# taz.de -- Diskriminierung vor Gericht: Keine Frage der Verteilung | |
> Drei Jugendliche klagen, weil sie das Gymnasium nach dem Probejahr | |
> verlassen mussten. Schuld soll die ethnische Segregation der Schulklassen | |
> gewesen sein. | |
Bild: Kann es zu viel Migrationshintergrund in einer Klasse geben (Symbolbild)? | |
Ein außergewöhnlicher Fall, den das Verwaltungsgericht am Donnerstag zu | |
verhandeln hatte: Drei SchülerInnen, die das Gymnasium wegen schlechter | |
Noten nach dem Probejahr verlassen mussten, hatten das Land Berlin | |
verklagt, um festzustellen, dass ihre Nichtversetzung rechtswidrig war. | |
Das Kuriose daran: Keiner der drei will auf das Gymnasium zurück. Alle sind | |
mit erheblich verbesserten Noten nun Sekundarschüler. Die Rechtswidrigkeit | |
ihrer sogenannten Abschulung wollten sie dennoch feststellen lassen. Denn | |
die war ihrer Ansicht nach eine Folge von Diskriminierung durch ethnische | |
Segregation der Schulklassen. Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag der | |
SchülerInnen mit Verweis auf die der Schule zur Verfügung stehenden | |
Spielräume bei der Zusammensetzung ihrer Klassen ab. | |
Das Verfahren hatte bereits im Vorfeld Wirbel verursacht – nicht zuletzt, | |
weil der Bürgermeister des betroffenen Bezirks Neukölln, Heinz Buschkowsky | |
(SPD), es vorab in der Bild als „irrste Klage des Jahres“ bezeichnet hatte. | |
Seine Auffassung, dass die Kläger, selbst arabischer, türkischer und | |
bosnischer Herkunft, gegen den ihnen zu hohen Migrantenanteil an ihrer | |
Schule klagten, stimmt – allerdings nur bei sehr vereinfachter Betrachtung. | |
Der Migrantenanteil an dem betroffenen Gymnasium ist mit 36 Prozent eher | |
niedrig. In der Jahrgangsstufe der drei KlägerInnen betrug er 44 Prozent. | |
Diskriminiert fühlten sich die KlägerInnen laut ihrem Anwalt Carsten Ilius | |
nicht durch den generellen Migrantenanteil, sondern durch die von der | |
Schule daraus gebildete Zusammensetzung der Klassen: Während einige einen | |
Migrantenanteil von 13 oder 29 Prozent hatten, waren in ihrer 63 Prozent | |
der Kinder nicht deutscher Muttersprache. | |
Die Schule begründete diese Aufteilung mit der Wahl der zweiten | |
Fremdsprache der SchülerInnen, der Organisation des Religionsunterrichts | |
und den „sozialen Beziehungen“, die begründeten, Kinder aus einer | |
Grundschulklasse auch in der Oberschule zusammenzulassen. Das Gericht | |
musste nun prüfen, ob diese Entscheidungen der Schule für die KlägerInnen | |
nachteilig waren. | |
Buschkowskys Vor-Urteil hatte zur Folge, dass die KlägerInnen und ihre | |
Familien am Donnerstag nicht vor Gericht erschienen. Sie wollten sich vor | |
„dieser Art von Öffentlichkeit“, die der „diffamierende Kommentar“ | |
ausgelöst habe, schützen, so ihr Anwalt. Er bat die anwesenden | |
JournalistInnen ausdrücklich darum, „nicht nach den Familien zu suchen“. | |
Auch der Vorsitzende Richter machte die Vorabberichterstattung zum Thema: | |
wegen eines öffentlichen Auftritts des Anwalts im Rahmen eines Projektes | |
gegen Segregation an Schulen, das derzeit in Berlin von der Open Society | |
Justice Initiative der New Yorker Open Society Stiftung durchgeführt wird. | |
Dort sei die Rede von „strategischer Prozessführung“ gegen segregierte | |
Klassen gewesen, so der Richter, die die Initiative „publikumswirksam | |
begleiten“ wolle. Anwalt Ilius verwies darauf, dass die Klägerfamilien | |
jeden Kontakt zu Medien ablehnten. | |
Tatsächlich war die Klage die erste in Berlin und vermutlich in | |
Deutschland, mit der sich SchülerInnen gerichtlich gegen subjektiv | |
wahrgenommene Diskriminierung wehrten. Bislang gibt es kein spezielles | |
Gesetz gegen Diskriminierung an Schulen. Das 2006 in Kraft getretene | |
Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt im Bildungsbereich | |
Angestellte, nicht aber die Lernenden. Auch die mit dem AGG eingerichtete | |
Antidiskriminierungsstelle des Bundes hatte deshalb kürzlich gefordert, | |
unabhängige Beschwerdestellen für Diskriminierungsfälle im Bildungsbereich | |
einzurichten. Beim Berliner Antidiskriminierungsnetzwerk bezieht sich etwa | |
jede zehnte eingehende Beschwerde auf Diskriminierung an allgemein | |
bildenden Schulen. | |
26 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Alke Wierth | |
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