# taz.de -- Kommentar Umfragetief Grüne: Mut zum Verzicht | |
> Trotz sinkender Umfragewerte sollten die Grünen offensiv für Konsum in | |
> Maßen werben. Der Veggie-Day ist da eine gute Idee. | |
Bild: Fleischmassen oder Fleisch in Maßen? | |
Die Grünen fordern Verzicht. Und verzichten auf Wähler. Aktuellen Umfragen | |
zufolge liegen sie nur noch bei 9 bis 11 Prozent. Vor wenigen Monaten waren | |
es noch deutlich mehr. Nicht zuletzt die Debatte über einen Veggie-Day, | |
einen fleischfreien Tag pro Woche in Deutschlands Kantinen, könnte die | |
Grünen Stimmen gekostet haben. Die Vorwürfe sind gewaltig. Auf Facebook | |
werden die Grünen schon mal als „Ökofaschisten“ beschimpft. | |
Der Veggie-Day, der übrigens nie Gesetz, sondern nur Anregung sein sollte, | |
ist wieder zu einem wichtigen Wahlkampfthema geworden. Denn die Idee steht | |
symbolisch für eine zentrale Frage: Wollen wir überhaupt Verzicht üben, und | |
wenn ja, wie kann uns das gelingen? Union und FDP werden nicht müde, im | |
Wahlkampf zu betonen, wie genussfeindlich grüne Politik sei. Sie | |
inszenieren die Grünen als Moralapostel, die alles verbieten wollen, was | |
irgendwie Spaß macht. | |
Doch Fleischverzicht, die Kernidee des Veggie-Days, ist kein Ökothema für | |
Ökospinner. Weniger Fleisch zu konsumieren wäre ein wichtiges Signal an | |
andere Länder: Ihr seid uns nicht egal! Denn der Konsum tierischer Produkte | |
verschlimmert den globalen Hunger. Über 800 Millionen Menschen, vor allem | |
Kinder, hungern jeden Tag. Das heißt: Jeder neunte Mensch auf der Welt wird | |
nicht satt. Besonders betroffen sind Säuglinge und Kleinkinder, die an den | |
Folgen von Unterernährung sterben. | |
Sinkt der Fleischkonsum, können Menschenleben gerettet werden. Rinder | |
konkurrieren mit Menschen um Nahrung. Auf Feldern, wo Futtermittel für | |
Tiere angebaut werden, könnte auch Getreide für Menschen wachsen. Weltweit | |
wird Soja, ein wichtiges Futtermittel für Nutztiere, auf etwa 100 Millionen | |
Hektar angebaut. Das entspricht etwa der dreifachen Fläche der | |
Bundesrepublik. Oftmals wird dafür mit aggressiven Pestiziden jede andere | |
Regung der Natur im Keim erstickt. Die Folgen für die dort lebende | |
Bevölkerung sind verheerend. | |
Was können wir tun? Verzichten! Wer das laut ausspricht, wird abgestraft. | |
Alle ökologischen Bewegungen sind schön und gut, aber wenn es darum geht, | |
das persönliche Verhalten zu ändern, dann schauen viele gerne weg. Genau | |
das bekommen die Grünen jetzt zu spüren. | |
## | |
## Die Grünen müssen sich entscheiden | |
Die Partei befindet sich damit mehr denn je in einem Dilemma: Wie stark | |
darf sie mit ihrem ökologischen Profil Wahlkampf machen? So richtig laut | |
traut sich kurz vor der Wahl niemand auszusprechen, dass die Bevölkerung in | |
den Industriestaaten ihren Konsum einschränken müsste. Dabei ist es doch | |
die Aufgabe Europas, im Kampf gegen den Welthunger eine Vorreiterrolle zu | |
spielen. Europa muss sich den Folgen von Nahrungsmittelspekulationen, | |
Agrarsubventionen und Fleischkonsum stellen. Das muss politisch gewollt | |
sein, und das wollen in Deutschland derzeit am ehesten die Grünen. | |
Fleischverzicht ist damit kein Randthema für Spinner, sondern ein wichtiger | |
Schritt auf dem Weg zu mehr globaler Gerechtigkeit. | |
Die Grünen müssen sich jetzt, so kurz vor der Wahl, entscheiden: Entweder | |
versuchen sie, alle Ideen im Wahlprogramm, die mit dem Thema zu tun haben, | |
klein zu halten. Das funktioniert - wie die Diskussion über den Veggie-Day | |
zeigt - eher schlecht. Oder sie werben offensiv mit dem Thema. Es bleibt | |
noch mehr als eine Woche, um WählerInnen zu überzeugen, dass Verzicht keine | |
Schnapsidee, sondern der einzige Weg zu einem gesunden Planeten ist. Was | |
beim Atomausstieg geklappt hat, kann auch in der Ernährungspolitik | |
funktionieren. Vielleicht sogar schon bald. | |
12 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Felix Hütten | |
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