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# taz.de -- Debatte Kriegsrhetorik: Krieg ist Pop
> Um Soldaten ins Gefecht zu schicken, braucht es in Demokratien
> Zustimmung. Die ist leicht zu haben, wenn die Begründung nur eingängig
> genug ist.
Bild: Ernste, betroffene Gesichter gehören unbedingt zum Spiel – Pressekonfe…
Es gibt den Krieg – und es gibt das Sprechen vom Krieg. In einer Demokratie
ist das Sprechen vom Krieg Moden unterworfen. Wenn es um Einsätze gegen
einsame Herrscher geht, die ein Volk unterdrücken und massakrieren,
Herrscher wie der syrische Präsident Baschar al-Assad, dann gibt es klare
Worte von Angela Merkel, zum Beispiel diese: „Jeder, der einen
Militäreinsatz als letztes Mittel ablehnt, schwächt den Druck, den es auf
Diktatoren aufrechtzuerhalten gilt.“
Man muss nach diesen Worten nur etwas suchen – sie gelten nicht Assad. Sie
sind nachzulesen in der Washington Post vom 20. Februar 2003, in einem
Gastbeitrag von Angela Merkel – damals CDU-Vorsitzende und
Oppositionsführerin.
Der amerikanische Präsident, George W. Bush, bereitete gerade einen
Einmarsch in den Irak vor. Einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, an dem
sich die rot-grüne Bundesregierung nicht beteiligen wollte. Anders als
Angela Merkel, sie signalisierte dem amerikanischen Präsidenten: Mit mir
als Bundeskanzlerin wäre Deutschland dabei.
Merkel wollte diesen Krieg. Und sie wollte, dass sich deutsche Soldaten
daran beteiligen. Zumindest sprach sie davon. Die Erinnerung an diesen
Umstand ist seltsam verblichen, vergessen und verdrängt in einem
kollektiven Kurzzeitgedächtnis. Gewichen dem Bild einer Kanzlerin, die bei
möglichen Auslandseinsätzen der Bundeswehr wartet oder, um es in der
Sprache der Befürworter eines Syrien-Einsatzes zu sagen: zaudert. Merkels
Sprechen vom Krieg hat sich gewandelt, seit ihr Sprechen vom Krieg
Konsequenzen hat: Sie ist nun vorsichtiger.
## Es waren unsere Kriege
Der Irakkrieg hat gezeigt, dass Angela Merkel theoretisch bereit ist, an
der Seite der USA einen Krieg zu führen, der nicht von einem UN-Mandat
gedeckt ist. Syrien aber beweist, dass sie als Kanzlerin, an den Hebeln der
Macht angelangt, davor zurückschreckt. Was nicht an grundsätzlichen,
moralischen, gar pazifistischen Erwägungen liegen mag. Ihre Regierung ist
gleichzeitig bereit, Panzer an Saudi-Arabien zu liefern, ein autoritäres
Regime, das im Nachbarland Bahrain Proteste niederwalzt. Es ist also nicht
unbedingt die Moral, die bremst. Merkel überträgt schlicht jenes
Defensivspiel, jenen politischen Catenaccio – abwarten, beobachten,
moderieren –, den sie in der Innenpolitik betreibt, auch auf die
Außenpolitik.
Sie meidet den Krieg, weil er ein strategisches Risiko ist – und weil sie
Unberechenbares generell meidet. Ihre Motive sind nicht edel. Aber das
Ergebnis ist gut: Deutschland ist seit Angela Merkel friedlicher.
Die Kriege haben andere geführt: Schröder, Fischer, Rot-Grün. Auch das
verschwimmt im kollektiven Kurzzeitgedächtnis. Jene Fähigkeit zum Vergessen
machte es möglich, dass Gerhard Schröder und Joschka Fischer Deutschland
1999 erst in den Kosovokrieg führten, einem Einsatz ohne UN-Mandat, mit der
Begründung, eine humanitäre Katastrophe abzuwenden. Um sich dann, drei
Jahre später, wegen ihrer Ablehnung des Irakkriegs als Friedensfürsten zu
inszenieren. Vergessen jene Übertreibungen und Falschaussagen, mit denen
Verteidigungsminister Rudolf Scharping, SPD, den Kosovokrieg rechtfertigte.
## Aufgeschlitzte Bäuche
Als der Krieg länger dauerte als geplant und die Zustimmung in der
Bevölkerung nachließ, präsentierte Scharping Bilder eines angeblichen
Massakers der serbischen Armee an Zivilisten: tote Albaner im Ort Rugovo,
leblos aufgereiht. Später bezeugte ein deutscher Beobachter der OSZE, der
den Tatort inspiziert hatte, die Toten seien Kämpfer der albanischen UÇK,
der „Befreiungsarmee des Kosovo“, die im Gefecht gestorben waren. Man habe
sie nach ihrem Tod in Rugovo aufgereiht. In einem Interview erzählte
Scharping, wie Serben schwangeren Albanerinnen den Bauch aufschlitzten und
die Föten grillten.
Gar einen Geheimplan der serbischen Regierung zur ethnischen Säuberung des
Kosovos enthüllte Scharping auf einer Pressekonferenz: den sogenannten
Hufeisen-Plan. Später sagte der deutsche General a. D. Heinz Loquai, dass
der Plan nicht der Realität entsprochen hatte, er war der Fantasie des
Verteidigungsministeriums entsprungen.
So machte Rot-Grün Deutschland zu einem Land, das wieder Krieg führte –
auch wenn man diese neuen Kriege nicht als „Kriege“ bezeichnen wollte: Man
kaschierte sie rhetorisch.
Aber es waren nicht nur die Kriege von Rot-Grün. Es waren unsere Kriege.
Deutschland wollte sie mehrheitlich, die Umfragen waren deutlich. Und
Umfragen bestimmen in Demokratien Regierungshandeln. Umfragen können in
Demokratien Kriege auslösen – und beenden. Nur ein Drittel der Deutschen
lehnte, laut Infratest dimap, im April 1999 die Angriffe auf Serbien ab. Es
gab keine größeren Demonstrationen gegen den Einsatz der Bundeswehr. Im
November 2001 lehnte ebenfalls nur ein Drittel der Deutschen den
Afghanistankrieg ab. Auch gegen diesen Einsatz wurde kaum protestiert.
## Wir vergessen unsere Haltungen
Im März 2003 sprachen sich jedoch 85 Prozent gegen den Angriff der USA auf
den Irak aus. Hunderttausende Menschen protestierten in Deutschland gegen
den heraufziehenden Krieg. Vor dem Hintergrund der stillschweigenden
Akzeptanz von Kosovo- und Afghanistankrieg wirkten die Massenproteste gegen
den Irakkrieg hysterisch. War denn das Eingreifen im Kosovo und in
Afghanistan so viel besser gewesen? Aber hier ging es nicht um das bessere
Argument – nicht um die Qualität der Begründung. Nicht Ratio entschied,
sondern Emotion.
Ein Krieg wird in einer Demokratie nach den gleichen Regeln populär gemacht
wie die Ablehnung eines Kriegs. Es gilt das Prinzip der Eingängigkeit:
Claim, Melodie, Refrain. Kriegsbegründungen werden komponiert wie ein
Sommerhit, der so einfach sein muss, dass ihn jeder nachsummt.
Das Sprechen vom Krieg ist etwas anderes als der Krieg selbst: Die
Bevölkerung einer Demokratie stimmt nicht einem Krieg zu, wenn sie einem
Krieg zustimmt – er ist zu abstrakt. Sie stimmt dem Sprechen vom Krieg zu;
sie wiederholt Claim, Melodie, Refrain. Sie stimmt Joschka Fischer zu, dass
es im Kosovo ein zweites Auschwitz zu verhindern gelte: „Nie wieder Krieg,
nie wieder Auschwitz, nie wieder Völkermord, nie wieder Faschismus.“ Sie
stimmt Peter Strucks Satz zu, dass am Hindukusch Deutschlands Sicherheit
verteidigt wird. Sie einigt sich darauf, dass man keinen Krieg für Öl
führen sollte. Und wie ein Radiohit den hohen Wellen der Mode und des
Vergessens unterworfen ist, so werden die jüngsten Kriege – und unsere
Haltung zu ihnen – im Kurzzeitgedächtnis gespeichert, verdrängt, vergessen.
So vergessen wir den Kosovokrieg, den Afghanistankrieg.
Aber vielleicht ist das präpotente Land von Fischer und Schröder, das
lieber einen Krieg zu viel führte als einen zu wenig, ja nur ein kurzes
Kapitel geblieben. Und vielleicht haben wir aus diesem Kapitel sogar etwas
gelernt. Hat Merkels Stil, das Zugucken und Abwarten, ihr Ausweichen und
Lavieren nur ein Gutes, dann ist es, dass Deutschland nun vorsichtiger ist
beim Einsatz militärischer Gewalt. Hat die Kanzlerin dieses Land
tatsächlich friedlicher gemacht? Es würde sie eine Spur erträglicher
machen. Und dieses Land auch.
14 Sep 2013
## AUTOREN
Felix Dachsel
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