch ein Haufen Brei, hielt dem Wasserdruck nicht mehr
stand, und der Fluss, seit Jahrhunderten eingedeicht, ergoss sich Richtung
Fischbeck. Das Dorf versank in nur einer Nacht wie ein altmärkisches
Atlantis. Die Menschen konnten kaum mehr als ihre Haut retten.
Jetzt sind sie zurück. Stoisch schieben Männer mit freiem Oberkörper Karre
auf Karre in die Container, wo sich mit dumpfem Gepolter ihr altes Leben
verabschiedet. Die Tapete aus der Stube, die Dielen aus der Küche, die
Lichtschalter, die Waschbecken, die Fenster sind Müll geworden. Fernseher,
Kaffeemaschine, Kühlschrank, vom Grauschleier umhüllt, stehen abseits an
der Straße. Das Wasser hat sich in Senken zurückgezogen, wo in der
teerfarbenen Brühe Blasen aufsteigen. Hinterm Bürgerhaus ist so ein Pfuhl.
Hier würde nicht mal Mückenbrut überleben. Mücken sind jedenfalls hier das
geringste Problem.
## Polizisten und Adventisten
Der rote Golf schießt wieder um die Ecke, Ladwig steigt aus, pumpt einen
Kaffee aus der Kanne und setzt sich auf die wacklige Bank. Ein Hilfskonvoi
aus Brandenburg soll jeden Augenblick eintreffen. Das mit der privaten
Hilfe laufe gut, sagt Ladwig. Musiker aus Berlin, Polizisten aus Hessen,
Adventisten und natürlich Feuerwehrleute – wer hier schon alles war. Und
wer noch kommen wird.
Nur der Staat mache sich rar. Im Grunde genommen ist Bodo Ladwig, 59 Jahre,
mit schwarzer Lederjacke und schwerer Uhr am Handgelenk, der Fleisch
gewordene Staat. Und deswegen muss er sich manchmal verleugnen. Zwei
Schultern, wenn auch kräftige, sind zu schmal für all das Elend.
Der Kreis? Das Land? Der Bund? Fehlanzeige. Ladwig will nicht lange
palavern. „Hier muss einer sitzen!“ Einer mit Kompetenzen, der von morgens
bis abends die Dinge koordiniert, die Schäden erfasst, die Geschädigten in
Gruppen einteilt und der zumindest den Schwerstgeschädigten ohne viele
Papierkram Geld in die Hand drückt. Ladwig stößt mit dem Finger wieder und
wieder auf den Biertisch, dass er zu hüpfen beginnt.
Immerhin, die Verwaltungsgemeinschaft Schönhausen, zu der seine Dörfer
gehören, habe bereits die Schäden der kommunalen Objekte – Schulen,
Kindergärten, Verwaltungsgebäude, Feuerwehren – addiert, erzählt Ladwig.
„114 Millionen Euro!“ Summen, die irgendwie nicht in diese beschauliche,
fast karge Landschaft passen wollen. „Da ist noch keine Wirtschaft, da sind
keine Privaten dabei.“
## Ankündigungen! Nichts als Ankündigungen!
Und was macht Magdeburg? Berlin? Ankündigungen, nichts als Ankündigungen!
„Die schicken alle Weile ein Infoblatt über zinsgünstige Kredite!“ Ladwig
lacht bitter. Er befürchtet, dass sich die Ministerpräsidenten, die Landes-
und Bundesminister und vorneweg die Kanzlerin in die Ferien verabschieden.
Danach beginnt der Wahlkampf, und spätestens im Herbst ist die zweite
Jahrhundertflut binnen elf Jahren vergessen. Und seine Leute hocken hier in
feuchten Buden und finden nachts nicht in den Schlaf. Und Bodo Ladwig guckt
zu, wie sich einer nach dem anderen aus Fischbeck verabschiedet. Ein
Bürgermeister ist doch kein Bestatter.
Ein schöner Sommertag heute, Schäfchenwolken zieren den Himmel, fünf
Kilometer von hier, oberhalb des Deichbruchs, im Städtchen Jerichow feiern
sie das Klostergartenfest. Ladwig sitzt schon wieder im Golf. Er selbst ist
auch abgesoffen, „ich muss mich bei meiner Frau bedanken“, sagt er etwas
förmlich. Er selbst komme zu nichts. An der Eberstation dreht er eine
Extrarunde. Die Zuchteber, die habe man evakuieren können, doch der
schneeweiße langgestreckte Bungalow, Wohn- und Bürohaus in einem, liegt
zusammengesackt in der Sonne. Nagelneu und schon wieder tot.
Ein Storch schreckt auf. Ladwig zieht eine Staubfahne hinter sich her. Der
Acker zeigt fingerdicke Risse, doch unter der Kruste steht das Grundwasser.
Viele Keller werden noch lange unter Wasser stehen, prophezeit Ladwig und
stoppt den Wagen. Zwei Raupenbagger stehen am offenen Deich, auf der
anderen Elbseite erhebt sich die backsteinerne Silhouette der Stadt
Tangermünde. Der Himmel ist weit, die Wiesen sind eben. Bald werden sie
gemäht, sagt Ladwig, der im Hauptberuf bei der hiesigen Agrargenossenschaft
arbeitet.
## Neuer Deich, alte Linie
Die Bruchstelle am Deich ist mit einer Spundwand verschlossen, im Sand
verwest ein mächtiger Karpfen. Die drei Kähne, die hier versenkt worden
sind, um das Loch zu stopfen, liegen zerschnitten als Schrott. Nur eine
Bugspitze habe man beiseitegelegt, Material für ein Mahnmal. Wenn die
Fischbecker das wollen, schränkt Ladwig ein. Die Leute wollen jetzt vor
allem eins – dass der Deich erneuert wird. Und sie wollen mitreden.
Deichbau ist Sache des Landes; bisher, sagt Ladwig, hatten die Anrainer
wenig zu melden. Außerdem müsse der neue Deich tiefer im Binnenland
verlaufen. So wie es früher schon einmal war. Dann würde auch der
verfluchte Neunzig-Grad-Winkel aus der Deichlinie verschwinden, der
Fischbeck zum Verhängnis wurde. Das Wasser drängte vor dem Knick, bis der
Deich nachgab.
„Sollbruchstelle“ nennt Ladwig den Haken. Den Leuten müsse gesagt werden,
wann der neue Deich steht. „Wir müssen den Leuten Sicherheit geben.“ Ladwig
zieht kurz an der Kippe. „Sonst ziehen sie alle weg.“
Familie Kolley ist erst vor fünf Jahren nach Kabelitz gezogen. Andreas
Kolley empfängt vorm Haus und erzählt kurz die Tragödie vor der Tragödie.
Seine Eltern, beide 71 Jahre alt, wollten hier ihre letzten Jahre
verbringen, der jüngste Bruder wollte sie betreuen. Doch überraschend starb
er vor einem Jahr und die Eltern wollten wieder fort.
## „Das Haus hat Seele“
Kommt gar nicht in Frage, sagte Andreas Kolley und zog bei ihnen ein. „Das
Haus hat Seele“, glaubt er. Der Kachelofen, der kleine Garten, die winzige
Veranda, wo einst die Poststelle war. Ein guter Platz für die letzten
Runden auf Erden. Fünf Kilometer ist die Elbe entfernt. Wer hätte gedacht,
dass sie einmal durch die Wohnzimmer fließt?
Kolley zeigt auf den Schuttberg, „54 Jahre Ehe liegen hier“, und schüttelt
den Kopf. „Es ist ein Wahnsinn.“ Das wird er heute noch oft sagen. Es ist
seine Art, sich die Last von der Seele zu reden. Kolley, 49, ein Kumpeltyp,
mit dem man schnell per Du ist, verströmt eine Lässigkeit, die auffällt.
Die Stimmung ist gut, zumindest tagsüber. Die Nächte in der Gartenlaube
sind weniger entspannt. Das Wasser drängt sich mit Macht in die Träume.
Und dann ist da noch die Frage nach dem Geld. Hausrat- und
Gebäudeversicherung zahlen nicht, so viel ist klar. Ein Versicherer bietet
als Trostpflaster 500 Euro an. Kolley kann darüber nicht mal lachen. Das
Haus, äußerlich wieder halbwegs intakt, ist drinnen nichts als eine Höhle.
Eine Handwerkertruppe, vier Freiwillige, arbeitet in der Küche, der Mörtel
leuchtet, im Wohnzimmer läuft der Trockner. „In der Küche werden wir den
Kachelofen beerdigen“, sagt Marianne Kolley bestimmt, gewissermaßen ein
Ehrengrab.
## Vier Helfer in der Küche
Marianne Kolley wirkt gefasst, manchmal lacht sie, auch über sich selbst.
Als die Wasser kamen, habe sie den Tisch noch weiß gedeckt und Blumen
darauf gestellt, als käme hoher Besuch. Sie lacht. „So verrückt war ich!“
Es sind auch die Helfer, die wortlos und unentgeltlich vor sich hin
arbeiten, die Halt geben. Drei kommen aus dem nahen Genthin, Norbert Baatz
ist vor drei Wochen aus Berlin angereist und arbeitet sich nun von
Baustelle zu Baustelle. Baatz, 65 Jahre alt, ein drahtiger Typ, wirkt
deutlich jünger.
In drei Wochen kann man so manche Beobachtung machen. Baatz regt sich über
die Ungleichheit auf. Die Verteilung der Spenden, der Umgang mit den
Geschädigten, die Verpflegung der Helfer – das alles müsste verbessert
werden. Mahlzeiten für die Familien und Helfer gebe es jetzt nur noch im
Nachbarort Fischbeck. Warum? Bodo Ladwig mit seinem Krisenmanagement kommt
nicht besonders gut weg. Die Kabelitzer haben das Gefühl, dass den
Fischbeckern das Hemd näher ist als der Rock. Der Unmut wächst. Zur selben
Stunde wartet im Dorfgemeinschaftshaus ein Anwalt aus Hamburg auf
potenzielle Kunden. Es geht um Sammelklagen, Versicherungen und
Schadensregulierung. Ein weites Feld für umtriebige Juristen.
Immerhin, das Haus der Kolleys wird überleben. Andere haben weniger Glück.
Der Fischer Gernot Quaschny aus dem Nachbardorf Hohengöhren ist während der
Flut zum Helden geworden. Selbst komplett abgesoffen, versorgte er mit
seinem Boot die Dörfer, die zu Inseln geworden waren, mit dem Nötigsten,
half den Deich mit wagemutigen Aktionen sichern und rettete Rehe.
Inzwischen ist klar, dass der 50-Jährige seine Existenz verloren hat, im
Fluss und vor allem in den Seen ringsum ist für Jahre alles tot. Doch nicht
nur das. Gestern wurde sein Haus abgerissen. Quaschny, ohne Auskommen und
obdachlos, hockte auf dem Trümmerhaufen wie ein neuer Hiob. Am Himmel zogen
Schäfchenwolken.
18 Jul 2013
## AUTOREN
Thomas Gerlach
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