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# taz.de -- Diskriminierung bei der Jobsuche: Das Foto macht den Unterschied
> Ein Studie zeigt: Wer in Deutschland ein Kopftuch trägt, hat es auf dem
> Arbeitsmarkt schwer. Anonymisierte Bewerbungen könnten da helfen.
Bild: Schlechtere Chancen bei der Jobsuche: Frauen mit Kopftuch.
BERLIN taz | Sevda Yilmaz ist 23 Jahre alt, hat eine Ausbildung zur
Buchhalterin absolviert und ordentliche Zeugnisse. Nun sucht sie eine
Stelle. Doch trotz zahlreucher Bewerbungen wird sie fast nie zum
Vorstellungsgespräch eingeladen. Als sie sich ohne Kopftuch auf dem Foto
bewirbt ist sie deutlich erfolgreicher. Schließlich verschickt sie nochmal
Bewerbungen ohne Tuch und unter dem Namen „Tina Meyer“ – und ist noch
erfolgreicher. Ein Zufall?
Yilmaz gibt es nicht wirklich. Sie ist erfunden und Teil einer Studie, die
Ende des Jahres erscheinen wird und der taz vorab vorliegt. Die Ökonomin
Doris Weichselbaumer von der Uni Linz untersuchte auf diese Weise, ob
Kopftuchträgerinnen in deutschen Unternehmen benachteiligt werden. Dazu
verschickte sie 1500 Bewerbungen mit gleichlautendem Lebenslauf, nur mit
jeweils anderem Foto und Namen ausgestattet, an verschiedene Unternehmen
und zählte die Rückmeldungen.
Das Ergebnis war eindeutig: Während „Meyer“ auf 18 Prozent ihrer
Bewerbungen eine Einladung zum Gespräch erhielt, waren es bei „Yilmaz“ ohne
Kopftuch 13 Prozent – und mit Kopftuch nur drei Prozent. Dabei machte es
keinen Unterschied, wie groß oder international die Firmen sind. Oder, ob
in der Ausschreibung gutes Deutsch gefordert oder auf Kunden- oder
Mitarbeiterkontakt hingewiesen wurde.
„Benachteiligung kann aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht zwei Gründe
haben“, sagt Weichselsbaumer: „Entweder liegt es an einer einfachen
Abneigung gegenüber einer Gruppe. Oder es liegt eine statistische
Diskriminierung vor.“ Das heißt, einer Gruppe wird verallgemeinernd ein
Merkmal – etwa geringere Leistungsfähigkeit – zugeschrieben. Kurz gesagt:
Entweder mögen Arbeitgeber bekennende Muslima nicht. Oder sie halten sie
generell für unproduktiver – zum Beispiel, weil sie fürchten, sie hätten
Sprachprobleme.
## Schnelle Beratung
Dabei ist die Benachteiligung aufgrund von religiösen Merkmalen in
Deutschland sogar strafbar: „Wer das Kopftuch am Arbeitsplatz ohne
besonderen Grund verbietet, verstößt gegen das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz“, erkärt Christine Lüders, Leiterin der
Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Wichtig sei, dass Betroffene sich
schnell beraten lassen. Denn die Frist, in der rechtliche Schritte
eingeleitet werden können, ist mit zwei Monaten extrem kurz.
Dass eine Klage erfolgreich sein kann, zeigt das Beispiel einer jungen
Türkin in Berlin. Aufgrund ihres Kopftuches wurde ihr ein Ausildungsplatz
zur Zahnarzthelferin verwehrt. Das Arbeitsgericht Berlin sprach ihr im
September 2012 daraufhin eine Entschädigung von drei Monatsgehältern zu.
Die junge Frau hatte sich an das Antidiskriminierungsnetzwerk des
Türkischen Bundes in Berlin gewandt. „Oft kommen sehr qualifizierte junge
Frauen wegen solchen Problemen zu uns“, erzählt die Anwältin Maryam
Haschemi, die dort Beratungen anbietet. „Eine Frau war hier, die einen sehr
guten Abschluss in Medizin hatte. Trotzdem hat sie über anderthalb Jahre
keine Stelle bekommen – wegen ihres Kopftuches.“
## Perfektes Deutsch, guter Abschluss
Es handele sich oft um Frauen, die perfekt Deutsch sprechen, einen guten
Abschluss hätten – und trotzdem ausgegrenzt werden. „Die stellen sich dann
doch zu Recht die Frage, was sie noch tun sollen.“
Auch aus unternehmerischer Sicht ist die bisherige Praxis fragwürdig:
„Durch Diskriminierung wird viel Potenzial verschenkt.“, meint
Weichselbaumer. Helfen könnten anonymisierte Bewerbungsverfahren, wie sie
die Antidiskriminierungsstelle in einem Pilotprojekt testet.
Dabei werden Namen, Alter, Foto, Familienstand oder Herkunft im
Bewerbungsschreiben ausgelassen. Lüders ist überzeugt, „dass sich das
Verfahren eines Tages durchsetzen wird. Weil es fairer ist – und weil es
effektiver ist.“
Weichselbaumer fände das gut. Sie bezweifelt aber, dass es in naher Zukunft
dazu kommt. „Ein erster Schritt könnte der Verzicht auf Bewerbungsfotos
sein.“ In anderen Ländern – Großbritannien und die USA zum Beispiel – s…
es völlig unüblich Bewerbungsfotos mitzuschicken.
9 Sep 2013
## AUTOREN
Denis Schnur
## TAGS
Diskriminierung
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Muslima
Foto
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Islam
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Schwerpunkt Frankreich
Kopftuch
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