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# taz.de -- Kommentar Obamas Kehrtwende: Die Sache mit der Glaubwürdigkeit
> Die „rote Linie“ ist überschritten. Was nun? Das ausgerechnet die USA
> sich gefordert fühlen, die Einhaltung internationaler Normen
> durchzusetzen, ist fragwürdig.
Bild: Ob die USA Syrien angreifen werden, hängt davon ab, ob es ihnen gerade i…
Barack Obama hat Zeit gewonnen. Seine Ankündigung, einen Militärschlag
gegen Syrien zunächst vom US-Kongress absegnen zu lassen, war die einzige
Möglichkeit, leidlich begründet nicht schon an diesem Wochenende Raketen
nach Syrien zu schicken. Es können kaum Zweifel daran bestehen, dass die
Abstimmungsniederlage David Camerons im britischen Unterhaus am Donnerstag
den US-Präsidenten zu diesem Schritt veranlasst hat.
So elegant und irgendwie bauernschlau Obamas Hinwendung zu
parlamentarischer Mehrheitsfindung zunächst wirkt, so erratisch erscheint
dennoch die US-Außenpolitik. Völlig ohne Not argumentierte Außenminister
John Kerry seit Tagen immer offensiver, die Beweislage sei klar, das
Assad-Regime habe eindeutig die „rote Linie“ überschritten. Das konnte nur
bedeuten, dass die Entscheidung, nach Abreise der UN-Inspektoren
zuzuschlagen, bereits getroffen war.
So ist das in Syrien auch verstanden worden, und alle Konfliktparteien
sowie die Zivilbevölkerung haben sich darauf vorbereitet. Die Kehrtwende
vom Samstag und das damit einhergehende Zeichen von Schwäche hätte die
US-Regierung gar nicht nötig gehabt.
Im Zentrum der Debatte steht wieder einmal das Wort Glaubwürdigkeit.
Unglaubwürdig würden sich die USA machen, wenn sie rote Linien ankündigen
und deren Verletzung keine Konsequenzen nach sich ziehe. Das sagen alle,
die von der These überzeugt sind, dass es Assads Truppen waren, die Giftgas
eingesetzt haben.
## Internationale Normen gebrochen
Aber muss Glaubwürdigkeit nicht ein bisschen weiter gehen? Die USA wären
gefordert, die Einhaltung internationaler Normen durchzusetzen, sagte Obama
am Samstag. Wie bitte? Ausgerechnet jenes Land, das sich ein ums andere Mal
der Einführung solcher Normen entgegenstellt, will sich als deren Wächter
aufspielen? Weder bei der Anti-Minen-Konvention noch beim Internationalen
Strafgerichtshof sind die USA dabei, und nicht nur im Falle des Irakkriegs
haben die USA das UN-Verbot eines Angriffskriegs eklatant gebrochen.
Die Geschichte der US-Außenpolitik ist auch eine Geschichte der
Militäreinsätze zur Durchsetzung ihrer Interessen, und nichts deutet darauf
hin, dass sich diese Grundhaltung irgendwie geändert haben könnte. Es geht
also nicht um die Glaubwürdigkeit der USA als internationaler
Polizeibehörde, es geht um ihre Glaubwürdigkeit als Weltmacht.
Diese Macht beziehen die USA aus ihrer militärischen Stärke und der
Bereitschaft, sie einzusetzen – auch unter Verletzung internationaler
Normen. Zu deren Durchsetzung anzutreten kann insofern per se nicht
glaubwürdig sein.
Nun meinen viele, dass die Welt heute genauso handlungsunfähig ist wie zu
Zeiten des Kalten Krieges. Die Blockade des UN-Sicherheitsrats spricht
dafür. Insofern, argumentieren sie weiter, müsse man sich eben entscheiden,
auf welcher Seite man nun stehe, auf der US-amerikanisch-westlichen oder
der russisch-chinesischen. Aber bitte: Es gibt gute Gründe, darauf zu
beharren, dass die Weltmächte internationale Normen eben nicht nur bemühen,
wenn es ihnen gerade in den Kram passt. Jede Gefolgschaft wider besseres
Wissen schwächt internationale Rechtsdurchsetzung.
Auf die sind aber nicht nur die weitgehend machtlosen, wirtschaftlich wie
militärisch schwachen Staaten angewiesen, sondern letztlich auch die
europäischen Mittelmächte wie Deutschland und sogenannte aufstrebende
Mächte wie Brasilien. Der G-20-Gipfel diese Woche in St. Petersburg ist ein
Ort, wo sie sich Gehör verschaffen können. Sie müssen Lösungsvorschläge
erarbeiten, die sich der fatalen Alternative „sinnloser Militärschlag
versus Nichtstun“ entziehen. Wenn die Weltmächte sich als unfähig erweisen,
müssen andere einspringen.
2 Sep 2013
## AUTOREN
Bernd Pickert
## TAGS
Rote Linie
USA
Schwerpunkt Syrien
Barack Obama
Wladimir Putin
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