# taz.de -- „Die Akte Zarah Leander“ auf Arte: Heißer Kern des Faschismus | |
> Arte öffnet „Die Akte Zarah Leander“. Heraus kommt das ambivalente Bild | |
> einer unkonventionellen, selbstständigen und modernen Frau. | |
Bild: Wegen ihr geht die Welt nicht unter: Zarah Leander. | |
1942 kommt dem Nazi-Reich gerade die komplette Sechste Armee in Stalingrad | |
abhanden, und Zarah Leander singt: „Davon geht die Welt nicht unter.“ Der, | |
je nach Quelle, damals von 27 oder auch von 29 Millionen Zuschauern | |
besuchte und bis heute meistgesehene deutsche Film „Die große Liebe“ ist | |
nicht einfach eine Romanze, ist im Grunde gar keine Romanze, sondern | |
erzählt tatsächlich eine Geschichte vom deutschen Überfall auf die | |
Sowjetunion. Die Geschichte vom Opfergang der deutschen Frau(en). | |
Die schöne Varietésängerin (Leander) und der schneidige Oberleutnant sind | |
ein prima Paar, aber die Front geht der Hochzeit vor. Beide kennen ihre | |
Pflicht. Die Sängerin geht zur Truppenbetreuung und singt vor verwundeten | |
Soldaten, auch solchen mit SS-Runen: „Davon geht die Welt nicht unter.“ | |
Ein Propagandafilm, ganz klar, aber kein Ablenkungsfilm. Wie der | |
Filmhistoriker Karsten Witte anmerkt, „zeigt ’Die große Liebe‘ in | |
unverschleierter Form den Preis, den die Frauen an den Krieg und die | |
kriegführenden Männer zahlen. Wider Willen birgt er ein Stück Realismus, | |
das die Kritik bisher nicht annahm. Die Fabel ist ambivalent zu lesen: Vor | |
dem Sieg der Männer steht die Kapitulation der Frauen.“ | |
Dass auch Zarah Leander eine ambivalente Person war, das vor allem will den | |
Zuschauern der Arte-Film „Die Akte Zarah Leander“ vorführen. Denn wenn es | |
keine neu recherchierten Fakten gibt – etwa zu der Frage, ob „die Leander“ | |
eine deutsche oder gar sowjetische Spionin war –, dann bleibt nur die | |
Möglichkeit übrig, die Filmgeschichte einer Revision zu unterziehen. | |
## Die Nazi-Diva schlechthin | |
Und da hat Zarah Leander ihren Ruf weg als die Nazi-Diva schlechthin. Und | |
weil ihre Filme heute – anders als zum Beispiel die für ihre | |
Nazismusfreiheit gerühmten Filme Helmut Käutners oder „Die | |
Feuerzangenbowle“ mit dem lustigen Heinz Rühmann – kaum mal irgendwo zu | |
sehen sind, bedarf es dafür einer Dokumentation und der Auskünfte von | |
Experten. Zwischendurch gibt es ein paar sparsam eingestreute Animationen | |
mit einer Comic-Leander. | |
Die wohlwollend-kritischen Experten reichen von der Biografin über die | |
Universitätsrektorin (Helsinki) und den Musikwissenschaftler bis hin zum | |
Filmbescheidwisser Georg Seeßlen (der auch für die taz schreibt). Zarah | |
Leander mit ihrer rauchigen Bassstimme verkörperte also in ihren Rollen | |
regelmäßig einen unkonventionellen, selbstständigen und modernen Typ Frau. | |
Wenn das nun der Nazi-Star Nr. 1 war, was sagt uns das über die Nazis? | |
Seeßlen: „Vielleicht steckt genau in dieser Ambivalenz, genau in dieser | |
Anti-Ordnung, mit dieser völligen Auflösung der Ordnungen – der | |
Geschlechterordnungen, der Generationenordnungen – vielleicht steckt | |
ausgerechnet da drin sogar ein heißer Kern des Faschismus.“ | |
## „Der Goebbels war ein hochinteressanter Mann“ | |
Ihre Ambivalenz, Unangepasstheit hat der heute vom Mainstream gemiedenen | |
Leander immerhin ein Nachleben als queere Pop-Ikone beschert: „Sie könnte | |
auch von Andy Warhol erfunden worden sein!“ (Seeßlen). | |
Die 1981 gestorbene Leander selbst hat sich noch 1974, das Interview wird | |
eingespielt, dezidiert unangepasst geäußert: „Der Goebbels war ein | |
hochinteressanter Mann … Und was er sonst so gemacht hat, ist nicht meine | |
Sache.“ | |
Was Zarah Leander zwischen diesen beiden Sätzen noch gesagt hat, weiß nur, | |
wer das Zitat im Schnittraum so montiert hat. Die Dokumentation ist da auch | |
ein bisschen ambivalent. | |
23 Oct 2013 | |
## AUTOREN | |
Jens Müller | |
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