# taz.de -- Junge Islamkonferenz: Kampf im Kopf | |
> Bei der ersten Jungen Islamkonferenz versetzen sich junge BerlinerInnen | |
> in die Rolle politischer Akteure – und gewinnen überraschende | |
> Erkenntnisse. | |
Bild: Teilnehmer beim Bundeskongress „Neuer Deutscher Organisationen“. | |
Der strenge schwarze Anzug passt perfekt zu den markig-konservativen | |
Worten, mit denen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) gleich zu Beginn | |
der Islamkonferenz deutlich macht, wer hier die Hosen anhat. „Völliger | |
Unsinn“ sei, was einige TeilnehmerInnen des Gremiums verbreiteten: dass | |
hier nämlich vor allem über Sicherheitsfragen gesprochen werde. Im | |
Gegenteil: „Breit gefächert“ sei der Dialog. Irritierend sind an Friedrich | |
dabei vor allem seine leuchtend rot lackierten Fingernägel. Und auch dass | |
er sich ein schwarzes Kopftuch über sein Haar gelegt hat. Hat Friedrich | |
etwa beschlossen, den Begriff des interkulturellen und interreligiösen | |
Austauschs für sich selbst neu zu definieren? | |
Keineswegs. Denn bei der gut fünfzigköpfigen Versammlung, die sich im | |
prunkvollen Großen Saal des Roten Rathauses zusammengefunden hat, handelt | |
es sich nicht um die offizielle Deutsche Islamkonferenz (DIK) der | |
Bundesregierung. Dazu ist die Mehrheit der TeilnehmerInnen auch viel zu | |
jung: Es sind überwiegend SchülerInnen und Studierende, die sich am | |
Donnerstag zur ersten Jungen Islamkonferenz Berlins getroffen haben. Um die | |
Teilnahme an dem politischen Planspiel mussten sie sich bewerben. Ihre | |
Rolle wurde ihnen dann von den VeranstalterInnen der JIK – der Stiftung | |
Mercator und der Forschungsgruppe Junited der Humboldt-Universität – | |
zugeteilt. | |
So wurde aus Atia Qader Sadiq, 21 Jahre alt, Muslimin und als Tochter | |
pakistanischer Einwanderer in Berlin geboren, eben Hans-Peter Friedrich, | |
56, Oberfranke, Katholik und CSU-Politiker. Sich auf dessen Sicht auf den | |
staatlichen Dialog mit deutschen Muslimen einzulassen sei so etwas wie „ein | |
Kampf im Kopf“, sagt die junge Frau, die Islamwissenschaften sowie | |
Geschichte und Kultur des Vorderen Orients studiert: „Ich muss mich ja | |
immer genau contra zu dem verhalten, was ich eigentlich denke.“ | |
Von außen betrachtet gelingt ihr das schockierend gut: etwa wenn sie als | |
Innenminister die Islamwissenschaftlerin und DIK-Teilnehmerin Tuba Isik – | |
verkörpert von einem jungen Studenten der Politikwissenschaft –, die einen | |
fundierten Vortrag gegen die Reduzierung muslimischer Frauen auf die | |
Opferrolle hält, danach mit den Worten lobt, Deutschland bräuchte „junge | |
Frauen wie Sie, die so gut Deutsch sprechen“. | |
Das sei auch aus ihrer eigenen Erfahrung gespeist, erzählt Atia Quader | |
Sadiq: Als Kopftuch tragende Muslimin sei sie selbst oft mit Vorurteilen | |
konfrontiert. Eine Einsicht, die sie bei der Vorbereitung auf ihre Rolle | |
bei der Konferenz gewonnen hat, formuliert sie perfekt diplomatisch: „Mir | |
ist klar geworden, dass viele PolitikerInnen nur begrenztes Verständnis für | |
Muslime aufbringen, weil sie einen engen Informationshorizont haben.“ | |
Es gibt viele Gründe, warum Esra Kücük von der Mercator-Stiftung 2006 die | |
Junge Islamkonferenz als Spiegel der offiziellen DIK erfunden hat – einer | |
steckt in der Antwort der jungen Muslimin Sadiq: „Es ist die Generation | |
unserer Eltern, die in dem Gremium der Bundesregierung sitzt.“ Die habe | |
ihre Migrations- und Integrationsgeschichte. „Aber die Jugendlichen, die | |
hier groß, hier geboren werden, haben ganz andere Probleme.“ | |
Für die ist auf der JIK Platz. Die ist mehr als ein Nachspielen der | |
Konferenz der Großen und Mächtigen: Hier werden auch Themen diskutiert, die | |
dort wenig Platz haben. Um die interkulturelle Öffnung von Schulen geht es | |
etwa bei der ersten Länderkonferenz in Berlin. Bewusst nimmt das Gremium | |
nicht nur Themen auf, die in engem Bezug zu Religion stehen. Denn die sich | |
um den Islam in Deutschland rankende Debatte sei ja eine | |
„Platzhalterdiskussion“, bei der es eigentlich darum gehe, wie es sich „in | |
diesem Land mit dem demokratischen Prinzip des Schutzes von Minderheiten | |
verhält“, erklärt Naika Foroutan in ihrem Einführungsvortrag zur JIK. | |
Foroutan begleitet mit ihrer Forschungsgruppe JUNITED (Junge islambezogene | |
Themen in Deutschland) das Projekt auf wissenschaftlicher Ebene. Die | |
Dialogforen werden ausgewertet: zum einen, um zu erforschen, wie junge | |
Menschen für gesellschaftliche Teilhabe und politische Partizipation | |
gewonnen werden können. Zum anderen, um die TeilnehmerInnen zu | |
Dialogbeauftragten auszubilden, die in Schulen für interkulturelle | |
Offenheit werben. „Am liebsten würden wir die Jugendlichen zehn Jahre lang | |
begleiten“, sagt Foroutan: „Um zu verfolgen, ob solche Foren dazu | |
motivieren können, dass sie sich weiter am politischen Leben beteiligen.“ | |
Für Marvin Buchholz steht das schon fest: Der Schüler aus Treptow-Köpenick | |
hat sich um die Teilnahme bei der JIK beworben, weil er mal in die Politik | |
will. Buchholz verkörpert Kenan Kolat, den impulsiven Vorsitzenden der | |
Türkischen Gemeinde Deutschland. Persönlich kennt er den nicht – aber „er | |
liegt mir“, sagt Buchholz: „Ich sage auch gern direkt meine Meinung.“ | |
Dass der junge Ostberliner deutscher Abstammung hier in die Rolle eines | |
Vertreters einer Einwandererminderheit schlüpft und sein Mittagessen mit | |
dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle alias Cihangir Böge, | |
türkeistämmiger angehender Kriminalpolizist, einnimmt, ist gewollte | |
Irritation. Das soll auch den politischen Horizont der jungen Leute | |
erweitern. Es klappt, wie Atia Sadiq bereits festgestellt hat: „Wenn ich | |
denken kann wie die andere Seite, kann ich viel besser argumentieren.“ | |
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5 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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