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# taz.de -- Sozialdemokratische Quälerei: Keine Entschuldigung für die Folter
> Bremens Ex-Bürgermeister Henning Scherf (SPD) trat im Brechmittel-Prozess
> als Zeuge auf – als erster politisch Verantwortlicher. Er verteidigte die
> jahrelange Vergabe.
Bild: Rechtfertigte die Folter vor Gericht: Der frühere Bürgermeister Henning…
BREMEN taz | Bremens ehemaliger Bürgermeister Henning Scherf (SPD) hat am
Montag die jahrelange Brechmittel-Folterpraxis in der Stadt verteidigt. Im
Prozess um den Tod des aus Sierra Leone stammenden Laye Condé sagte er vor
dem Bremer Landgericht als Zeuge aus. Es war der erste Auftritt eines
politisch Verantwortlichen in dem Verfahren, das nun bereits zum dritten
Mal aufgerollt wird.
Scherfs Aussage wurde mit Spannung erwartet. Von 1991 bis 2003 war er
Justizsenator, 1992 schuf er für die Brechmittel-Prozedur die rechtliche
Grundlage. Würde er Reue zeigen? Immerhin hatte der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte 2006 die Prozedur als Folter verurteilt. Doch Scherf
lächelte über all das hinweg.
Geladen worden war der 74-Jährige von Erich Joester, dem Verteidiger des
Angeklagten Polizeiarztes Igor V. – in seltener Einigkeit, vor allem mit
den Prozessbeobachtern der „Initiative zum Gedenken an Laya Condé“. Scherf
sollte die Systematik in Justiz und Politik aufzuzeigen und endlich sollte
es um die Regierenden gehen, die Staatsanwälte und Richter, die alle
mitspielten. Seit Condé im Januar 2005 an den Folgen dieser qualvollen
Prozedur starb, hatte die Initiative auf diesen Moment gewartet.
Doch auch am Montag musste sie ausharren. Scherf fehlte unentschuldigt.
Angeblich hatte er nicht mitbekommen, wann er geladen war. Nach über einer
Stunde Verzögerung ging der Prozess los. Scherf polterte, als Richterin
Barbara Lätzel ihm wegen der Verspätung ein Ordnungsgeld von 150 Euro
ankündigte. Schuldbewusstsein? Fehlanzeige.
## Katastrophaler Fall
Das ging so weiter. „Ich erinnere mich, dass wir innerhalb der Justiz alle
einvernehmlich waren“, sagte Scherf, als es dann um die Brechmittel-Praxis
in Bremen ging. Er sagte das offensiv. Der Tod Condés 2005, sei „eine große
Überraschung“ gewesen. „Bis zu diesem katastrophalen Fall gab es überhaupt
keine Schwierigkeit.“
Bereits 1995 hatte das Bremer Antirassismus-Büro zahlreiche Fälle
öffentlich gemacht. Das wurde breit diskutiert. Auch die Gesundheitsbehörde
nahm die Kritik auf – und Scherf rief die SPD-Gesundheitssenatorin
Christine Wischer daraufhin in einem Brief zur Ordnung.
Als die SPD-Fraktion in der Bürgerschaft 1996 ein Urteil des
Oberlandesgerichts Frankfurt zum Thema machte, das die Brechmittel-Vergabe
als einen Akt gegen die Menschenwürde verurteilte, verteidigte Scherf die
Praxis in der Bürgerschaft.
## Antrag abgelehnt
Die debattierte erneut 2001, nachdem in Hamburg Achidi John an den Folgen
eines Brechmittel-Einsatzes starb. Ein Antrag der Grünen, die
Brechmittel-Praxis nun zu beenden, wurde abgelehnt. Grünen-Fraktionschef
Matthias Güldner sagte damals: „Sollte nach dieser Entscheidung des
Parlaments ein ähnlicher Vorfall passieren, wissen wir wenigstens, dass er
hätte verhindert werden können.“ Güldner zitierte den Satz 2005, als die
Bürgerschaft über Condés Tod stritt.
Warum Bremen nach dem Tod von Achidi John nicht anders reagiert habe, will
Joester am Montag wissen. Andere Länder hätten danach von der
Brechmittel-Prozedur Abstand genommen, „die einzige Ausnahme waren Sie und
Herr Schill“, sagt der Verteidiger zu Scherf. Der wird laut. „Er greift
mich politisch an!“, ruft er zur Richterin.
An eine Debatte 2001 will er sich nicht erinnern. Vielmehr erklärt er die
damalige Stimmung: Die Zahl der Drogentoten sei ständig gestiegen, die
Dealerszene ein „ganz großes Ärgernis“ und „die große Mehrheit der Dea…
waren Afrikaner“, so Scherf. Der Druck der Öffentlichkeit sei groß gewesen,
daher der Einsatz von Brechmitteln: „Es war Beweissicherungs-Alltag.“
16 Sep 2013
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
## TAGS
Brechmittel
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Laye Condé
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