# taz.de -- Ökonomische Krise in Spanien: „Wir rücken näher zusammen“ | |
> Geräumt, ohne Job und ohne Geld. Drei Frauen kämpfen im Madrider | |
> Stadtteil Malasaña um ihre Zukunft. Zu Besuch in einem besetzten Haus. | |
Bild: Studentin Ariana Paredes, 23, Maskenbildnerin Ebba Corbeira, 40, und Buch… | |
MADRID taz | Die Nummer 33 in der Corredera Baja de San Pablo im Madrider | |
Stadtteil Malasaña erzählt die Geschichte der Krise. Der fünfstöckige | |
Altbau wurde aufwändig saniert. Die kleinen, feinen Apartments in der | |
historischen Altstadt sollten viel Geld einbringen. Doch die Kundschaft | |
blieb aus. | |
Die Arbeiten waren gerade fertig, als Spaniens Immobilienblase platzte. Die | |
Caixa, die große Bank aus dem nordostspanischen Katalonien, blieb auf ihren | |
Wohnungen sitzen. Bewohner hat das Haus jetzt dennoch. Am Abend vor | |
Dreikönige rückte ein bunter Haufen an und besetzte die 15 Appartments. | |
„La Manuela“ tauften sie das Gebäude, so wie der Vorname der Frau, die dem | |
Stadtteil Malasaña den Namen gab. Sie war eines der Opfer während des | |
Volksaufstandes gegen die französische Besatzung am 2. Mai 1808. | |
Obra Social – Sozialwerk – heißt die Organisation, die hinter der Besetzung | |
steckt. Es ist eine Initiative der Plattform der von den Hypotheken | |
Betroffenen (PAH), der Opfer von Zwangsräumungen. Das Sozialwerk besetzt | |
leer stehende Wohnblocks, um Opfer der mittlerweile über 400.000 Räumungen | |
unterzubringen. Das Haus im Zentrum Madrids ist das zweite Objekt dieser | |
Art in der spanischen Hauptstadt. | |
Im ganzen Land zählt das Sozialwerk Dutzende solcher Projekte. Die Gruppen | |
bereiten sich monatelang vor, lernen Konfliktbewältigungsstrategien, | |
Techniken der Selbstverwaltung und passiven Widerstand für den Fall einer | |
Räumung. So auch die 13 Frauen, ein Mann und zwei Kinder im La Manuela. | |
## „Der Strom wurde vor einer Woche gekappt“ | |
„Wir sind eine Mischung aus prekär lebenden jungen Menschen und solchen, | |
die ihre Miete oder Kredite nicht mehr bezahlen konnten und geräumt | |
wurden“, erklärt Ariana Paredes. Die 23-jährige Studentin der Sozialarbeit | |
sitzt zusammen mit zwei Nachbarinnen, der arbeitslosen Maskenbildnerin Ebba | |
Corbeira, 40, und der arbeitslosen Buchhalterin Marisa, 62, die ihren | |
Nachnamen nicht nennen mag, in ihrer Küche. | |
Es ist kühl. „Der Strom wurde vor einer Woche gekappt“, erklärt Paredes. | |
Sie kocht auf einem Campingherd und duscht bei Freunden. Eine große Flasche | |
mit heißen Wasser wandert von Frau zu Frau. So bleiben zumindest die Hände | |
warm. | |
Adriana Paredes zählt zur Kategorie der prekären jungen Menschen. „Mein | |
Vater ist Maler und wurde infolge der Krise auf dem Bau im Sommer | |
arbeitslos. Meine Mutter hat Krebs und ist in Behandlung“, erzählt Paredes, | |
die aus dem Baskenland stammt. „Kaum war das letzte Sommersemester um, | |
riefen sie mich an und sagten mir, dass sie kein Geld mehr hätten, um mein | |
Studium zu finanzieren.“ Die junge Frau gab ihr Zimmer auf, zog erst zu | |
einem Freund und schloss sich dann der Besetzergruppe an. „Ich habe einfach | |
kein Geld für Miete“, sagt sie. | |
Die knapp 400 Euro, die sie am Wochenende in einer Kneipe verdient, reichen | |
gerade einmal fürs Essen und für die Studiengebühren, die wegen der | |
Sparpolitik auf 2.500 Euro für das letzte Studienjahr gestiegen sind. Im | |
Mai hat Paredes das Examen. „Hin und wieder stecken mir die Großeltern | |
etwas zu“, erzählt sie weiter. Ihre Eltern wissen nicht, dass sie als | |
Besetzerin lebt. Ihnen hat sie erzählt, dass ein Freund, der ins Ausland | |
gegangen sei, ihr die Wohnung überlassen habe. | |
## „Es ist eine Schande, was aus Spanien geworden ist“ | |
Paredes ist die „wohlhabendste“ der drei in der Küche versammelten Frauen. | |
Ebba Corbeira verdient im Monat gerade noch 200 Euro. „Ich stehe dafür | |
Modell in einer Kunstakademie“, berichtet sie. Vor der Krise, als die | |
Privatfernsehsender allerlei Serien und Shows produzierten, verdiente sie | |
als Maskenbildnerin 250 Euro an einem Tag. Sie hat ihre Wohnung aufgeben | |
müssen. „Ich habe selbst meinen Sohn verloren“, sagt sie mit gedämpfter | |
Stimme. Der 13-Jährige lebt bei ihrem Exlebenspartner und bei den | |
Großeltern. | |
„Es ist eine Schande, was aus Spanien geworden ist“, mischt sich Marisa | |
ein. Vor drei Jahren hat sie ihren Job in der Verwaltung in einer Gemeinde | |
im Norden der Hauptstadt verloren. Damals war sie 59. „Es gibt keine | |
Zukunft für Menschen wie mich“, sagt sie. Arbeitslosengeld bekommt sie | |
keines mehr. Nachdem sie fast ein Jahr Miete schuldete, kam der | |
richterliche Räumungsbeschluss. Marisa ging freiwillig, bevor | |
Gerichtsvollzieher und Polizei anrückten. | |
„Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so leben muss“, erklärt die Frau, | |
die einst viel weiter oben war. Das war vor 2001, bevor sie nach einer | |
Trennung aus den USA nach Spanien zurückkam. Geblieben ist nach dem Studium | |
ihres Sohnes, der nach wie vor in den Staaten lebt, nichts. | |
Erstaunlicherweise gewinnen alle drei der verzweifelten Situation etwas | |
Positives ab. „Wir rücken näher zusammen“, sagt Paredes und denkt an die | |
Großeltern, die ihr helfen, und an die Mutter, der sie selbst ab und an ein | |
paar Euro ins Baskenland schickt. „Es sind die menschlichen Netzwerke, die | |
wir aufbauen“, fügt Corbeira hinzu. Und Marisa träumt von einer Welt, in | |
der teilen statt Wettbewerb die sozialen Beziehungen bestimmt. | |
7 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Reiner Wandler | |
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