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# taz.de -- Gehörlose US-Künstlerin Sun Kim: „Ich spüre meine Stimme“
> Die gehörlose US-Künstlerin Christine Sun Kim über das Arbeiten mit
> Klang, ihre ungebrochene Liebe zu Musik auf Vinyl und eine eigene Form
> von Notation.
Bild: Christine Sun Kim hat ihre ganz eigene Form der Notation, um ihre Wahrneh…
taz: Frau Sun Kim, wie kam es zu Ihrer Beschäftigung mit Klangkunst?
Christine Sun Kim: Im Sommer 2008 bin ich nach Berlin gefahren. Ein Freund
von mir hatte dort gerade ein Stipendium und ich besuchte ihn. Ich ging in
einige Galerien, die – was mir nicht bewusst war – Klangkunst ausstellten.
Mir war unklar, was dort vor sich ging. Schließlich erklärte man mir, sie
seien mit Klang gefüllt.
Es war wie eine Erleuchtung. Mir gefiel es, das Konzept hinter den
Projekten zu begreifen. Es war schön zu spüren, wie mich das Bedürfnis
überkam, Klänge zu erfahren. Die Beschäftigung mit Klang gab mir enorm viel
Raum, meine Neugierde und Vorstellungskraft zu entwickeln
Sie sprechen in einem Interview von der Materialisierung von Klängen als
einer künstlerischen Strategie. Warum?
Da ich nicht hören kann, muss ich andere Wege einschlagen, um mir Klänge
begreifbar zu machen. In meinem frühen Werk habe ich in Tinte getauchte
Nägel und Pigmentpulver auf Papierbögen gelegt und sie Schallwellen
ausgesetzt – eine sehr wörtliche Art, Klänge in Material zu übersetzen.
Solche Art künstlerischer Praxis interessiert mich heute nicht mehr.
Momentan denke ich darüber nach, auf welche Weise man Klänge durch reines
Material repräsentieren könnte.
Im Augenblick sind in New York abstrakte Zeichnungen von Ihnen in roter und
schwarzer Zeichenkohle zu sehen. Sie erinnern an Notationen von Noten. Sind
es denn auch welche?
Ja, es sind Notationen dessen, wie ich die Welt wahrnehme. Sie sind
dokumentarisch oder instruktiv. Deshalb bezeichne ich sie als Partituren
oder Übersetzungszeichnungen.
Auf welche Phänomene beziehen sich diese Notationszeichnungen?
Jede Zeichnung ist vollkommen verschieden – die eine könnte eine Geschichte
sein, verkleidet als Partitur, die andere ein süßes, gestisches
Missverständnis, eine Form von Wahrheit oder eben eine Klangentwicklung. Es
ist ein Versuch, meine Stimme zu legitimieren.
Was heißt das, Ihre „Stimme zu legitimieren“?
„Stimme“ ist hier wörtlich, aber auch im übertragenen Sinne zu verstehen.
Bei meinen Verständigungsdifferenzen verwende ich meine Stimme nur selten.
Meine „Stimme“, die American Sign Language, ist weder vokal noch verbal.
Gesellschaftlich erscheint sie ein wenig kompromittiert. Kunst verleiht
meiner Stimme eine weit größere Bedeutung. Und ich kann sie in Sounds
einspeisen
Wie kann man sich das vorstellen?
Für Performances nehme ich meine Stimme über ein für mich entworfenes
Programm auf. Ich spiele meine Stimme in Loops ab und jage sie durch
Umwandler, die mit Klaviersaitendrähten verbunden sind. Ich spüre, wie
meine Stimme hinausströmt. So wird ihre Existenz und damit auch meine
eigene bestätigt.
Trifft es zu, dass Sie kürzlich auch eine Single aufgenommen haben?
Das war letztes Jahr, als ich in Berlin im Kunstraum Kreuzberg/Bethanien an
der Gruppenausstellung „Gebärde, Zeichen, Kunst“ teilgenommen habe. Ich bin
immer noch total begeistert davon, meine erste eigene Platte aufgenommen zu
haben. Es gab die Idee, zwei Schallplatten gleichzeitig zu spielen: Platte
A sollte bei niedriger Lautstärke laufen, während Platte B etwas lauter
eine Reihe von Loops spielen würde. Man müsste dann immer den Tonarm
bewegen, um zum nächsten Loop zu gelangen. Das hat mit meiner Erfahrung,
der verzögerten Wahrnehmung, zu tun.
Ist das zu vergleichen mit dem, was Sie mit Hörapparaten wahrnehmen?
Ja, mit dem rechten Ohr kann ich – undeutlich – hören. In meiner
Vorstellung war die Platte A mit meinem linken Ohr verknüpft, sie spielte
leise, ohne Unterbrechung. Platte B hingegen hing mit dem rechten Ohr
zusammen. Ein klarer Klang, verbunden mit Arbeit, weil ich den Tonarm immer
bewegen müsste, um weiter hören zu können.
23 Aug 2013
## AUTOREN
Radek Krolczyk
## TAGS
Gehörlose
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