# taz.de -- Streit um Fleischkonsum: In der grünen Hölle | |
> Während Deutschland streitet, ob es sich von den Grünen das Fleisch | |
> verbieten lassen soll, ist Bremen weiter. Besuch in der Kantine des | |
> Umweltsenators. | |
Bild: Donnerstag ist Veggiday: In der Kantine beim grünen Bremer Umweltsenator… | |
BREMEN taz | Es ist Donnerstag. Die Kantine des grünen Umweltsenators liegt | |
im ersten Stock einer gescheiterten Einkaufspassage Bremens, im Herzen der | |
Stadt und doch irgendwie so ab vom Schuss, dass niemand dort shoppen will, | |
aber schick in Stahl, Glas und mit hellem Steinfußboden, poliert. Schon auf | |
der Treppe in die Umwelt-Kantine klebt sich der Dunst aus der Beletage wie | |
schwüle Luft auf die Haut, Sauersüßfett mit einer Note ins Schweißige. | |
Donnerstag ist [1][Veggiday] in Bremen. | |
Grüner Umweltsenator klingt wie weißer Schimmel oder tote Leiche. Die heißt | |
in Bremen Joachim Lohse, und ist 2011 eigens importiert worden, aus Kassel | |
nach Bremen und aus der Parteilosigkeit in die Partei: Umwelt ist das | |
Kernressort jeder grünen Regierungsbeteiligung, denn Umwelt ist das | |
Fundament der Partei, ihre Raison d’Être, Waldsterben-Angst, umkippende | |
Flüsse, Atomstress und Klimakatastrophe. Grüne, die sich die Umwelt | |
abhandeln lassen, wie Jürgen Trittin ’90 in Niedersachsen, sind für’n | |
Arsch, das vergisst die Partei nicht mehr. | |
„Die Freiheit der Bürger hört bei den Grünen beim Essen auf“, hatte der | |
Bundestagler Volker Wissing vergangenen Montag | |
[2][//twitter.com/Wissing:getwittert]. Der Mann ist Vize-Irgendwas der | |
FDP-Fraktion, und das Tweet war seine spontane Reaktion, direkt als ihn der | |
grüne Veggiday-Wahnsinn erreichte, via Bild-Zeitung, also die Nachricht vom | |
Plan, anzuregen, in öffentlichen Kantinen einmal pro Woche kein Fleisch | |
aufzutischen, also kurz und prägnant: dass die uns [3][das Fleisch | |
verbieten]. | |
## Welches Fleisch? | |
Aber was das wirklich heißt, Veggiday, das kannst du nur selbst erleben, | |
donnerstags, in Bremen. Denn wir leben mit der Scheiße ja schon seit 2010: | |
Die Grünen haben den willensschwachen Sozen-Bürgermeister Jens Böhrnsen | |
irgendwie mithilfe der Bürgerstiftung übertölpelt und gezwungen. Und | |
während ganz Deutschland bang fragt, wollen wir uns wirklich von den Grünen | |
das Fleisch verbieten lassen, tönt aus Bremen nur noch zaghaft: welches | |
Fleisch? | |
Ein welker Benjamini fängt den Staub direkt im Entrée, neben der Salatbar. | |
Sie ist bei Ankunft abgeräumt und gewienert, dass sie glänzt. Es war heute | |
auch nix drin gewesen. Dass sie eine Salatbar sein soll, lässt sich am | |
munter handgemalten Schriftzug erkennen, der drüber hängt, und am Design: | |
So hatten die Salatbars in den 1980ern ausgesehen, als sie in Mode kamen, | |
Kunstholzfurnier, Plexiglasscheiben, Nirosta-Bottiche. Links oben auf dem | |
Rahmen hält sich noch eine Sukkulente in ihrem Übertopf, der farblich dem | |
Weiß lange nicht gewaschener Gardinen eines Raucherhaushalts nahe kommt. | |
Alles ist so grün hier. | |
Die Schlange ist lang. Aber es geht zügig, denn hier wird nicht geflachst | |
oder geflirtet. Essen wird hier nicht zelebriert. Es wird verrichtet, in | |
sich gekehrt, in puritanischer Demut, eine Konzession an den Körper, ans | |
sündige Fleisch, die bestenfalls zugleich seine Kasteiung ist. Menschen in | |
Anzügen stehen gesenkten Hauptes da, wählen zwischen etwas mit | |
Salzkartoffeln in beunruhigender, brauner Soße und etwas in brauner Soße | |
mit Nudeln, auf der Karte steht auch etwas von Schweinerückenbraten, der in | |
brauner Soße mit Bratkartoffeln serviert wird. | |
Gleich gilt es, ein letzter Mann im Anzug noch, er murmelt seine | |
Entscheidung wie ein Geständnis. Eine stämmige Frau in Schürze vollstreckt: | |
Mit einem wuchtigen Schwenk ergießt sich eine Schöpfkelle voll mit einer | |
umbrafarbenen Substanz von unvollkommener Viskosität über die Kartoffeln, | |
ein Tick dunkler als die Mure, die einen Teller zuvor die Sputniks begraben | |
hatte: Ein Schlag Soße, Nachschlag, die kämpferisch-sportive Lexik, die so | |
oft und so fragwürdig in Bezug auf Essen genutzt wird, endlich passt sie | |
mal. Veggiday? | |
Kurz nach dem Kantinenbesuch geht die Assistentin von Brigitte Köhnlein, | |
die Sprecherin des Umweltsenators ist, ans Telefon und nimmt die Frage auf: | |
Wie sich der Senator fürs grüne Herzensprojekt einsetzt. Am Freitag führt | |
dies schließlich zum Rückruf der Sprecherin. Die hat aber die Frage falsch | |
verstanden. Später meldet sich Köhnlein erneut. Sie bestätigt, dass es die | |
Kantine gibt. „Es gibt diese Einrichtung“, so Köhnlein. „Sie wird von ei… | |
Pächter geleitet“, sagt’s, und stürzt sich in die weitergehende Recherche. | |
## Verdacht auf Möhre | |
Nach etwas Stochern im sämigen Braun ist der in Zucker geschmorte Weißkohl | |
identifizierbar geworden. Dazwischen finden sich Bröckchen von Hack, dessen | |
Konsistenz synthetischer wirkt als alles, was in niederländischen | |
Petrischalen je entsprossen ist. Ein orangenes Plättchen lässt den Verdacht | |
auf [4][Möhre] keimen, ist aber weich wie Schaumstoff, und schmeckt auch | |
so. Dann flüchtet es in einen Zwischenraum zwischen den Schneidezähnen. | |
Dort hält es sich wacker übers Zähneputzen hinaus. Zahnseide besiegt es. | |
Das langwierige Kauen hat es gut überstanden. Möglicherweise war es doch | |
ein Stück Dampfkochtopfdichtung. | |
Auf der Karte finden sich Gerichte mit extrem viel, sehr viel und viel | |
Fleischderivaten, und überraschende Kreationen wie Specksalat, der das | |
panierte Seelachsfilet mit Remouladensoße begleitet, oder, fast schon | |
dadaistisch, das Schweineschnitzel „Cordon bleu“ mit Bratenjus. Wo zum | |
Teufel lernt man nur so zu kochen? In Leuna? Bei Bayer? Im CIA-Folterknast? | |
Aber das fragst du nicht, sondern bloß: | |
- Welche Konservierungsstoffe benutzen Sie? | |
- Na, das ist doch auf der Karte alles angegeben. | |
Wahr. Am Fuß des Speiseplans für die Woche steht in | |
Viermillimeterbuchstaben: 1 = Farbstoffe, 2 = Konservierungsstoffe, 3 = | |
Antioxidationsmitttel, 4 = Geschmacksverstärker, 5 = Emulgator, 6 = | |
Stabilisator, 7 = Phosphat, 8 = Süßungsmittel, 9 = Säurungsmittel, 10 = | |
Dickungs- und Geliermittel. Alles ist angegeben, und oben auf dem Flyer ist | |
sogar noch Platz für die Karikatur eines Kochs mit klassischer Mütze. In | |
der Rechten hält er eine Art Baseballschläger, „Wir wünschen einen guten | |
Appetit!“ steht in der Sprechblase. | |
- Wer ist denn der Caterer hier …? | |
- Caterer? Hier gibt’s kein’ Caterer. Das wird alles frisch gekocht. | |
- Von wem? | |
- Mei’m Mann. | |
Durchatmen. Die Frau meint es nur gut. Und auch der Mann, die Frau hat ihn | |
jetzt geholt, er steht da, lächelt freundlich: | |
- Sie hatten Fragen? | |
- Ja, also wegen des Veggidays. | |
- Ja, das ach, das machen wir schon seit Jahren. | |
- … den Veggiday machen Sie …? | |
- Klar! Wir machen das mittwochs. | |
- Mittwochs? | |
- Am Mittwoch. Da ist das erste Gericht vegetarisch. Immer. | |
## Rot-grüne Glibberspeise | |
Der Koch sieht nicht aus, als hätte er irgendwelche Vorstrafen, aber: Wie | |
jemand aussieht, das besagt rein gar nichts. Offenbar hat er ein Gelübde | |
abgelegt, selbst für die Bereitung eines Nachtischs mehr Blut zu vergießen | |
als Lester Joseph Gillis 1934 in der Battle of Barrington, sie nannten ihn | |
Babyface. Hier kommt nichts auf den Tisch, was nicht wenigstens teilweise | |
tierischen Ursprungs ist, eine dicke Käseschicht auf der Lasagne. Viel, | |
viel Gelatine in der Glibberspeise in Rot und Grün, krass wie hier die | |
Politik reinregiert. Und ein Klacks Sprühsahne. | |
- Und mit dem Veggiday, wenn Sie das schon ewig machen, ist das auf Druck | |
der Politik? | |
- Nein, sagt der Mann, ich bin hier Pächter, und wenn der Blumenkohl im | |
Winter teuer ist, dann kauft man eben doch Hackfleisch, es hat alles seine | |
Grenzen, natürlich, aber aus der Region, logisch, die Vechtaer | |
Schweinefabriken sind ja quasi Nachbarn, billiger geht nicht. | |
- Fühlen Sie sich da als Pionier? | |
- Nee, also nee, sagt er, ein Pionier, ach nee, das bin ich nicht. | |
Seit 2011 steht der Veggiday-Staatsterror als Regierungsziel im | |
Koalitionsvertrag, man wolle „erreichen, dass der Fleischkonsum verringert | |
wird“, ganz offiziell. Und als 2010 Bremen in den Wahnsinn einstieg, hat | |
der Umweltsenator dafür 5.000 Euro Umweltprojektfördergelder rausgetan, und | |
Jens Böhrnsen hat die Schirmherrschaft übernommen und die Sozialsenatorin | |
bekam von einem CDU-Abgeordneten direkt eine Mettwurst überreicht, die zwar | |
aus Schwein bestand, aber das darin verarbeitete Tier hatte sich von | |
Kartoffelschalen, Brotresten und Getreide und solchem Gemüse ernährt, und | |
der ganze Senat hat [5][gelobt], „sich werbend für die Initiative | |
’Veggiday‘ überall dort einzusetzen, wo er Einfluss auf das Angebot der | |
Erstellung von Speiseplänen in Kantinen“ hat. | |
Ein Löffel genügt. Die mit Kartoffelstärke gebundene Fleischbrühe, die dem | |
Koch zum Löschen des Karamellkohls diente, wirft den Verdauungstrakt | |
hämisch glucksend aus der Balance. Für Stunden lässt sich die salzige | |
Synthese nicht von der Zunge vertreiben, nicht durch Kaffee, nicht durch | |
Pastillen, nicht durch Zahnpasta oder Mundwasser pur. Und statt des Kopfs | |
arbeitet ohnehin nur noch der Magen. Der Stuhl des nächsten Tages hat einen | |
üblen Geruch. Und du ahnst: Diese ökofaschistische Essenstyrannei, das | |
überlebt keiner lang. | |
12 Aug 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://www.veggiday.de/ | |
[2] http://https | |
[3] http://www.bild.de/politik/inland/vegetarisch/gruene-wollen-einmal-die-woch… | |
[4] http://www.wdr.de/tv/wissenmachtah/bibliothek/moehre.php5 | |
[5] http://www.bremische-buergerschaft.de/index.php?asuche=1&id=507&the… | |
## AUTOREN | |
Benno Schirrmeister | |
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