# taz.de -- Uni-Rektorin über Hellersdorf: „Viele sind an den Rand gedrängt… | |
> Die Leiterin der Hellersdorfer Alice-Salomon-Hochschule über die Gründe | |
> für Ressentiments. Sie will ihre Schule jetzt für die Bewohner des | |
> Flüchtlingsheims öffnen. | |
Bild: "Hier konzentrieren sich ausgegrenzte Unterprivilegierte deutscher Herkun… | |
taz: Frau Borde, in Hellersdorf ist es einer NPD-nahen Bürgerinitiative | |
gelungen, Pogromstimmung gegen ein Asylbewerberheim zu erzeugen. Sie kennen | |
den Sozialraum Hellersdorf sehr gut. Was ist dort in den letzten Jahren | |
schiefgelaufen? | |
Theda Borde: Marzahn-Hellersdorf ist kein natürlich gewachsener Bezirk, | |
sondern, von den Siedlungsgebieten abgesehen, eine in den 1980er Jahren | |
gebaute Plattenbausiedlung mit wenig Raum für öffentliche Plätze und | |
Begegnungen. Nach der Wende sind junge und mobile Menschen abgewandert. In | |
den letzten Jahren sind solche zugezogen, die es sich nicht leisten können, | |
woanders zu wohnen. Wir haben hier spezifische soziale Probleme. Hier | |
konzentrieren sich ausgegrenzte Unterprivilegierte deutscher Herkunft. Es | |
ist der Bezirk mit den meisten Teenagermüttern. Viele Menschen fühlen sich | |
an den sozialen Rand gedrängt – und, ehrlich gesagt, sind sie es auch. | |
Das beschreibt die soziale Situation. Was aber hätte die Politik tun | |
können? | |
Nicht alle gesellschaftlichen Prozesse lassen sich politisch steuern. Der | |
Bezirk ist seit Jahren bemüht, den Sozialraum aufzuwerten, Wirtschaft | |
anzusiedeln und Arbeitsplätze zu schaffen, das erkenne ich an. Berlin hat | |
es aber versäumt, rechtzeitig in den Wohnungsbau zu investieren. Besser | |
wäre es, alle Flüchtlinge in Wohnungen unterbringen. Dann wären solche | |
Heime nicht nötig. Das sind ja separierte Trutzburgen, deren Bewohner den | |
ausgegrenzten und benachteiligten Nachbarn als Feindbild dienen. Solange | |
Flüchtlinge in Wohnungen wohnten, gab es das Problem nicht, sie waren | |
einfach Nachbarn. | |
Heute erfahren rechte Rattenfänger viel Zuspruch. | |
Wir dürfen nicht vergessen, dass wir uns im Wahlkampf befinden und die NPD | |
da massiv mobilisiert, weil sie sich mit Flüchtlingsabwehr Zuspruch | |
erhofft, und das wohl besonders in Hellersdorf. | |
Ist die Pogromstimmung also nach dem 22. September vom Tisch? | |
Das hängt vom Wahlergebnis ab. | |
Hat der Bezirk versagt? | |
Nein. Allerdings gibt es Defizite bei der interkulturellen Öffnung des | |
Bezirks. 12 Prozent der Bewohner haben einen Migrationshintergrund. Die | |
beiden großen Gruppen – Russlanddeutsche und Vietnamesen – leben recht | |
separiert mit wenigen Kontakten zu Einheimischen. Bei der Verwaltung sitzt | |
das Denken von „Wir und die anderen“ fest. Das erlebe ich bei Fachtagungen | |
zur Gesundheit von Migranten im Bezirk. „Wir geben denen mal dieses und | |
jenes. Und dann ist aber auch gut.“ Das ist keine wirkliche Partizipation. | |
Ängste vor den vermeintlich Fremden kann man den Menschen aber nur durch | |
echtes Zusammenleben und Kennenlernen nehmen. Das fehlt in | |
Marzahn-Hellersdorf. | |
Viele Nachbarn klagen, die Behörden hätten sie nicht rechtzeitig über das | |
Heim informiert. Der Flüchtlingsrat hingegen hält solche Vorabinformationen | |
der Anwohner für unnötig und verweist auf Beispiele aus Mitte, wo die | |
Nachbarn gar nicht informiert wurden und Proteste ausblieben. Was denken | |
Sie: Ist eine vorzeitige Anwohnerinformation nötig oder kontraproduktiv? | |
Wenn neue Nachbarn einziehen, werden die Anwohner in der Regel auch nicht | |
vorab informiert. Baut man hingegen so ein Separé, geht das meiner Meinung | |
nach nicht ohne Bürgerinformation. Aber es ist sehr wichtig, wie man | |
informiert. Sagt man, Leute, hier kommt ein dickes Problem auf euch zu, da | |
kommen Flüchtlinge – da provoziert man geradezu die Probleme. Ich sehe auch | |
die Medien in einer großen Verantwortung. Im Moment bemühen sie sich sehr, | |
zur Beruhigung der Situation beizutragen. Aber wenn über Roma so berichtet | |
wird, dass Ausländer und Kriminalität in einen Topf geworfen werden, werden | |
die Medien ihrer Verantwortung nicht gerecht. | |
Ihre Hochschule arbeitet im Netzwerk für die Unterstützung der | |
Hellersdorfer Flüchtlinge mit. Was haben Sie konkret vor? | |
Ein erster Vorschlag von Mitarbeiterinnen war es, zu Kleiderspenden für die | |
Flüchtlinge aufzurufen. Das haben wir schnell wieder verworfen. Denn das | |
wäre eine Hierarchisierung: Was für mich nicht mehr gut genug ist, können | |
die anderen noch gut tragen. Wir wollen im Gegenteil in die Trutzburg | |
Asylbewerberheim ein Stück Normalität hineinbringen. Davon erhoffen wir | |
uns, dass die große Polizeipräsenz vor dem Heim bald überflüssig wird. | |
Wie soll das gehen? | |
Ich habe mit dem Hausherrn geklärt, dass wir zwei Räume im Heim als | |
Seminarräume nutzen. Studentisches Leben haucht dem Gebäude ein ganz | |
anderes Leben ein. Im Gegenzug öffnen wir unsere nur zehn Minuten Fußweg | |
vom Flüchtlingsheim entfernte Hochschule für diese Menschen. Wir werden | |
Deutschkurse und andere Aktivitäten anbieten, sie können unsere Mensa | |
mitnutzen und an der Hochschule präsent sein. Unsere Studierenden haben | |
auch ein Transparent am Hochschulgebäude angebracht, das die Flüchtlinge | |
willkommen heißt und sich gegen Rassismus und Nazis hier und überall | |
ausspricht. | |
25 Aug 2013 | |
## AUTOREN | |
Marina Mai | |
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