| # taz.de -- Poetry Slam in Gebärdensprache: Applaus, das sind geschüttelte H�… | |
| > Hände sausen umher, sie zeichnen, formen und gestalten. In Hamburg | |
| > machten Gehörlose und Hörende einen Workshop für einen gemeinsamen Poetry | |
| > Slam. | |
| Bild: Nur seine Schuhe quietschen ab und an: David (links) beim „Deaf Slam“… | |
| HAMBURG taz | David spricht fast geräuschlos, nur seine Sportschuhe | |
| quietschen ab und an bei all den flinken Bewegungen. Es sieht aus, als | |
| würde er tanzen. Seine Hände sausen umher, sie zeichnen, formen und | |
| gestalten. Wir sind in einem Kulturhaus im Hamburger Schanzenviertel. David | |
| ist 23, trägt eine Jeansjacke und einen Hut auf dem sonnengelben Haar. In | |
| diesem Augenblick gehört der Raum ihm. In seinem Gesicht zucken kleine | |
| Muskeln, sein Mund öffnet und schließt sich, als würden ihm Worte | |
| entweichen. Er improvisiert eine Geschichte – in Gebärdensprache: David ist | |
| seit seiner Geburt taub. | |
| Als er seine Performance beendet hat, reißen etliche der Menschen ihm | |
| gegenüber ihre Arme nach oben, schütteln die Hände: die Geste für Applaus. | |
| Zwei Dolmetscherinnen übersetzen wiederum Davids Bewegungen, sodass | |
| diejenigen unter den Zuschauern, die keine Gebärdensprache können, es auch | |
| verstehen. | |
| David ist an diesem Samstagvormittag einer von elf Teilnehmern des ersten | |
| Hamburger [1][„Deaf Slam“]-Workshops. Deaf Slam? Ein Dichterwettstreit mit | |
| Hörenden und Gehörlosen, die mit erdachten Texten und ironischen | |
| Geschichten in je fünf Minuten um die Gunst des Publikums buhlen. Und vor | |
| allem um seinen Applaus. | |
| Ende 2012 startete der Verein „Aktion Mensch“ einen bundesweiten | |
| Poetry-Slam-Wettbewerb in Gebärdensprache. Titel: „BÄÄM! Der Deaf Slam“.… | |
| Heidelberg, Berlin, Dortmund und München waren hörende und gehörlose | |
| Nachwuchspoeten bereits aufgerufen, gegeneinander anzutreten. | |
| ## Ein stetes Gewusel, ein Hin und Her | |
| Genau darauf bereiten sich auch jene elf vor, die da am Samstagvormittag in | |
| dem Workshop zusammen gekommen sind. Sechs von ihnen sind taub, die anderen | |
| können hören. Bei manchen ist es die Mimik, an der auch ein | |
| Gebärdensprach-Laie einiges ablesen kann, bei anderen sind es die Gesten. | |
| Ein stetes Gewusel, ein Hin und Her, manchmal laut, dann wieder stumm. Aus | |
| Bewegungen erwächst Poesie. | |
| Etwa so: Alle sitzen dicht gedrängt im Kreis, schauen sich an. Jeder soll | |
| an etwas Witziges denken, und so lächeln, dass er alle anderen ansteckt. | |
| „Mir kommen gleich die Tränen“, gebärdet David, der Mann mit dem Hut, als | |
| er zu grinsen versucht. | |
| Eine weitere Übung, etwas später, als alle wieder stehen: Mitten im Raum | |
| steht ein Barhocker, über den nun eine spontane Geschichte erzählt werden | |
| soll. Ein Teilnehmer gebärdet, wie ein großer Baum gefällt wird, um sich am | |
| Ende als Hocker unter dem Hintern eines Menschen wieder zu finden. Seine | |
| Hände flattern durch die Luft, schwer vorstellbar, dass das eine Sprache | |
| ist. Die Dolmetscherinnen kommen kaum hinterher. Dann breitet er seine Arme | |
| aus, blickt nach links, rechts und nach oben – und plötzlich ist er da: der | |
| Stamm, der unter den Hieben einer Axt birst, knackt und fällt. | |
| Die 21-jährige Lumen ist in dem Workshop in der Minderheit: Sie beherrscht | |
| die Gebärdensprache nicht, kann hören. Auf ein Debüt als Poetry-Slammerin | |
| aber warte sie schon lange. „Mich hat Gebärdensprache immer fasziniert“, | |
| sagt sie später, als die Gruppe sich verstreut. Die Sprache berge so viel | |
| in sich. Flugs zeigt Lumen eine Bewegung, die sie heute gelernt hat: Ihre | |
| Hand formt einen Halbkreis und stößt dann auf die andere. Auf Wiedersehen, | |
| heißt das. „Ich gehe mit einer Flut an Eindrücken nach Hause“, sagt sie | |
| noch. | |
| David wiederum sitzt nach dem Workshop auf einer Bank im Viertel. Eine | |
| Dolmetscherin ist dabei, übersetzt die Fragen in Gebärden. Am nächsten Tag | |
| auf der Bühne, sagt David, wolle er von einer Frau erzählen: Sie hat einen | |
| Unfall, ertaubt, kann sich nicht mehr mit Lautsprache artikulieren und | |
| verfällt in Depressionen. | |
| ## Kein Grund für Gram | |
| Doch möchte er zeigen, dass sie keinen Grund hat, sich zu grämen: Gewiss | |
| sei die Situation in Deutschland für Gehörlose nicht perfekt. Im Fernsehen | |
| gebe es zu selten Untertitel. Und an den Bahnsteigen verpasse man oft den | |
| Zug, weil man die Ansagen nicht höre. Für David ein besonderes Hindernis, | |
| denn er fährt von seiner Heimatstadt Köln meist mit dem Zug bis ins | |
| schleswig-holsteinische Rendsburg, wo er seinen Ausbildungsplatz hat, als | |
| sozialpädagogischer Assistent. Es gebe auch zu wenig Dolmetscher und | |
| überhaupt werde die Gebärdensprache nicht ausreichend akzeptiert. „Wir sind | |
| nicht gleichgestellt“, gebärdet David, „das ist Fakt.“ | |
| „Wir sind ganz normale Menschen, nur fehlt uns halt ein Sinn“, fährt er | |
| fort. „Aber das ist nicht schlimm.“ Und die Gebärdensprache sei eine | |
| Sprache wie alle anderen auch. Das zeigt sich am nächsten Tag: Am | |
| Sonntagabend endet der Workshop mit einem richtigen Slam auf einer der | |
| Bühnen des Kulturhauses. Der Salon ist proppenvoll, so viele Zuschauer sind | |
| gekommen, Hörende und Gehörlose. | |
| Was das Publikum in den folgenden zwei Stunden erlebt, sind ganz | |
| unterschiedliche Auftritte, vorgetragen mit Eleganz und Schauspiel, mal | |
| witzig, mal ernst, mal traurig. Sie handeln von Rassismus oder auch von | |
| Dracheneiern – und besonders oft von der Schwierigkeit, als Gehörloser in | |
| einer Welt voller Klänge zu leben. | |
| Der erste, der an diesem Abend auftritt, gewinnt am Ende auch Hamburgs | |
| ersten Deaf Slam: Dawai Ni, der in nur fünf Minuten die Geschichte der | |
| Gebärdensprache erzählt und dabei gefühlt jeden seiner Muskeln benutzt, als | |
| sei’s ein Klacks. Als es ins Stechen geht, das Publikum ein letztes Mal | |
| seinen Favoriten wählen darf und von den Stühlen springt, Dawai prompt auf | |
| ein Meer aus Händen blickt, die ihn zum Sieg und somit ins Finale | |
| klatschen, schießen ihm Tränen in die Augen. | |
| Dann fallen noch allerlei lobende Worte. Was Inklusion bedeute und wie | |
| wichtig sie sei. Wie schön dieser Abend und der Workshop gewesen seien. | |
| Aber eigentlich braucht es diese Worte gar nicht: Ein Blick in die | |
| Gesichter ringsherum reicht völlig. | |
| Finale: 13. April, Hamburg, Festplatz Nord. Der Gewinner nimmt an einem | |
| Slam in New York teil. | |
| 9 Apr 2013 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.aktion-mensch.de/filmfestival/deafslam | |
| ## AUTOREN | |
| Amadeus Ulrich | |
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