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# taz.de -- DIW-Chef über Steuererhöhungen: „Dieser Eindruck ist falsch“
> Keine Notwendigkeit für höhere Steuern: Der Chef des Deutschen Instituts
> für Wirtschaft, Marcel Fratzscher, widerspricht den Grünen, den Linken
> und der SPD.
Bild: Förderlich für die Wirtschaft? Von einigen Steuerideen hält der DIW-Ch…
taz: Herr Fratzscher, geht es Deutschland vor der Bundestagswahl im Jahr
2013 ökonomisch tatsächlich super, oder bleibt für die neue Bundesregierung
überhaupt noch etwas zu tun?
Marcel Fratzscher: Die deutsche Wirtschaft scheint zu brummen. Aber dieser
Eindruck ist falsch. Zwar steht Deutschland im Vergleich zu anderen Staaten
relativ gut da, jedoch sollte die Frage sein, ob wir unserem eigenen
Anspruch gerecht werden. Wir sind im Winterhalbjahr knapp einer Rezession
entgangen, und unser Wachstum wird mit etwa 0,4 Prozent in 2013 weiterhin
schwach sein. Wir verzeichnen zwar Erfolge, indem der Staatshaushalt wieder
ins Lot gekommen und die Zahl der Arbeitslosen unter 3 Millionen gesunken
ist. Wir dürfen aber die Kehrseite nicht vergessen. Das Wirtschaftswachstum
seit 2000 war enttäuschend, und heute leben viele Menschen von geringeren
Realeinkommen als vor zehn Jahren.
Warum sind die Einkommen gesunken?
Der Hauptgrund liegt in den fehlenden Investitionen, die zu einem schwachen
Produktivitätswachstum geführt haben. Die öffentliche Hand und die privaten
Unternehmen müssten insgesamt etwa 3 Prozent der Wirtschaftsleistung oder
rund 75 Milliarden Euro jährlich mehr ausgeben, damit die wirtschaftliche
Substanz in Deutschland erhalten bleibt. Zum Beispiel für den
Bildungsbereich stellt der Staat hier weniger Geld zur Verfügung als in
vielen anderen Industrieländern.
Wie sollte man den Bildungssektor verbessern?
Die öffentliche Hand könnte mehr Kindertagesstätten und andere
Einrichtungen frühkindlicher Bildung eröffnen, mehr Personal einstellen und
vor allem die Qualität der Ausbildung erhöhen. Aber es geht auch um die
Verkehrsinfrastruktur. Für die Reparatur und den Ausbau von Straßen,
Schienen und Wasserwegen fehlen hierzulande pro Jahr etwa 10 Milliarden
Euro. Das sind einige der Ursachen, warum die gesamtwirtschaftliche
Produktivität in Deutschland in den vergangenen Jahren so wenig wuchs. Auch
deshalb konnten es sich manche Unternehmen nicht leisten, die Löhne der
Beschäftigten nennenswert anzuheben.
Welche Gründe sehen Sie für das niedrige Niveau der Investitionen?
Eine wichtige Rolle spielte die hohe Verschuldung in den öffentlichen
Haushalten, die man mit Ausgabendisziplin und Schuldenbremse reduzieren
wollte. Und im privaten Bereich haben viele deutsche Unternehmen
überproportional im Ausland investiert, weniger im Inland.
Wie kann man Unternehmen animieren, mehr Kapital im Heimatland zu
investieren?
Dabei geht es darum, dass die Firmen die Arbeitskräfte finden, die sie
brauchen. Ein Mangel an bestimmten Fachkräften, wie er sich in Deutschland
abzuzeichnen beginnt, ist hinderlich. Weiterhin ist Deutschland nur dann
attraktiv, wenn es eine leistungsfähige Verkehrs- und
Kommunikationsinfrastruktur bietet. Und die Politik sollte der
Energiewirtschaft, wie anderen Sektoren, einen verlässlicheren Rahmen
geben, damit die Unternehmen besser planen können.
Haben die Regierungen während der vergangenen zehn Jahre einen falschen
Fokus gesetzt, indem sie vor allem versuchten, die Sozial- und Lohnkosten
zu begrenzen?
Diese Politik war grundsätzlich richtig, wenngleich zahlreiche der neuen
Arbeitsplätze im Niedriglohnsektor entstanden sind. Ein großer Erfolg ist
es, dass die Arbeitslosenquote trotz zweier tiefer Finanzkrisen weiter
gesunken ist. Zusätzlich hätten wir aber eine bessere Investitionspolitik
gebraucht, um bessere Arbeit und Lohnentwicklungen zu ermöglichen. Dies
sollte man jetzt nachholen.
Wie können höhere Investitionen dazu beitragen, dass die Löhne im
Niedriglohnbereich steigen?
Wenn die gesamte Volkswirtschaft produktiver wird, nimmt die Nachfrage auch
im Dienstleistungssektor zu, der besonders viele niedrig bezahlte
Arbeitsverhältnisse aufweist. Damit können auch dort die Löhne und
Einkommen wachsen. Zweitens ergibt sich dadurch die Möglichkeit, dass
Beschäftigte von Teilzeit- auf Vollzeitstellen wechseln, was ebenfalls mit
besseren Verdiensten einhergeht.
SPD, Grüne und Linke wollen die Steuern für Bezieher hoher Einkommen und
Kapitalerträge anheben, unter anderem um mehr Geld in Bildung zu stecken.
Ließe sich so das Investitionsprogramm finanzieren, das Sie vorschlagen?
Für Steuererhöhungen sehe ich keine Notwendigkeit. Den Berechnungen des
Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) zufolge werden die
Überschüsse der öffentlichen Haushalte bis 2017 auf 1 Prozent des
Bruttoinlandsprodukts steigen. Das wären knapp 30 Milliarden Euro jährlich.
Derartige Summen sollten reichen, um gleichzeitig die Schulden abzubauen
und die wichtigen Investitionen zu tätigen. Die übrigen 45 Milliarden Euro,
die die Investitionslücke füllen, müsste der private Bereich aufbringen.
Gehört auch ein Schuldenschnitt für Griechenland zu den Herausforderungen,
die die neue Bundesregierung nach der Wahl anpacken muss?
Die Staatsschulden in Griechenland sind immer noch nicht nachhaltig. Die
dortige Regierung wird im kommenden Jahr vor einer Finanzierungslücke
stehen. Denn das Wachstum ist schwächer als anvisiert. Viele Ziele des
zweiten Hilfsprogramms wurden bisher nicht erreicht. Bevor es Ende 2014
ausläuft, muss man sich überlegen, wie es weitergeht. Dafür existieren
mehrere Optionen: ein drittes Kreditprogramm, eine Umschuldung mit
verlängerten Laufzeiten oder ein Schuldenschnitt, bei dem ein Teil der
Schulden gestrichen würde.
Wie viel Geld müsste Deutschland im Falle eines Schuldenschnitts beitragen?
Das hängt vom Anteil der Schulden ab, der annulliert würde. Insgesamt hat
Deutschland direkt und indirekt über 80 Milliarden Euro an Griechenland
vergeben. Man kann nur spekulieren, wie hoch ein Schuldenschnitt sein
müsste, da dies von vielen unsicheren Faktoren abhängt. Aber er würde
Europa und Deutschland sicherlich merklich belasten.
7 Sep 2013
## AUTOREN
Hannes Koch
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Steuererhöhungen.
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