| # taz.de -- Hunger in Indien: Kampf gegen die „nationale Schande“ | |
| > Mit einem gigantischen Hilfsprogramm will die indische Regierung den | |
| > Hunger bekämpfen. Dessen Ursachen aber werden ausgeblendet. | |
| Bild: Genug zu essen haben nicht alle: Jedes dritte unterernährte Kind der Wel… | |
| DELHI taz | Das Vorhaben ist so gigantisch wie ambitioniert. Mit einem | |
| Gesetz und einem darauf aufbauenden Hilfsprogramm will Indiens Regierung | |
| die Ernährungssicherheit der Bevölkerung gewährleisten. Das Unterhaus | |
| debattierte am Montag kontrovers über das Gesetz namens „National Food | |
| Security Bill“ und stimmte noch am Abend dafür. Das Oberhaus soll in den | |
| nächsten Tagen darüber befinden. Beobachter rechnen mit der Zustimmung | |
| beider Kammern. Auch der Präsident muss das Programm noch billigen. | |
| Die Kosten des Vorhabens beziffert die Regierung für das laufende | |
| Finanzjahr auf umgerechnet 15 Milliarden Euro. Für die nächsten Jahre wird | |
| mit höheren Ausgaben gerechnet. Adressaten sind rund zwei Drittel der 1,2 | |
| Milliarden Inder – und damit weit mehr Menschen, als im Rahmen aller | |
| bisherigen Sozialprogramme unterstützt werden. Jede bedürftige Familie soll | |
| demnach monatlich bis zu 35 Kilogramm stark subventioniertes Getreide | |
| kaufen können. Ein Kilo Reis soll für 3 Cent angeboten werden, Weizen für 2 | |
| Cent. | |
| Am Bedarf besteht kein Zweifel. Im aktuellen Welthunger-Index, der von | |
| mehreren Nichtregierungsorganisationen erstellt wird, rangiert Indien auf | |
| einem der hinteren Plätze. Die Lage im Land wird als „sehr ernst“ | |
| beschrieben. Nach Schätzungen der Vereinten Nationen leben mehr als 400 | |
| Millionen Inder unterhalb der Armutsgrenze, einige hundert Millionen nur | |
| knapp darüber. | |
| Wissenschaftler veröffentlichten Anfang 2012 zudem eine Studie, nach der 42 | |
| Prozent der indischen Kinder unterernährt sind. Damit lebt jedes dritte | |
| unterernährte Kind der Welt in Indien. Premierminister Manmohan Singh | |
| nannte das eine „nationale Schande“. | |
| ## Kritik an dem Gesetz | |
| Vor diesem Hintergrund – und mit Blick auf die 2014 anstehenden | |
| Parlamentswahlen – beschloss die von der Kongresspartei geführte Regierung | |
| den massiven Ausbau der staatlichen Hilfe. Ein erster Gesetzentwurf wurde | |
| dem Parlament Ende 2011 vorgelegt. Opposition und Zivilgesellschaft mahnten | |
| zahlreiche Änderungen an, die in der aktuellen Fassung berücksichtigt | |
| wurden. | |
| „Wir wollen dieses Hilfsprogramm, damit künftig kein Kind mehr hungrig zu | |
| Bett gehen muss“, erklärte die Kongressparteichefin Sonia Gandhi. | |
| Verantwortlich für die Umsetzung sind die Bundesstaaten, die dafür ein Jahr | |
| lang Zeit bekommen. In der von der Kongresspartei regierten | |
| Hauptstadtregion Delhi sowie in Haryana und Uttarakhand wurden die | |
| Programme bereits kürzlich auf den Weg gebracht. | |
| Doch es gibt vehemente Kritik an dem Gesetz. „Das ist zwar ein kleiner | |
| Schritt in die richtige Richtung, auch weil die Menschen ihr Recht auf | |
| Lebensmittelhilfen und damit ihr Recht auf Nahrung nun einklagen können“, | |
| sagt Joachim Schwarz, Regionalleiter der Deutschen Welthungerhilfe. | |
| „Problematisch ist jedoch, dass das Gesetz auf den bestehenden | |
| Hilfsstrukturen wie dem Public Distribution System basiert. Und die | |
| funktionieren nicht besonders gut.“ So stünden Korruption, Ineffizienz und | |
| die oft willkürliche Auswahl von Begünstigten einer gerechten Verteilung | |
| von Grundnahrungsmitteln im Weg. | |
| ## Millionen Nutznießer der Sozialprogramme | |
| ## | |
| Neben den vorhersehbaren Problemen bei der Umsetzung bemängelt Schwarz an | |
| dem neuen Gesetz auch, dass es die Ursachen des Hungers völlig ausblendet. | |
| Es gehe nur um Hilfe und gar nicht darum, die Ernährungssituation in den | |
| betroffenen Regionen nachhaltig zu verbessern – etwa durch die Steigerung | |
| der Produktivität in der Landwirtschaft oder durch die Schaffung neuer | |
| Arbeitsplätze. | |
| „Mit dem Gesetz wird nichts gegen das Kränkeln der Wirtschaft getan, | |
| sondern nur ein Sicherheitsnetz für arme Leute geknüpft“, sagt Schwarz. | |
| „Was wir Hilfe zur Selbsthilfe nennen, ist nicht enthalten.“ | |
| Die Indische Zentralbank (RBI) äußert ähnliche Bedenken. Die stetig | |
| steigenden Kosten für Sozialprogramme verhinderten wichtige Investitionen | |
| in anderen Bereichen wie der Landwirtschaft, heißt es. | |
| Zudem erhöhe die großzügige Subventionspolitik den Druck auf die | |
| Staatskasse, nicht zuletzt angesichts der aktuellen wirtschaftlichen | |
| Probleme mit einer geschwächten Rupie und einer anhaltend hohen Inflation. | |
| Auch Politiker der Opposition mahnten Haushaltsdisziplin und | |
| Wirtschaftsreformen an. Die Regierung allerdings zeigte sich von der Kritik | |
| unbeeindruckt – auch weil die Millionen Nutznießer der Sozialprogramme ihr | |
| 2014 die Wiederwahl sichern könnten. | |
| 27 Aug 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Mentschel | |
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