# taz.de -- Feministische Kunst: Feine Unterschiede | |
> Die Ausstellung „Der feine Unterschied“ führt im Kunstverein Langenhagen | |
> vier Generationen feministischer Künstlerinnen zusammen. | |
Bild: Margaret Harrison, "Common Land/Greenham" (1989/2012). | |
„Der kleine Unterschied und seine großen Folgen“, so heißt das Buch, das | |
Alice Schwarzer 1975 zum bekanntesten Gesicht der zweiten Welle des | |
Feminismus in der Bundesrepublik Deutschland gemacht hat. Als Angelpunkt | |
der Frauenfrage machte Schwarzer darin die Sexualität aus: Unterwerfung, | |
Schuldbewusstsein und Männerfixierung als pathologische Indizien weiblicher | |
Ohnmacht in einer von Männern dominierten Welt. Das so offensichtlich | |
problembeladene Private müsse als strukturelles gesellschaftliches Phänomen | |
thematisiert werden. | |
„Der feine Unterschied“, so heißt nun in Abwandlung von Schwarzers | |
bahnbrechendem Buch eine internationale Gruppenausstellung im Kunstverein | |
Langenhagen – die das ganze Jahr über ausschließlich Arbeiten von | |
Künstlerinnen zeigt. Der Hintergrund: Obwohl Frauen wohl mehr als die | |
Hälfte der Kunst-Studierenden ausmachen, zeigen Museen und | |
Ausstellungshäuser nach wie vor vor allem Einzelausstellungen von | |
Künstlern. | |
„Der feine Unterschied“ führt nun Künstlerinnen, die schon in den 60ern u… | |
70ern – also zu Beginn der zweiten Welle des Feminismus – aktiv waren, mit | |
Künstlerinnen zusammen, die in den 60ern, 70ern und 80ern geboren wurden: | |
Als Protagonistinnen einer sich explizit und reflexiv auf feministische | |
Praktiken beziehenden Kunstproduktion beschäftigen sie sich mit dem Zugriff | |
auf (öffentliche) Räume und dem Umgang mit spezifisch weiblichen | |
Darstellungen in Bildern der visuellen Massenkultur. Die schwierige | |
Botschaft, vielleicht: Nur in differenzierter intellektueller Revision | |
geht’s für die Geschlechter weiter. | |
Der Leiterin des Kunstvereins, Ursula Schöndeling, war dabei wichtig, | |
internationale Positionen aus vier Jahrzehnten versammeln zu können. Das | |
Altersspektrum reicht von der mittlerweile 73-jährigen Wiener Medien- und | |
Performancepionierin Valie Export bis zur 30-jährigen Hamburgerin Franziska | |
Nast, die unter anderem mit Techniken und Motiven des Tattoos arbeitet. | |
Dabei will Schöndeling im Zeitalter kontroverser Diskussionen um Herdprämie | |
und Quotenfrauen keine neue feministische Revolte lostreten. Vielmehr geht | |
es ihr um den Dialog zwischen den Generationen. Und um Impulse im kleinen | |
Städtchen bei Hannover. Dafür orientiert sie ihre Themen nah an deren | |
Lebenswelt, wie sie sagt. | |
Im Schaufenster des Kunstvereins steht etwa die Arbeit „Common Land“ der | |
72-jährigen Britin Margaret Harrison. Eine Nachbildung ihrer | |
Zauninstallation, die während des Friedenscamps im Greenham entstand. Von | |
1981 bis zur Auflösung 2000 protestierten dort 30.000 Frauen gegen die | |
Stationierung nuklearer Cruise Missiles. Harrison hängte Babywäsche, | |
Kinderfotos und Küchenutensilien an den Zaun. Um zu zeigen, dass die | |
militärische Entscheidung weit in den Alltag hineinreicht. | |
Ursula Schöndeling weiß natürlich um das Risiko, mit derlei nicht ganz | |
unproblematischen Symbolen konservativer Rollenzuweisungen zu operieren. | |
Die Arbeit sei aber schon vor der offiziellen Ausstellungseröffnung eine | |
Attraktion geworden. Interessiert seien die Passanten, vor allem | |
Migrantinnen, davor stehen geblieben. | |
Konfrontiert wird die raumgreifende Arbeit mit zwei feinen Objekten der | |
jungen deutschen Künstlerin Jenny Tischer. Sie webt oder plissiert | |
Fotokopien programmatischer Texte, etwa von der US-amerikanischen | |
Sprachkünstlerin Gertrude Stein, in neutrale Rahmen. Auch dies Techniken, | |
die an traditionell weibliche Textilarbeit denken lassen. | |
Im Hauptraum des Kunstvereins geht es dann mit einem geballten Videoangebot | |
weiter. Hier buchstabiert beispielsweise die US-Amerikanerin Martha Rosler | |
in ihrem Klassiker von 1975, den „Semiotics of the Kitchen“, mit | |
temperamentvollen Aktionen das traditionelle Inventar einer Küche durch: | |
von A wie Apron – Schürze – bis zum X, Y, Z aus martialischen | |
Besteckformationen. | |
Andrea Fraser, ebenfalls aus den USA, ließ sich wiederum 2001 durch einen | |
Audioguide in Frank Gehrys Guggenheim-Museum in Bilbao im wahrsten Sinne | |
des Wortes von seiner Architektur verführen. Fraser arbeitet in ihren | |
Aktionen ganz offen mit Bildern der Sexualität, die sie als Kritik an | |
Institutionen und Präsentationsformen des Kunstbetriebs einsetzt. | |
Und die kanadische Video-Künstlerin Diane Nerwen montiert Ausschnitte des | |
deutschen Films „Die große Liebe“ von 1942 – Hauptdarstellerin: Zarah | |
Leander – mit Szenen aus Streifen Marlene Dietrichs. In jiddischer | |
Synchronisation entsteht so ein intimes Gespräch zwischen der Emigrantin | |
Dietrich und dem NS-Liebling Leander über Liebe, Verrat, Enttäuschung. | |
Körperliche Aneignung im Selbstversuch bieten wiederum die Objekte der | |
36-jährigen Berlinerin Hella Gerlach. Sie arbeitet mit Textilien, aus denen | |
sie beispielsweise das „Conversation Piece“, eine Art Paravent für zwei | |
oder vielleicht auch mehrere Personen erstellt. Verschiedene | |
Konstellationen zwischen offen und eingeschnürt lassen sich performativem | |
Situationismus anpassen. Ihre Handschmeichler aus (vibrierender) Keramik | |
wollen angefasst werden, während Gerlachs kubisches „Element XIII, Sauna“ | |
aus dem Push-Textil einschlägiger BH-Modelle in einen schwarzen | |
Schwitzkasten einlädt. | |
Den Ausstellungsraum durchmessen zwei großformatige Fotos der | |
„Körperkonfigurationen“ der Grande Dame Valie Export. Ab den 1970er-Jahren | |
entstand ihre Serie mimetischer Annäherungen an herkulische Architekturen | |
der Wiener Ringstraße: die ganz offensichtliche Diskrepanz zwischen fremdem | |
und ihrem eigenem Körper. | |
## ■ bis 22. September, Kunstverein Langenhagen, Mi–So 14–1 Uhr | |
4 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Bettina Maria Brosowsky | |
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