# taz.de -- Poetry Slam: Ein dichterischer Vorwurf | |
> Die "i,Slam-Tour" machte am Freitag Halt in Bremen. Neun muslimische | |
> Jugendliche lieferten sich im Kulturzentrum Lagerhaus einen | |
> Dichterwettstreit der anderen Art. | |
Bild: Hat es satt, dass alle sich über ihr Kopftuch beschweren: Betül. | |
BREMEN taz | Das Lagerhaus in Bremen ist nicht zu verfehlen. Immer | |
geradeaus, den Kopftuchmädchen nach, die sich wild schnatternd vor dem Tor | |
sammeln. Am Eingang stehen drei Mädchen mit offenem Haar, die mich mit | |
„Salam“ begrüßen und mir einen Stempel auf die Hand drücken. | |
Der Raum ist dunkel, fast neblig. Im Hintergrund schnelle Beats. Rote Spots | |
tauchen alles in ein warmes Licht und verleihen dem Ganzen eine | |
zwielichtige Atmosphäre. Von der Seite sprechen mich zwei junge Mädchen an, | |
ebenfalls ohne Kopftuch. Sie heißen mich herzlich willkommen und bieten mir | |
eine Dattel und ein kleines Schälchen Milch an. Der Gast nach mir kippt die | |
Milch mit einem Mal hinunter, als sei es ein Schnapsglas. | |
Mädchen umschwirren die Bar. Die meisten von ihnen tragen Kopftuch. Einige | |
sogar lange Gewänder. Die Barfrau schenkt ihnen Cocktails ein. „Sind die | |
auch wirklich alkoholfrei?“, fragt eine laut. Die anderen verstummen und | |
lauschen der Antwort. „Ja sicher sind sie das.“ Die Barfrau wirkt fast | |
schon beleidigt. Wenn man etwas über Muslime wisse, dann sei es das | |
Alkoholverbot. Die Initiatoren des i,Slam hätten sie eindringlich darauf | |
hingewiesen, an diesem Abend keinen Alkohol auszuschenken. Das Mädchen | |
nickt ein wenig beschämt und bezahlt wortlos ihren alkoholfreien Cocktail. | |
Gegenüber der alkoholfreien Bar steht ein riesiges Buffet, mit Törtchen, | |
Kuchen und gefüllten Broten. Kleine Preisschildchen stecken im Gebäck. Ob | |
es für einen guten Zweck ist? Die Verkäuferin mit dem langen, braunen Haar | |
sagt, der Erlös sei für die Veranstaltung. Der Raum sei noch nicht bezahlt. | |
Einiges mussten die Organisatoren aus Berlin und ihre Bremer Helfer aus | |
ihrer eigenen Tasche bezahlen. Außerdem wolle man mit den Einnahmen noch | |
eine weitere Veranstaltung mit finanzieren. Man müsste bei diesen | |
Centpreisen schon eine Menge Küchlein verkaufen, um mit dem Erlös im | |
zweistelligen Bereich zu landen. | |
Am Buffet steht ein junger Mann, groß, blond, glatt rasiert, mit einem | |
blauen Polohemd. Argwöhnisch betrachtet er die Mädchen mit den bunten | |
Kopftüchern. Er heißt Jonas und ist Student. Er hat ein Plakat für die | |
Veranstaltung in der Mensa gesehen und seinen Mitbewohner überredet, | |
mitzukommen. Wie es ihm gefällt? „Das ist mal was anderes.“ Sie sitzen | |
nicht im Publikum, sondern stehen mit verschränkten Armen an der Bar; mit | |
allen anderen nicht-muslimischen Besuchern, die an einer Hand abzuzählen | |
sind. | |
Zwei junge Männer mit bedruckten Shirts springen auf die Bühne. Sie tragen | |
enge Jeans, schwarze T-Shirts und Gelfrisuren. Younes Al-Amayra und Youssef | |
Adlah sind die Initiatoren von i,Slam und heizen das Publikum mit flotten | |
Sprüchen auf. „Bei uns bekommt ihr ein Wahlrecht, egal wie alt ihr seid! | |
Und egal, ob ihr einen deutschen Pass habt, oder nicht!“ Gelächter im | |
Publikum. | |
Es gibt keine Geschlechtertrennung bei den Sitzplätzen. Jeder sitzt dort, | |
wo er Platz findet. Ein Helfer erzählt mir, dass er das so nicht okay | |
fände. Das gehöre sich nicht auf islamischen Veranstaltungen. Auch den | |
Zuschauern scheint bei der Sache unwohl zu sein. Man hört Stuhlgeklapper. | |
Nach zehn Minuten steht keine Reihe mehr gerade und man erkennt deutlich | |
die kleinen Mädchen- und Jungengrüppchen im Dämmerlicht. | |
Die ersten Slammer werden angekündigt. Die Slams ähneln sich stark. Es geht | |
um Politik, den Alltag als muslimische Jugendliche und den Frust über die | |
Sicht auf sie. „Warum gucken die so? Ich habe nicht meinen Verstand | |
verschleiert, nur meine Haare bedeckt!“, slamt Betül aufgeregt. Im Publikum | |
nicken viele. Betül trägt ein langes, beiges Gewand und ein gemustertes | |
Kopftuch. | |
Gegen 22 Uhr wird der Sieger gekürt. Es ist eine Siegerin. Yousra slammte | |
als einzige nicht über die Gesellschaft oder die Politik – sondern über | |
ihre Kindheit und die hohen Erwartungen ihrer Eltern, denen sie nicht immer | |
gerecht werden konnte. „Tut mir Leid, dass ich nicht die Mustertochter bin, | |
die ich werden sollte!“ Der Preis ist symbolisch: Yousra bekommt eine | |
Miniversion der Kaaba, dem Pilgerzentrum der Muslime in Mekka. | |
Jonas und sein Mitbewohner sind nach dem zweiten Slam gegangen. Vielleicht | |
hatten sie noch was vor. Aber vielleicht wollten sie auch nicht mehr auf | |
der Anklagebank sitzen. | |
4 Jun 2012 | |
## AUTOREN | |
Yasmina Sayhi | |
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