| # taz.de -- Star-Campaigner über den Wahlkampf: „Timing ist alles“ | |
| > Die SPD plakatiert zur Altersarmut, schweigt aber zu Steinbrück, | |
| > kritisiert Frank Stauss. Doch auch die Merkel-Show könnte für die CDU zum | |
| > Bumerang werden. | |
| Bild: Die SPD hat nur noch wenige Anlässe, das Ding noch zu drehen, sagt Frank… | |
| taz: Herr Stauss, wann gab es eine günstige Gelegenheit für eine | |
| Wahlkampfoffensive? | |
| Frank Stauss: Der Wahlkampf 2005 mit Herrn Kirchhof fällt mir sofort ein … | |
| … als Kanzler Schröder nicht wie erwartet haushoch, sondern nur knapp | |
| seiner Kontrahentin Angela Merkel unterlag. | |
| In der Tat. Damals errechnete der Finanzexperte im Team von Merkel, Paul | |
| Kirchhof, die angebliche Steuerentlastung einer Sekretärin, die „zu einem | |
| gewissen Prozentsatz verheiratet“ sei und 1,3 Kinder habe. Eine | |
| Steilvorlage. | |
| Schröder sprach fast verächtlich nur noch von dem „Professor aus | |
| Heidelberg“. | |
| Da brauchten Sie schon die Abgebrühtheit von Gerhard Schröder, der frontal | |
| draufging und dranblieb. | |
| Sie brauchen keine Angriffe auf das Privatleben des Gegners? | |
| In Deutschland geht das nicht. Das ist seit den Zeiten von Willy Brandt, | |
| der als SPD-Spitzenkandidat noch persönlich als „Vaterlandsverräter“ und | |
| unehelicher Sohn diffamiert wurde, nicht mehr vorstellbar. | |
| Angela Merkel ignoriert ihre Gegner einfach, sie nennt noch nicht mal Peer | |
| Steinbrücks Namen – eine gute Strategie? | |
| Wenn man diese hohen Sympathiewerte hat wie sie, dann sagt man: „Ich habe | |
| im Prinzip keine Herausforderer.“ Für mich sind das läppische Spielchen, | |
| die in irgendwelchen Wahlkampfhandbüchern drinstehen. Ich halte das aber | |
| nicht für spielentscheidend. | |
| In Hessen gewann CDU-Mann Roland Koch 1999 dank einer | |
| Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft die | |
| Landtagswahl – war das richtiger Schmutz? | |
| Ich sag mal so: Für jeden, der politisch links steht, war das Schmutz. Es | |
| war natürlich Kalkül, auf dem Rücken vom Minderheiten Wahlkampf zu machen. | |
| Aber Koch hat offensichtlich den Nerv einer Mehrheit in Hessen getroffen. | |
| Und das ist sein gutes Recht im Wahlkampf. | |
| Das hätte eine Kampagne von Ihnen sein können? | |
| Nein, ich mach so etwas nicht. | |
| Können Sie sich vorstellen, für Angela Merkel eine Kampagne zu machen? | |
| Theoretisch ja, praktisch nein, ich bin schon ziemlich lange | |
| Sozialdemokrat. Das bringe ich nicht übers Herz. | |
| Trotzdem: Was würden Sie Merkel empfehlen? | |
| Sie läuft gerade Gefahr, dass der Wahlkampf einschläft, was natürlich ihre | |
| Grundstrategie ist. Aber diesmal könnte er so weit einschlafen, dass selbst | |
| ihre eigenen Leute nicht mehr in ausreichendem Maße wählen gehen. | |
| Muss ein idealer Spitzenkandidat Rampensau sein – wie Gerhard Schröder? | |
| Nun, man kann sie sich nicht backen. Man arbeitet mit denen, die sich im | |
| Auswahlprozess durchgesetzt haben. Das sind meistens Leute, die aus gutem | |
| Grund dort stehen. | |
| Kandidaten können auch solche des Parteiapparats sein, wie Rudolf Scharping | |
| 1994. Schröder hätte sich damals vielleicht schon als die bessere | |
| Alternative erwiesen. | |
| Hätte, hätte, Fahrradkette. Kann sein, Scharping war aber auch nicht der | |
| Mega-Apparatschik. Er hatte gerade in einem relativ zähen Wahlkampf das | |
| konservative Bundesland Rheinland-Pfalz geholt. Und was gerne vergessen | |
| wird: Er hat die Bundestagswahl mit dreieinhalb Prozent mehr abgeschlossen | |
| als Oskar Lafontaine vier Jahre zuvor. | |
| Sie texteten 1994 für den SPD-Fernsehspot „Ein starkes Team“. Zu sehen | |
| waren Schröder, Lafontaine und Scharping, die sich nicht wirklich als | |
| „starkes Team“ bewiesen. Ist das im Nachhinein peinlich? | |
| Gar nicht. Das war damals der Kanzlerkandidat mit seinen mächtigen | |
| Parteifreunden. Wenn die kein Team bilden, dann ist das nicht mein Problem. | |
| Was war ein Flop von Ihnen? | |
| Eines unserer schönsten Plakate kommt aus dem Europawahlkampf 2009. | |
| „Finanzhaie würden FDP wählen“. Nur hatte es keinen Nährboden. Die FDP | |
| hatte schon lange nicht mehr regiert, die Leute brachten sie damit nicht in | |
| Verbindung. Ein Jahr später, nachdem die FDP die Hoteliersteuer | |
| verabschiedet hatte, hätte das wunderbar gepasst. Timing ist alles. | |
| Wie bei SPD-Mann Olaf Scholz? Er war immer ein, wie es hieß, „Scholzomat“, | |
| eine floskelnde Sprechmaschine, aber 2011 passte er plötzlich als | |
| Bürgermeister für Hamburg. | |
| Scholz ist ein ganz anderer Mensch als Schröder – das gilt es eben für alle | |
| zu akzeptieren. Für die Journalisten und für ihn. Die Frage ist: Ruhe ich | |
| darin oder versuche ich ständig, ein anderer zu sein? In Hamburg hatte es | |
| eine längere Zeit unhanseatische Verhältnisse gegeben, es ging um Verrat | |
| und Intrigen, um einen Innensenator namens Ronald Schill, der Ole von Beust | |
| outete. Da war Tohuwabohu – und so eine stabile, verlässliche Person wie | |
| Olaf Scholz passte wie voll auf die Zwölf. Er hat ins bürgerliche Lager | |
| reingestrahlt. | |
| Wie stark nimmt ein Werber auf den Kandidaten Einfluss – auf Sprache, auf | |
| Gestik oder auch auf die Frisur? | |
| Viel weniger, als uns immer angedichtet wird. Eher gar nicht. Mein Job ist | |
| es, um einen Menschen herum eine Kampagne zu stricken, in der er sich | |
| geborgen fühlt. Er darf nicht ständig das Gefühl haben, an irgendwas | |
| arbeiten, korrigieren und Schwächen ausgleichen zu müssen. | |
| Was läuft dann bei Steinbrück schief? | |
| Wir haben zwei Kampagnen, eine für die SPD, eine für Peer Steinbrück. Die | |
| beiden Kampagnen harmonieren aber nicht. Draußen hängen Plakate zu | |
| Altersarmut, Mindestlohn, Kitaplatz. Aber es hängt keines zur absoluten | |
| Kernkompetenz des Kanzlerkandidaten – Wirtschaft und Finanzen. | |
| Angenommen, Sie leiten so eine Kampagne und der Kandidat fühlt sich wohl, | |
| dann aber lesen Sie morgens in der Zeitung: „Spitzenkandidat bekennt: Eine | |
| Flasche Pinot Grigio unter fünf Euro kaufe ich nicht.“ Deprimiert das einen | |
| Wahlkampfregisseur wie Sie? | |
| Nein, dann macht man doch sofort eine Pinot-Grigio-Kampagne. Gegenhalten! | |
| Der Kandidat macht einen Lapsus, und ich mache da einen Witz draus. Dann | |
| verschicke ich eine Kiste Pinot Grigio, an wen auch immer. Man muss der | |
| Öffentlichkeit vor Augen halten: Okay, so isser. Und ganz im Ernst: Wer | |
| glaubt, dass Steinbrück einen Wein für fünf Euro trinkt? Niemand. Auch | |
| keiner der Journalisten, die darüber geschrieben haben. | |
| Ist die SPD noch zu retten? | |
| Sie hat nur noch wenige Anlässe, wie sie das Ding noch drehen kann: Das | |
| Fernsehduell ist für Peer Steinbrück zum Beispiel viel wichtiger als für | |
| die Kanzlerin. Er hat die Möglichkeit, den Leuten in Erinnerung zu rufen: | |
| Hallo, ich bin der Herr Steinbrück, von dem ihr millionenfach Bücher | |
| gekauft habt und den ihr als Finanzminister super fandet. Das, was | |
| zwischendrin war, wollen wir jetzt vergessen machen. | |
| Klingt schwierig … | |
| … ist es auch! Wir haben eine große Zufriedenheit im Land. Die Bürger hören | |
| seit drei Jahren jeden Abend in den Nachrichten, wie schlecht es Griechen, | |
| Italienern, Spaniern geht. | |
| Wie kann Wahlkampf dann noch funktionieren – stündlich twittern? | |
| Auf keinen Fall. Das ist ein Medium, das man wirklich beherrschen muss. Ich | |
| empfehle das niemandem, der sich nicht zu hundert Prozent unter Kontrolle | |
| hat. Und wer kann das schon? | |
| Plakate kleben? | |
| Das Kuriose ist ja, dass wir eine Renaissance der klassischen Kampagne | |
| erleben. Obama hatte mehr Geld als je zuvor in ganz banale TV-Spots | |
| gesteckt. Hierzulande wird das Plakat gefahren. Wir können aus rechtlichen | |
| Gründen nicht so viel Sendezeit kaufen. Zumal auch die Zersplitterung der | |
| Kanäle dazu führt, dass es immer weniger Dachmedien gibt, wo ich viele | |
| Menschen gleichzeitig erreiche. | |
| Was bringen Hausbesuche, bei denen Eierlikör getrunken wird? | |
| Die Hausbesuche haben sich Wahlkämpfer in den USA abgeguckt. Dort haben sie | |
| eine lange Tradition. Da hat sich eine gewisse Offenheit entwickelt, die | |
| bei uns begrenzt ist. Es ist also bestimmt nicht die Geheimwaffe in diesem | |
| Wahlkampf. | |
| Was ist in den Vereinigten Staaten denn anders? | |
| Als Wahlkämpfer klingeln Sie nicht vor irgendeiner Haustür, sondern Sie | |
| haben auf Ihrem I-Pad einen Datenschatz darüber, wer hinter dieser Tür | |
| lebt: Lieblingseinkäufe, Wahlgewohnheiten, Durchschnittseinkommen. Das ist | |
| aus Datenschutzgründen in Deutschland unmöglich. Die Chance, dass mir die | |
| Nase vor der Tür zugeschlagen wird, ist viel größer. | |
| Angesichts der Entwicklung in Syrien – soll die SPD jetzt auch die | |
| Friedenskarte spielen? Oder lohnt das nicht, weil faktisch alle Parteien | |
| gegen den Militäreinsatz sind? | |
| Das sehe ich nicht als Winner-Thema. Die Linke wird jetzt wieder ihre | |
| verlogene Friedenstaube aus dem Keller holen, während in Syrien Kinder | |
| geschlachtet werden. Aber für die SPD ist das nichts. | |
| Die SPD leide unter Uncoolness, sagen Intellektuelle wie Juli Zeh. Welche | |
| Sozialdemokraten können die altgediente Generation ablösen? | |
| Ach, ich finde das so eine intellektuelle Überheblichkeit und Wurstigkeit, | |
| einer Partei einen Coolnessfaktor zu geben. | |
| Sie mögen Intellektuelle wohl nicht? | |
| Die sind sich zu fein für die Demokratie. Vor ein paar Jahren gab es den | |
| Spruch: Wir benehmen uns, als ob wir eine zweite Welt im Kofferraum hätten. | |
| Ich sage: Wir benehmen uns, als ob wir eine zweite Demokratie im Kofferraum | |
| hätten, wenn wir so verächtlich über sie sprechen. Man muss aufpassen, dass | |
| der Egoismus nicht die Demokratie erschlägt. | |
| Egoismus? | |
| Demokratie heißt am Ende Kompromiss. Demokratie bedeutet, dass Sie sich | |
| nicht zu hundert Prozent reflektiert sehen in einer Partei, sondern | |
| womöglich nur zu vierzig Prozent. Aber man sagt: Okay, mit dieser Partei | |
| stimme ich mehr überein als mit der anderen. Wir haben in Deutschland von | |
| ganz links bis ganz rechts, mit allem was dazwischen ist, ein Riesenangebot | |
| von Parteien. Wer da nichts findet, soll zum Psychiater gehen. | |
| Das Gegenargument lautet: Die Parteien sind sich zu ähnlich geworden. | |
| Was für ein Unfug. Wir haben sogar eine Anti-Europa-Partei. Wählen Sie die, | |
| wenn Sie gegen Europa sind. Es gibt doch alles. Die Ähnlichkeit besteht | |
| allenfalls auf dem Papier. Schauen Sie sich an, was für gesellschaftliche | |
| Projekte in rot-grünen Zeiten angeschoben worden sind: Agrarwende, | |
| Atomausstieg und so weiter. Es ist intellektuelle Faulheit zu sagen, die | |
| sind alle gleich geworden. | |
| 30 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan Feddersen | |
| Hanna Gersmann | |
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