# taz.de -- Wahlkampf in der WG: Wachstumskritik und vegane Suppe | |
> Warum nicht mal umgekehrt? Parteien kämpfen mit Plakaten und | |
> Hausbesuchen. Eine Berliner WG zeigt, dass es auch anders geht. | |
Bild: Politiker zu Besuch: „Das System muss sozialer werden“. | |
BERLIN taz | Es ist Mittwoch Abend. Im geräumigen Wohnzimmer der | |
ausgebauten Loftwohnung in Neukölln sitzen dicht an dicht etwa 45 junge | |
Leute. Sie sind gekommen, um sich mit Bundestagskandidaten der Linken, | |
Grünen und Piraten über Wachstumskritik zu unterhalten. Eingeladen hat die | |
fünfköpfige WG selbst, das Publikum besteht aus Freunden und | |
Freundesfreunden. Sie hätten in der Vorbereitung endlich einmal gründlich | |
die Wahlprogramme der Parteien gelesen, erklärt Matthias Zinßer, einer der | |
Bewohner. „Das macht man sonst ja doch nie.“ | |
Regelmäßig veranstaltet die linksalternative WG solche Themenabende. Bei | |
veganer Suppe und Wein wird über den Dächern Neuköllns und mit Blick auf | |
den S-Bahn-Ring diskutiert. Nicht immer sind die Themen politisch, meistens | |
aber schon. Die letzten Male ging es um Menschenhandel und Social Business. | |
„Wir hatten aber auch schon einen Mario Kart Abend“, sagt Zinßer. | |
Thema dieses Mal: Wachstumskritik. „Ich dachte erst, das Ganze sei ein | |
Witz“, sagt Ruben Lehnert von der Linken. Er wurde von der WG beim | |
Zettelkleben auf der Straße angesprochen. Die anderen Gäste sind Paula | |
Riester von den Grünen und Lena Rohrbach und Andreas Pittrich von den | |
Piraten. | |
Die Ausgangsfrage der Diskussion: Ist nachhaltiges und soziales Wachtum | |
überhaupt möglich? Im Gegensatz zum Publikum sind die Redner nicht per se | |
Gegner des Wachstums. In einem sind sie sich aber einig: Wirtschafssystem | |
und Wachstum müssen sozialer werden. Wichtig sei, wie Wachstum zustande | |
kommt, so der Linke Lehnert. „Auch wenn 30 Leute jeden Tag einen Graben | |
ausheben und wieder zuschütten, wächst das Bruttoinlandsprodukt.“ | |
Das ist dem Publikum nicht genug. Sofort melden sich Stimmen aus dem | |
Publikum, die wissen wollen, welche konkreten Schritte denn geplant seien. | |
Piratin Rohrbach erklärt, in der Politik gebe es eine große Angst davor, | |
grundlegende Änderungsvorschläge einzubringen. Piraten und Linke entdecken | |
an diesem Abend viele überraschende Gemeinsamkeiten. „Ich denke die ganze | |
Zeit, ihr lest aus unserem Programm vor“, sagt Lehnert. | |
## Es gibt viele Wege, Wachstum zu beeinflussen | |
Über zwei Stunden diskutieren Politiker und Publikum über nachhaltiges | |
Wachstum, Postwachstumsansätze, sozialen Kapitalismus und Sozialismus. | |
Unterbrochen werden sie nur vom Lärm der vorbeifahrenden S-Bahn. Lehnert | |
ist begeistert von den vielen und konkreten Beiträgen aus dem Publikum. | |
„Das ist die spannendste Wahlkampfveranstaltung, an der ich bisher | |
teilnehmen durfte.“ | |
Die Zuhörer wollen wissen, warum sie nun ausgerechnet die Anwesenden wählen | |
sollen. Lehnert pocht auf öffentliche Mitbestimmung. „Bei Fragen, die alle | |
angehen, sollen auch alle mitentscheiden.” Riester betont, Nachhaltigkeit | |
sei schon lange das Thema der Grünen. Nur die Piraten Pittrich und Rohrbach | |
erklären, Wirtschaft sei eigentlich gar nicht der Schwerpunkt ihrer Partei. | |
„Wenn euch Postwachstum wichtig ist, setzt ihr bei allen drei Parteien die | |
hier sitzen auf gute Pferde”, sagt Rohrbach. Wenn es um die Öko-Wende gehe, | |
seien die Grünen allerdings viel besser als die Piraten. „Deswegen haben | |
wir auch so viel bei ihnen abgeschrieben.” Wer aber zum Beispiel auch das | |
Thema Überwachung wichtig finde, für den seien die Piraten die richtige | |
Partei. „Wenn wir uns das jetzt gefallen lassen, dann lassen wir es uns | |
immer gefallen”, sagt Rohrbach. | |
Mit dem Ende der Diskussion ist der Abend noch lange nicht vorbei. Bis weit | |
nach Mitternacht unterhalten sich die jungen Leute mit den | |
Bundestagskandidaten bei Wein und den Resten von Suppe und Salat. | |
Unterbrochen nur vom Lärm der S-Bahn. | |
18 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Dinah Riese | |
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