# taz.de -- Wahlkampf in Kneipen: Mit Knicklicht und Kondom | |
> Jusos und Junge Liberale werfen sich ins Berliner Nachtleben, um junge | |
> Wähler zu überzeugen. Immerhin bekommt niemand auf die Fresse. | |
Bild: Wahlkampf und Feiern – Jusos und JuLis sind in Berliner Kneipen auf Sti… | |
BERLIN taz | Wäre er nicht in der SPD, würde Kevin Kühnert nicht samstags | |
um 23 Uhr am Ku’damm stehen. Er trägt Trainingsjacke und Turnschuhe. Die | |
Mädels, die hier ausgehen, balancieren auf Pumps. Ihre Gesichter haben sie | |
mit Kajal und Lippenstift angemalt. Halbstarke mit aufgepumpten Oberkörpern | |
fallen aus Sammeltaxis vor den Club Qdorf, nicht gerade eine Nobeldisko. | |
Hier macht Kevin, Juso-Chef in Berlin, Wahlkampf. Ein Feldversuch. Die SPD | |
denkt auch an Berufsschüler aus Hartz-IV-Haushalten, sagen die Jusos. „Alle | |
prangern immer an, dass diese Jugendlichen nicht wählen, aber keiner redet | |
mit ihnen“, sagt Kevin und verteilt erst mal SPD-Kondome. | |
Kondome hat Mitja Schulz auch dabei. Gelbe Kondome. Mitja ist | |
Landesvorsitzender der JuLis in Berlin, die Jungen Liberalen. Sein Trupp, | |
sieben Jungs, ein Mädchen, sieht am U-Bahnhof Eberswalder Straße in weißen | |
T-Shirts mit dem Aufdruck „Freiheit“ aus wie eine Reisegruppe. Ziel sind | |
die jungen Leute in den Kneipen in Prenzlauer Berg und Pankow. „Die FDP ist | |
nicht so spießig, wie alle glauben“, sagt Mitja. Er trägt Röhrenjeans und | |
bunte Turnschuhe, das erste Bier wird geöffnet. Fast allen baumelt ein | |
Jutebeutel von der Schulter. | |
Aus einem ziehen sie neongelbe Knicklichter, binden sie als Armbänder um | |
ihre Handgelenke, auf die Nase kommt die FDP-Sonnenbrille in Ray-Ban-Optik. | |
„Wie ein Jungesellenabschied“, nuschelt ein Mädchen mit Federohrringen und | |
Pluderhose, dem Mitja einen Flyer in die Hand drückt. „Was Politisches | |
erwarte ich doch um die Zeit nicht“, sagt sie, findet die Aktion aber | |
besser als Wahlkampfstände. | |
Während der JuLi-Spaßtrupp weiterzieht, tun sich die Jusos vor dem Qdorf | |
schwer mit der Bürgernähe. Mehr als „Kondom gefällig?“ und ein männlich… | |
Schulterschlag kommt an Kontakt zur Arbeiterjugend nicht zustande. Dabei | |
hätte der Junge mit Goldkette und Muskelshirt nichts gegen eine | |
Unterhaltung. „Wir können sie ja trotzdem wählen, auch wenn sie nicht mit | |
uns sprechen“, sagt er. | |
Kevin und seine Genossen studieren, ein Polizist muss ihnen erklären, wo | |
sie gerade Wahlkampf machen. „Hier jibt’s immer auf de Fresse“, sagt er. | |
„Die haben zwei Promille im Jesicht, können nich ma den ersten Satz von | |
eurem Flyer lesen.“ | |
Dann kommt Kevin doch noch ins Gespräch. Ein Junge mit umgedrehtem | |
Baseballkäppi und roten Augen schnappt nach Luft – vor Empörung. Sein | |
Kumpel, der einzige in der Gruppe mit dunkler Hautfarbe, wurde vom | |
Türsteher abgewiesen. „Ständig heißt es, wie schlimm die deutsche | |
Vergangenheit war, und dann passiert immer noch so was.“ Kevin setzt sich | |
beim Türsteher für den Jungen ein, sagt ihm, es gebe Gesetze gegen | |
Diskriminierung. Kein Wort von der SPD. „Ich will die Leute nicht nerven“, | |
sagt er. | |
## Übermotivierte JuLis | |
Zurück in Pankow: Fabian, einer aus dem JuLis-Trupp, schmeißt sich vor | |
einer Bar in den Liegestuhl neben ein Paar. Sein Gesprächspartner sagt | |
später: „Der hat mich fast gezwungen, meine Meinung zu sagen.“ Vielleicht | |
ist Fabian übermotiviert, er ist extra für den Wahlkampf aus Frankfurt | |
gekommen. Eine ältere Frau beschwert sich, dass alle Miethäuser in ihrer | |
Straße in Eigentumswohnungen umgewandelt werden. „Das sind doch | |
Unterstellungen“, antwortet Mitja und lobt die Investoren. | |
Übel nimmt den JuLis das niemand. Sie haben ja Knicklichter. Eines bindet | |
sich die Frau, die um ihre Mietwohnung fürchtet, an ihr Fahrrad. Ihr Licht | |
ist kaputt. Ein anderes glimmt am Ohr des Mädchens mit der Pluderhose. | |
Im Qdorf tanzt die Jugend mit SPD-Kondomen in der Tasche. Vielleicht lesen | |
sie am nächsten morgen den Spruch der Jusos: „Lieb doch wen du willst“. | |
Vielleicht auch nicht. | |
20 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Lisa Schnell | |
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