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# taz.de -- Jakob Augstein übt Kapitalismuskritik: Schwafeln, bis der Arzt kom…
> Leben wir schon in der Postdemokratie? Oder ist der Begriff nur ein Label
> für undialektisches Denken geworden? Der „Freitag“-Herausgeber liefert
> ein Beispiel.
Bild: Arabische Zustände in Nordamerika? Fraglich, ob diese Occupy-Aktivistin …
Jakob Augstein hat wieder ein Buch geschrieben. „Sabotage. Warum wir uns
zwischen Demokratie und Kapitalismus entscheiden müssen“, so der neue Titel
aus dem Hanser Verlag. 2012 hatte er „Die Tage des Gärtners. Vom Glück, im
Freien zu sein“ veröffentlicht; davor die Zeitschrift Freitag gekauft und
als Spiegel-Online-Kolumnist reüssiert. Augstein ist als Erbe Rudolf
Augsteins mitbeteiligt am Spiegel-Verlag, sein leiblicher Vater ist der
Schriftsteller Martin Walser, eine seiner Halbschwestern die einflussreiche
SZ-Journalistin Franziska Augstein.
Es ist bemerkenswert, wenn ein Mitglied der besitzenden Klasse, ein qua
Abstammung dazu berufener Player unter den Meinungsmachern des Landes, nun
behauptet, Demokratie und Kapitalismus passten nicht zusammen, seien
unvereinbar. Was sind seine Gründe dafür? Will er gar ein zweiter
Giangiacomo Feltrinelli werden, also jenem italienischen Verleger
nacheifern, der in einer der einflussreichsten Familien Italiens aufwuchs,
um als militanter Linker 1972 bei Mailand tot unter einem Hochspannungsmast
gefunden zu werden? Wohl eher nicht.
Augstein dürfte seine Kapitalismuskritik, wie soll man sagen,
literarisch-fiktional verstehen. Doch was ihm Provokation sein will, hört
sich oft nach unfreiwilliger Satire an. Der Farbbeutel-Prolog zum Beispiel,
aber auch andere kraftprotzerischen Sentenzen. Er scheint seine eigene
Sprecherposition nicht zu reflektieren, vieles klingt entsetzlich
unbeholfen und effektheischerisch.
Darüber können auch nicht die dem Buch beigefügten Gespräche mit dem
Historiker Wolfgang Kraushaar (über die Gewalt in der Geschichte) oder dem
Sozialphilosophen Oskar Negt hinwegtäuschen. Im Gegenteil. Bei Kraushaar
wirkt Augstein wie ein überfordertes Erstsemester, und bei Negt, der im
nächsten Jahr seinen 80. Geburtstag feiert, holt er sich Unterstützung für
längst überwunden geglaubte, sektiererische Vorstellungen.
Die jetzige „neue Form des Kapitalismus“ sei, so Negt im Augstein-Gespräch,
„auf die Zerstörung von Bindungen gerichtet“. „Leute, die keine Bindungen
mehr an ihre Arbeit haben, sind leichter zu manipulieren.“ Die
Bindungslosigkeit, so Negt, sei eines „der Kernelemente der katastrophalen
neoliberalen Ökonomie.“ Verzeihung: Das ist keine Kapitalismuskritik,
sondern Manipulations- und Verschwörungsesoterik.
## Keine Staatstheorie
Von undialektischer Starrheit des Denkens ist Augsteins gesamtes Buch
geprägt. Er hat keine Staatstheorie und leitet aus Allerweltsbetrachtungen
zum politischen Geschehen einfach immer irgendetwas ab. Leben wir
tatsächlich in der „Postdemokratie“, in immer autoritärer werdenden
Verhältnissen, weil uns die jetzige Steuerpolitik der schwarz-gelben
Regierung oder die rechtsstaatliche Praxis der Datenüberwachung nicht
passen?
Und macht es keinen Unterschied, ob Rot-Grün regiert oder nicht – lässt
sich dies gestützt auf geschichtliche Erfahrung sowie bei Lektüre der
aktuellen Programme der Parteien tatsächlich behaupten?
Augsteins linkspopulistisch eingefärbte Kritik an der bestehenden
Parteiendemokratie gleicht in vielem den Überspanntheiten rechter
Populisten, die er in Gestalt der Sarrazins oder Sloterdijks seitenlang
abwatscht. Nebenbei will er aber die Claims mit abstecken, ergeht sich im
Noten verteilen: „Rancière hat natürlich recht“, „Die Zeit gehört zu d…
besten Zeitungen des Landes und di Lorenzo zu seinen besten Journalisten“
und Schirrmacher und die FAZ und überhaupt.
Bei Augstein, der den Kapitalismus als einheitliches Subjekt wahrnimmt,
wundert man sich am Ende nicht über antiamerikanische Stereotype. So wie
„unsere Öffentlichkeit auf dem amerikanischen Weg“ der Verflachung und
Nivellierung sei, gleiche sich die Politik der USA den „Unrechtsregimen im
Nahen Osten, China und Exsowjetunion“ immer stärker an. Wie jetzt? Was wir
gerade in Kairo erleben, soll Vorkommnissen wie bei Occupy Wall Street
ähneln? Das glaubt er doch selber nicht, unser großer Prädemokrat.
19 Aug 2013
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
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Jakob Augstein
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