| # taz.de -- Gestiegene Flüchtlingszahlen: Willkommen – aber nur fast | |
| > In Hagen treffen Asylbewerber nicht auf aggressive Ablehnung seitens der | |
| > Bevölkerung. Auf Alltagsrassismus aber schon. | |
| Bild: Zentral gelegen: die Flüchtlingsunterkunft in Hagen | |
| HAGEN taz | Hagen im Bremischen (Landkreis Cuxhaven) ist ein deutsches | |
| Wegedorf aus dem Bilderbuch. Im Ortskern des 4.000-Seelen-Dorfs befindet | |
| sich eine Eisdiele, eine Apotheke, ein Supermarkt und das Rathaus neben | |
| einer Kirche. Unweit davon steht die beschauliche „Unterkunft Grüner Weg“. | |
| Hier leben derzeit 20 junge Männer, geflüchtet aus Tunesien und Somalia. | |
| „Wir hatten uns gemeinsam mit den Flüchtlingen dazu entschieden, die | |
| Flüchtlingsunterbringung von Sandstedt ins Hagener Zentrum umzusiedeln“, | |
| sagt Bürgermeisterin Susanne Puvogel (SPD). „Niemandem ist es zuzumuten, | |
| dass er zwölf Kilometer mit dem Fahrrad zum Einkaufen fahren muss. Ich | |
| hätte da auch keinen Bock drauf.“ | |
| Man traut seinen Ohren kaum: Während andernorts auf Asylbewerber | |
| bestenfalls mit Gleichgültigkeit, oft aber auch mit aggressiver Ablehnung | |
| reagiert wird, scheinen in Hagen die Uhren anders zu gehen. Die Unterkunft | |
| für Flüchtlinge erinnert nicht an ein Lager, vielmehr an ein | |
| renovierungsbedürftiges Studentenwohnheim mit Doppelzimmern. Bürger und | |
| Politiker geben sich bei einer gemeinsamen Besichtigung solidarisch. | |
| „Anwohner kommen vorbei, helfen tapezieren, spenden Hausrat. Die | |
| Flüchtlinge fahren heute noch nach Sandstedt und besuchen ihre ehemaligen | |
| Nachbarn“, so eine Aktivistin der Hagener Flüchtlingsinitiative Nestwerk. | |
| Auch in der anschließenden Ausschusssitzung hört man ungewohnte Töne. | |
| Besprochen wird, wie man jene Flüchtlinge unterbringen soll, die 2014 | |
| hinzukommen sollen – mindestens acht sollen es sein, eine genaue Zahl ist | |
| noch nicht bekannt. „Wir sollten uns gegen eine Kasernierung der | |
| Asylbewerber stellen – sonst fällt die zivile Kontrolle weg. Ein | |
| Asylbewerberheim außerhalb des Dorfes im Gewerbegebiet, drei Männer mit | |
| brauner Jacke in einer Eckkneipe, und wir haben hier ganz schnell ein neues | |
| Rostock-Lichtenhagen“, appelliert Matthias Brümmer, Hagener Ratsmitglied | |
| der SPD, und bekommt dafür breite Zustimmung von den Anwesenden. | |
| Hans H. Mahler (SPD), Rats- und Ausschussmitglied, stimmt mit ein: „Ich bin | |
| für eine zentrale Unterbringung im Dorf. Mehrere kleine Wohneinheiten im | |
| Dorfzentrum sind anzustreben.“ Wieder breite Zustimmung. „Genau. Wir müssen | |
| auf die Sozialverträglichkeit achten und gemeinsam mit den Flüchtlingen | |
| entscheiden. Unterschiedliche Herkunft und Religion, unterschiedliches | |
| Alter und Geschlecht. Da sind Konflikte vorprogrammiert“, sagt ein älterer | |
| Herr aus dem Publikum. | |
| ## Wohnungsangebote zurückgezogen | |
| Dass die Lage auch in Hagen nicht ganz so rosig ist, wie sie auf den ersten | |
| Blick scheint, zeigt ein Blick in die Einladung zur Ausschusssitzung. Darin | |
| heißt es, dass Vermieter ihr Angebot auf Wohnungsanfragen vonseiten der | |
| Gemeinde zurückgezogen haben, als sie mitbekamen, wer die neuen Mieter sein | |
| sollen. | |
| Auch der niedersächsische Flüchtlingsrat ist auf Hagen nicht gut zu | |
| sprechen. Es spielten sich dort „gespenstische Auseinandersetzungen“ ab, | |
| schrieb der Flüchtlingsrat. Gemeint war damit eine Reaktion des Hagener | |
| Gewerbetreibenden Manfred Krams, der seinen Immobilienwert sinken sieht, | |
| sollten Flüchtlinge in seine Nachbarschaft ziehen. „Wenn das kein Rassismus | |
| ist, was denn dann?“, entgegnete Bürgermeisterin Puvogel. | |
| Als klar wird, dass die Idee mit der Unterbringung im Dorfkern nicht ganz | |
| so einfach zu realisieren ist, bekommt die Ausschusssitzung auf einmal eine | |
| pragmatische Wendung. CDU, SPD, Grüne und Freie Wähler beschließen | |
| einstimmig, dass Sozialausschuss und Verwaltung bis zum 22. Oktober eine | |
| detaillierte Kostenaufstellung zu den bisherigen Lösungsvorschlägen | |
| einholen sollen. Im Rennen ist einerseits ein altes Bordell im | |
| Gewerbegebiet neben Manfred Krams. Wolfgang Steen, Grünen-Ratsherr, und | |
| zwei anonyme Investoren wollen dieses aufkaufen, umbauen und für zehn Jahre | |
| à 4.000 Euro Miete pro Monat an die Gemeinde vermieten. 28 Flüchtlinge | |
| hätten dort Platz. | |
| Die CDU Hagens sieht andererseits eine Renovierung der Unterkunft am Grünen | |
| Weg plus Anbau vor, so dass weiterer Raum geschaffen wird. Die Zukunft der | |
| Flüchtlinge geht also doch Richtung Zentrierung. | |
| Manfred Krams, gerade noch durch seine ablehnenden Aussagen im Fokus, | |
| bietet mit einem Lächeln auf den Lippen an, ein eigenes Konzept zur | |
| Flüchtlingsunterbringung zu entwerfen. Dafür müsse laut Krams die Gemeinde | |
| aber ein Grundstück zur Verfügung stellen. „Dann geht das alles ratzfatz“, | |
| sagt er. | |
| 27 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Carsten Bisping | |
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