# taz.de -- Billiger ist nicht nur gut: „Deflation kann teuer werden“ | |
> In vielen Euro-Ländern sinken die Preise von Mieten, Textilien und | |
> Lebensmitteln. Höchst gefährlich, warnt Ökonom Marcel Fratzscher. | |
Bild: In Italien fallen die Preise für Lebensmittel – aber mittelfristig kan… | |
taz: In Euroland herrscht immer noch eine leichte Inflation, die Preise | |
steigen mit 0,8 Prozent. Trotzdem wird viel über die Gefahr der Deflation – | |
sinkender Preise – geredet. Wie hoch ist das Risiko wirklich? | |
Marcel Fratzscher: In einigen Eurostaaten – Italien, Frankreich, Spanien | |
und Griechenland – gehen bereits jetzt die Preise für knapp ein Drittel der | |
verkauften Güter und Dienstleistungen zurück. Beispielsweise werden dort | |
Mieten, Textilien oder Lebensmittel billiger. Würde sich die Deflation | |
durchsetzen, kann sie sehr hohe Kosten verursachen. | |
Warum sind Preisrückgänge auf breiter Front gefährlich? | |
Wenn sich solche Erwartungen bei den Verbrauchern verstetigen, tendieren | |
diese dazu, Einkäufe zu verschieben: Morgen bekommen sie das Auto ja | |
vielleicht billiger als heute. Die Nachfrage geht zurück. Deshalb sehen | |
auch Unternehmen weniger Anlass zu investieren. Das Wachstum sinkt, eine | |
Abwärtsspirale in die Rezession kann entstehen. Japan war in den 1990er und | |
2000er Jahren in einer solchen Situation. Herauszukommen gelingt da oft nur | |
zu einem enormen Preis, etwa indem sich der Staat massiv verschuldet. | |
Können sinkende Preise nicht auch sinnvoll sein? | |
Natürlich müssen manche Preise zurückgehen. Laptops und Smartphones werden | |
auch deshalb billiger, weil die Produktivität steigt. Problematisch wird | |
es, wenn der Rückgang Güter und Dienstleistungen betrifft, bei denen das | |
nicht der Fall ist. | |
Wie groß ist die Deflationsgefahr in Europa? | |
Der Internationale Währungsfonds schätzt die Wahrscheinlichkeit auf 20 | |
Prozent. Ein erhebliches Risiko: Stellen Sie sich vor, Sie wüssten, dass | |
Sie zu 20-prozentiger Wahrscheinlichkeit einen Unfall mit Ihrem Auto bauen. | |
Sie würden Ihren Wagen wohl stehen lassen. So müssen Europäische | |
Zentralbank und Regierungen jetzt ziemlich aufpassen. Ich nehme aber an, | |
dass die Deflation abgewendet und die Inflation in einigen Jahren wieder | |
auf Normalwerte von 1,5 bis 2 Prozent anziehen wird. | |
Was soll die EZB also bei ihrer Ratssitzung am heutigen Donnerstag tun? | |
Sie wird ernsthaft darüber nachdenken, welche Optionen sie nutzen kann. So | |
wäre es möglich, den Leitzins von jetzt 0,25 Prozent noch einmal zu senken. | |
Sie könnte auch negative Einlagezinsen für das Kapital festsetzen, das | |
Geschäftsbanken bei ihr hinterlegen. Wenn die Institute mit diesen Einlagen | |
keinen Gewinn, sondern Verlust machen, erhöht das ihre Motivation, den | |
Privathaushalten und Unternehmen mehr Kredite zu geben. Eine weitere | |
Möglichkeit der EZB: Sie kann den Banken große Mengen Geld zu günstigen | |
Bedingungen anbieten – in der Hoffnung, dass durch das größere Angebot das | |
Wachstum anzieht und die Preise steigen. Und die Zentralbank könnte direkt | |
private und öffentliche Anleihen vom Markt aufkaufen, um so die | |
Finanzierungsbedingungen zu verbessern und die Fragmentierung zu | |
reduzieren. | |
Nun kommt die Ukraine-Krise dazu. Vielleicht werden Sanktionen gegen | |
Russland den Handel der EU mit den östlichen Nachbarn stören. Ergibt sich | |
da nicht eine zusätzliche Dringlichkeit, dass die EZB eingreift? | |
Es ist noch völlig offen, wie sich die Ukraine-Krise wirtschaftlich auf die | |
Eurozone auswirken wird, aber die Risiken sind groß. Die EZB wäre in der | |
Tat in der Pflicht, wenn diese Krise die Finanzstabilität der Eurozone | |
gefährden sollte. | |
Nach dem Börsencrash 1929 lähmte eine lange Depression und Deflation die | |
Ökonomien in den USA und Europa. Haben wir aus der Geschichte gelernt? | |
Eindeutig ja. Damals betrieben die Zentralbanken eine viel zu restriktive | |
Geldpolitik. Nicht nur der bis vor Kurzem amtierende Präsident der | |
US-Notenbank, Ben Bernanke, zog aus den historischen Ereignissen den | |
Schluss, es diesmal anders zu machen. Auch die Europäische Zentralbank und | |
ihr Chef Mario Draghi stellen derzeit ausreichend Geld zur Verfügung, damit | |
die Wirtschaft sich erholen kann. | |
7 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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