# taz.de -- Bundestagswahl: Wenn dabei sein alles ist | |
> Neben den Parteikandidaten treten auch acht Einzelbewerber in den zwölf | |
> Wahlkreisen Berlins an. Der Reinickendorfer Frank Ditsche ist einer | |
> davon. Seit 2001 kandidiert er bei jeder Wahl. | |
Bild: Auch parteilose KandidatInnen bewerben sich um Stimmen. | |
Zwei Frauen, die für die Bibel werben, ein straßenfeger-Verkäufer und einer | |
von der motz: Es sind schon einige auf Kundenfang in der Tegeler | |
Fußgängerzone, als ein Mann Mitte 40 hinzukommt, ein gelbes Klemmbrett und | |
einen Packen Flugblätter in der Hand. Er will weder über Gott reden noch | |
etwas verkaufen. Aber überzeugen. Dass nämlich er, Frank Ditsche, der | |
Richtige für Reinickendorf im Bundestag wäre. Ditsche ist parteiloser | |
Einzelbewerber, einer von 8 unter den 150 Männern und Frauen in den zwölf | |
Berliner Wahlkreisen, die am 22. September in den Bundestag wollen. | |
Seit einer halben Stunde ist er unterwegs und versucht, seine lachsfarbenen | |
Flugblätter unter die Leute zu bringen. „Nee!“ – „Brauch ich nicht“ … | |
ein stummes Abwehren sind die ersten drei Reaktionen an diesem Morgen, | |
bevor der Erste stehen bleibt, den Zettel annimmt und liest, wieso er | |
Ditsche seine Erststimme geben und ihn in den Bundestag schicken soll: weil | |
der parteilos und keinen Interessen verbunden sei, weil er nach eigenen | |
Worten schon so einiges angeschoben hat, etwa eine Verkehrsberuhigung und | |
bessere Kassenleistungen bei Zahnbehandlungen für Kinder. Viele Leute sind | |
noch nicht auf den Beinen. An den Tischen vor der Bäckerei sitzen welche, | |
doch die mag Ditsche nicht ansprechen, vor allem wenn sie sich unterhalten: | |
„Die wollen ihre Ruhe haben, da störe ich doch nur.“ Auch denen, die schon | |
unterwegs sind, springt Ditsche nicht mit ausgebreiteten Armen in den Weg | |
und fragt, ob man die Welt retten wolle, wie das gelegentlich | |
Spendensammler tun. | |
„Entschuldigung, sind Sie Reinickendorferin?“, spricht er eine Dame in den | |
60ern ruhig von der Seite an. Es ist immer der erste Satz – um ins Gespräch | |
zu kommen und auszuloten, ob jemand überhaupt für ihn stimmen kann. Als er | |
schon weiter ist, liest die Frau noch die Forderungen auf dem eng | |
bedruckten Zettel – darunter ein Mindestlohn von 10,75 Euro, ein „maßvoller | |
Einsatz von erneuerbaren Energien“, ein Waffenverbot in Haushalten mit | |
unter 25-Jährigen. Es ist nicht gerade der letzte Schrei in Sachen Design, | |
was Ditsche da zusammengestellt hat. Wo Parteienwerber auf bunte Farben und | |
wenige knackige Aussagen setzen, hat er auf blassem Hintergrund so viel | |
Text wie möglich untergebracht, und das teils auch noch in kleiner Schrift. | |
Er findet das nicht abschreckend – die Leute sollen ja auch etwas über ihn | |
erfahren. | |
Überhaupt spricht aus Ditsches Flugblatt eine Menge Selbstbewusstsein: dass | |
es jetzt einen Kita-Anspruch für Einjährige gibt, führt er mit darauf | |
zurück, dass er das schon 2002 gefordert habe. Und er formuliert: „Die | |
anderen sind politische Teelichter – ich bin die politische Kerze, die aus | |
der Mitte heraussticht.“ Das liest sich eher, als komme es von den | |
Erleuchteten mit den Bibeln. Spricht man mit Ditsche, hört sich vieles | |
weniger abgehoben an, so wie er mit Jeans, kariertem Hemd und Outdoorjacke | |
auch ganz bodenständig daherkommt. Die Reaktionen auf der Straße empfindet | |
er überwiegend nicht ablehnend. Vielleicht ist er auch einfach abgehärtet – | |
„ich mach das ja nun schon ein paar Jahre“. Aber warum eigentlich, wenn er | |
keine Chance auf ein Mandat hat und noch ein paar hundert Euro für die | |
Flugblätter zahlt? „Wer nichts macht, darf auch nicht meckern“, ist seine | |
Antwort. Die Kandidatur gebe auch Gewicht, wenn er sich anderswo engagiere. | |
Ditsche berichtet etwa von Eltern einer Grundschule, die sich wegen einer | |
sicheren Straßenquerung an ihn wandten. | |
Auch die großen Namen im Bezirk stoßen nicht immer auf brennendes | |
Interesse. Frank Steffel etwa, CDU-Bezirkschef und aktueller | |
Bundestagsabgeordneter, oder der Landesparlamentarier Jörg Stroedter von | |
der SPD, der erneut und mit wenig mehr Chancen als Ditsche Steffel | |
herausfordert. Doch anders als der Einzelkämpfer haben diese Bewerber einen | |
gut bestückten Stand im Hintergrund, Werbegeschenke und Parteikollegen, die | |
sie nach einer barschen Begegnung nötigenfalls aufmuntern. Ditsche hat | |
sich, seine Flugblätter und ein paar Fruchtbonbons als Geschenk in der | |
Jackentasche. | |
Vor Jahren hatte er mal selbst gebastelte Plakate. Das hat er aufgegeben, | |
nicht nur aus Kostengründen – zu aufwendig sei das gewesen. Neben ihm gibt | |
es dieses Mal nur sieben andere Einzelbewerber in Berlin, 2009 waren es 23, | |
vier Jahre zuvor sieben. Ditsche war immer dabei, auch bei den | |
Abgeordnetenhauswahlen. Mehr als ein Prozent hat er bei der Bundestagswahl | |
nie geholt, eine Wahlkampfkostenerstattung ist bei solch einem Ergebnis | |
weit weg. Erst wenn ein Einzelbewerber im Wahlkreis 10 Prozent holt, | |
bekommt er pro Stimme 2,80 Euro. Seit 1953 kam das bundesweit nur neunmal | |
vor, und ins Parlament schaffte es kein einziger. In der Tegeler | |
Fußgängerzone gibt es durchaus positive Reaktionen. Wie der Rentner, der | |
neben Ditsche vom Motorroller steigt. Schon gut, dass der sich engagiere, | |
sagt er, „aber letztlich ist das vertane Zeit und vertanes Geld – die Leute | |
sind doch festgelegt“. Er selbst übrigens auch, er sei ja CDU-Mitglied. Er | |
grinst, weil aus dieser Partei ja auch ein Einzelbewerber kommt, der | |
bisherige Bundestagsabgeordnete Siegfried Kauder, der im Schwarzwald gegen | |
einen anderen CDU-Mann antritt – weshalb ein Parteiausschlussverfahren | |
gegen ihn läuft. Später schüttelt Ditsche den Kopf. „Der Kauder, der ist | |
doch das Plagiat eines Parteilosen“, sagt er, „der tritt doch nur allein | |
an, weil ihn seine Partei nicht mehr aufgestellt hat.“ | |
Eine Stunde ist um, der Packen Flugblätter in Ditsches Hand nur noch halb | |
so dick. 20 Stück hat er an den Mann und die Frau gebracht und ist etwas | |
enttäuscht – „eigentlich werde ich pro Stunde 50 los“. An die 1.000, so | |
schätzt er, hat er Menschen in den vergangenen Wochen in die Hand gedrückt | |
und einige weitere tausend in Briefkästen gesteckt. Das Flugblattverteilen | |
ist dabei für Einzelbewerber eher die Kür. Harte Pflicht ist, vorher 200 | |
Unterstützerunterschriften zusammenzubekommen – nur dann lässt die | |
Wahlleitung eine Kandidatur zu. Da müssen die Leute nicht nur bloß stehen | |
bleiben und ein Flugblatt nehmen –was schwer genug ist –, sie müssen Namen | |
und Adresse angeben und unterschreiben. Von Mitte Mai bis Juli war er dafür | |
unterwegs, erzählt Ditsche, sieben bis acht Unterstützer habe er pro Stunde | |
geworben. | |
Macht 30 Stunden nur für die Vorbereitung. Woher nimmt er als | |
kaufmännischer Angestellter die Zeit, an diesem Mittwochvormittag | |
beispielsweise? Man müsse ja nicht Vollzeit arbeiten, sagt er, und man | |
könne auch Urlaub nehmen. Und die Familie, Frau und ein 16-jähriger Sohn? | |
„Die kennt das, und so oft ist es ja auch nicht.“ 2011 hat Ditsche sie | |
gleich mit eingebunden: Da kandidierte er als Wählergemeinschaft für die | |
BVV, „mit ein paar Leuten aus dem Kiez, meine Frau war auch dabei.“ Bleibt | |
die Frage: Was macht eigentlich ein parteiloser Direktkandidat mit seiner | |
Zweitstimme? „Da bin ich nicht festgelegt“, sagt Ditsche, „aber die Groß… | |
wähle ich nicht.“ | |
17 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Stefan Alberti | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |