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# taz.de -- Interview mit Landesbischof: „Residenzpflicht aufheben“
> Markus Dröge, der Landesbischof Berlin-Brandenburgs, über seinen Besuch
> im Flüchtlingslager Eisenhüttenstadt und mögliche Antworten auf die
> Vorfälle in Hellersdorf.
Bild: Der evangelische Landesbischof Markus Dröge (Archivbild).
taz: Herr Dröge, Sie haben letzte Woche das umstrittene Flüchtlingslager in
Eisenhüttenstadt besucht. Haben Sie das als einen Ort erlebt, an dem man
sich als Flüchtling wohlfühlen kann?
Markus Dröge: Nein. Aber ich habe die Erstaufnahmeeinrichtung als einen Ort
erlebt, an dem man erst einmal ankommt und ohne Gefahr leben kann. Um sich
dort wohlfühlen zu können, muss noch viel getan werden. Vor allem, was die
bauliche Seite betrifft. Die Einrichtung hat aber seit wenigen Wochen einen
neuen Leiter. Ich habe den Eindruck, er will viel bewegen.
Zum Beispiel?
Erstmals seit Bestehen der Einrichtung bekommen die Kinder dort
Deutschunterricht. Erstmals wird auch mit einem Psychologen gearbeitet. Der
neue Leiter ist zudem sehr aufgeschlossen, Kontakte zwischen Flüchtlingen
und Eisenhüttenstädtern anzubahnen, die es bisher zu wenig gab.
Der Flüchtlingsrat kritisiert die mangelnde gesundheitliche und soziale
Betreuung der Bewohner. Was ist Ihre Position?
Ich habe vor Ort deutlich gemacht, dass ich es für konzeptionell schwierig
halte, dass der Wachschutz und die gesundheitliche und soziale Betreuung in
der Hand derselben Firma liegen. Das gehört in zwei Hände. Mitarbeiter, die
Flüchtlinge gesundheitlich und sozial betreuen, sollen zudem Fremdsprachen
sprechen und regelmäßig fortgebildet werden. Schließlich muss mehr getan
werden, um schutzbedürftige Flüchtlinge überhaupt zu erkennen. Derzeit
läuft da ein Pilotprojekt. Das muss mindestens verstetigt werden.
Anwälte, Flüchtlingsrat und Grüne kritisieren, dass die Bundespolizei und
Gerichte in Eisenhüttenstadt zu oft und unangemessen Abschiebehaft
verhängen.
Ich habe auch deutlich gemacht, dass über Alternativen zur Abschiebehaft
nachgedacht werden muss. Die Abschiebehafteinrichtung sollte auch einen
Vollzugsbeirat haben wie in Berlin, mit Vertretern der Ärztekammer und
anderen relevanten Gruppen.
In den 1990er Jahren gab es in Brandenburg Proteste gegen Asylbewerber als
Nachbarn. In Berlin wurden hingegen selbstverständlich Flüchtlinge
aufgenommen. Heute ist es umgekehrt: In Brandenburg werden Willkommensfeste
gefeiert, in Berlin besteht Pogromstimmung. Was macht Brandenburg besser?
Auch Berlin feiert Willkommensfeste. Der Kirchenkreis Reinickendorf wird am
14. September so ein Fest feiern. Berlin ist nicht ablehnend gegen
Flüchtlinge. Die Konflikte werden durch die NPD von außen hereingetragen.
Der Superintendent für Hellersdorf hat mir gerade heute bestätigt, dass die
Bevölkerung dort keine Angst vor Flüchtlingen hat. Sie hat vielmehr Angst
vor einem Rechts-links-Konflikt vor ihrer Haustür.
Da möchte ich Ihnen widersprechen. Man kann nur etwas von außen
hereintragen, wenn es auf fruchtbaren Boden fällt. Beim Recherchieren in
Hellersdorf und Reinickendorf begegnen mir immer wieder grundlegende
Ressentiments einfacher Bürger gegen Flüchtlinge in der Nachbarschaft. Sie
fürchten Kriminalität und wollen nicht, dass ihre Kinder mit
Flüchtlingskindern zur Schule gehen.
Diese Befürchtungen müssen wir entkräften. Wir müssen deutlich machen, dass
nach Polizeierkenntnissen kein Flüchtlingsheim ein Schwerpunkt der
Kriminalität ist. In den Gesprächen mit der Bevölkerung haben wir
Nachholbedarf. Die Flüchtlingszahlen sind schnell gestiegen, die
Kapazitäten für die Unterbringung mussten schnell hochgefahren werden, und
es blieb nicht immer Zeit für diese Gespräche. Flüchtlinge müssen die
Chance haben, ihre eigene Geschichte zu erzählen.
Was wäre Ihrer Meinung nach eine angemessene politische Debatte als Antwort
auf die Pogromstimmung in Hellersdorf?
Das Arbeitsverbot für Asylbewerber sollte überdacht werden. Dadurch sind
viele Menschen gegen ihren Willen zur Untätigkeit verdammt. Auch die
Residenzpflicht gehört aufgehoben. Mobilität von Asylsuchenden hilft ihrer
Integration. Ich wünsche zudem, dass Deutschland mehr als die 5.000
Flüchtlinge aus Syrien aufnimmt, die die Bundesregierung zugesagt hat. Eine
politische Debatte sollte aber auch deutlich machen, dass unsere
Gesellschaft Flüchtlinge nicht nur aufnimmt, sondern auch angemessen
betreut.
In den 1980er Jahren haben 50 Berliner Kirchengemeinden Kirchenasyl
angeboten, heute etwa 10. Was läuft falsch?
Nichts. Das Kirchenasyl ist eine Lösung für Spezialfälle. Es geht um
Menschen, die Zeit brauchen für die juristische Klärung ihres
Aufenthaltsrechts. Solche Spezialfälle hatten wir in den letzten Jahren
weniger. Da haben sich Kirchengemeinden anderen sozialen Themen gewidmet:
Obdachlosigkeit, Armut, ökologische Probleme. Ich habe aber einen Brief an
alle Kirchengemeinden geschrieben, dass Kirchenasyl ein Thema ist, dem sie
sich wieder stärker stellen müssen. Ich bin optimistisch, dass es gelingt,
das Bewusstsein der Gemeinden wieder zu schärfen.
29 Aug 2013
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Eisenhüttenstadt
Asyl
Evangelische Kirche
Flüchtlinge
Hellersdorf
NPD
Asyl
Flüchtlinge
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