# taz.de -- „Berlin Music Week“: Die Mucke flasht wieder | |
> Auf der „Berlin Music Week“ trifft sich die deutsche Pop-Industrie. Die | |
> Krise ist Vergangenheit – und nicht nur die Majors boomen. | |
Bild: Das Festival als Markenkern – Mieze von MIA beim Berlin Festival. | |
Die Branche hat die Krise hinter sich. Das ist die gute Nachricht. Zum | |
Start der „Berlin Music Week“, der selbst erklärten Leistungsschau der | |
deutschen Musikindustrie, verkündete Universal Music, Marktführer der drei | |
verbliebenen Majorlabels, das beste Ergebnis seiner Unternehmensgeschichte. | |
Von schwarzen Zahlen hat man seit 1999 von den Großen im Gewerbe nicht mehr | |
gehört. Weil sie sich damals nicht schnell genug mit den digitalen | |
Geschäftsmodellen arrangierten, war der Absturz unausweichlich. Nun hat | |
Universal ein Umsatzplus von 1,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr erzielt. | |
Auch dank der Übernahme des Konkurrenten EMI hat der Konzern seine | |
Vormachtstellung auf dem Markt ausgebaut. | |
Und nicht nur die Majors boomen, in Berlin ist die Musikbranche längst zur | |
Schlüsselindustrie geworden. 2012 setzte sie 600 Millionen Euro um. Die | |
Musik füllt nicht nur die Hauptstadtkasse, sie ist auch wichtig fürs Image. | |
Mit Streaming-Angeboten bietet die Musikindustrie den illegalen Downloads | |
im Netz inzwischen ernsthaft Paroli. Universal behauptet sogar, die | |
Musikwirtschaft habe sich zum Vorbild für andere Contentbranchen | |
entwickelt. Jedenfalls hat es das Digitalwachstum geschafft, Rückgänge des | |
Geschäfts mit physischen Tonträgern (CDs, Vinyl) aufzufangen. | |
## Kleine Labels tun sich schwer | |
Zusammen liegen Universal, Sony und Warner inzwischen bei 75 Prozent | |
Marktanteil: ein Oligopol. Die Hälfte des Umsatzes bestreiten die Majors | |
mit der Pflege der Backkataloge, also der bereits veröffentlichten Werke | |
von eingeführten Künstlern. Kleine Labels, die unbekannten Künstlern eine | |
Chance geben, tun sich da schwer. „Man sieht hier viele durchgebrandete | |
Events, von denen wir uns explizit abgrenzen“, erklärte etwa Arthur Schock | |
vom Hamburger Indielabel Audiolith auf der Music Week. | |
Auf die Eventisierung von Musik nimmt sein Label ironisch Bezug. „Um den | |
Berliner Ostbahnhof aufzuwerten“, schenkte Audiolith am Donnerstag auf der | |
schattigen Rückseite lettischen Cognac vor der Imbissbude „Onkel Vadim“ | |
aus, in nächster Nähe zu berühmten Clubs wie dem Berghain. | |
Im Vergleich zum Geschäftsgebaren von Technologieunternehmen wie Napster | |
oder Servicefirmen wie Ticketmaster, die ihren Umsatz mit dem Onlineverkauf | |
von Konzertkarten machen, seien Majorlabel fast noch harmlos, findet Schock | |
und spielt damit auf die zunehmende Bedeutung des Livegeschäfts und die | |
Tendenz zu dessen Monopolisierung an. | |
Audiolith ist ein Ersatzfamilienbetrieb. Schock betreibt ihn zusammen mit | |
Lars Lewerenz und zwei Freunden. Sie haben Künstler wie Feine Sahne | |
Fischfilet oder Egotronic aufgebaut. Auch dank der integrierten | |
Booking-Agentur. „Unser Erfolg beruht darauf, dass wir durchs Internet ein | |
funktionierendes soziales Gefüge geschaffen haben“, erklärte Lewerenz. | |
## Das Format ist egal | |
Audiolith wurde erst in Zeiten der Krise gegründet, das Label weiß mit | |
knappen Kassen zu arbeiten. „Das Format ist vollkommen egal. Hauptsache, | |
die Mucke flasht. Es geht um Inhalte,“ beharrte Lewerenz. | |
Das ist eine Strategie, die völlig konträr zum Markt arbeitet, der dem | |
Content fast gleichgültig gegenübersteht, ihn aber schulterzuckend und mit | |
Einfluss in andere Dimensionen schickt. Ersichtlich etwa auf dem Panel | |
„Zusammenhänge von Medien und Festivals“ am Donnerstag. Einer der Redner, | |
Mark Löscher, arbeitet für die Hoerstmann Unternehmensgruppe (23,5 | |
Millionen Euro Umsatz 2011). Sie gibt das Musikmagazin Intro heraus, | |
veranstaltet Tourneen und große Festivals (z. B. „Melt!“ und das „Berlin | |
Festival“ für bis zu 25.000 Zuschauer). Das Festival sei der Markenkern, | |
kein Line-up, betonte Löscher. | |
Niemand fragt, was aus kritischem Musikjournalismus angesichts der weiter | |
zunehmenden Kommerzialisierung wird. Chris Kaskie, Firmenchef des | |
US-Internetmusikmagazins [1][Pitchfork] und ebenfalls Veranstalter großer | |
Festivals in Chicago und Paris, erzählte, wie es durch die | |
Berichterstattung im Magazin auch gelinge, aus den Liveveranstaltungen | |
„Lebenswelten“ für das Publikum zu machen. Trotzdem beteuerte er, die | |
Einnahmen daraus seien nur Nebenprodukt des Qualitätsjournalismus von | |
Pitchfork. | |
„Ich hoffe, Sie haben genau hingehört“, sagt der Jurist und Moderator | |
Martin Schaefer beim Gespräch über den digitalen Musikmarkt und die Macht | |
großer Konzerne. „Das war eine Einladung, sich beim Ministerium zu melden. | |
Die brauchen Fakten, um Politik zu machen.“ Melden kann man sich bei Silvia | |
Leipelt, zuständig für Verbraucherschutz im Bundesministerium für | |
Wirtschaft und Technologie. Das gilt etwa für kleine Indie-Labels, aber | |
auch für Künstler, wenn sie Wettbewerbsverstöße bemerken. Bei der Tendenz | |
zu Oligopolen in der Branche nehmen die zu. | |
## Neue Währung Daten | |
Silvia Leipelt spricht in diesem Zusammenhang sogar von Marktversagen, wie | |
viele andere auch. Etwa weil Amazon (6,8 Milliarden Euro Umsatz pro Jahr) | |
aufgrund seiner Macht unlautere Deals abschließt. Regulative Mechanismen | |
wie Fusionskontrolle setze man ohnehin ein, so Leipelt – auch im Falle | |
Amazon schaue man genau auf Kartell- und Wettbewerbsrecht. | |
Vielen Künstler entgeht, dass es im Netz gar nicht um ihre Musik geht, | |
sondern darum, mit ihr Daten zu sammeln. Diese Daten bezeichnet Tim Renner, | |
ehemals Manager von Universal und heute bei Motor Music, als „neue | |
Währung“. Zusammen mit seiner Kollegin Sarah Wächter veröffentlicht er | |
demnächst ein neues Buch zur Musikökonomie. | |
Renner, der jahrelang mit dem Untergang der Musikindustrie kokettiert hat, | |
trat am Freitag wie ein Krisengewinnler auf und referierte über | |
crossmediale Geschäftsmodelle. Immerhin, die von ihm lange totgesagte | |
Industrie lebt. Doch was wird aus der Kunst, die sie vermarktet? | |
7 Sep 2013 | |
## LINKS | |
[1] http://pitchfork.com/ | |
## AUTOREN | |
Jens Uthoff | |
Julian Weber | |
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